Die biedere Augsburger kann einem fast leid tun, ein Blatt, das sich bisher regelmäßig bundesweit online hauptsächlich dadurch seine Lorbeeren verdient, vor jeder Talkshow im öffentlich-rechtlichen Fernsehen die Themen und die Gästelisten zu veröffentlichen, steht auf einmal mit einer schrägen Balkendiagramm-Grafik im Scheinwerferlicht mit einer sehr fragwürdigen Statistik zum bundesdeutschen Verfassungsschutzbericht 2019 (VS-Bericht).
Aber nicht nur das: Diese möglicherweise sogar nur als dummes Versehen den Grafikern passierte verzerrende Darstellung bildet exakt jene Verzerrungen ab, welche der Bundesinnenminister bereits in der Pressekonferenz zum Verfassungsschutzbericht 2019 verbreitet hatte.
Horst Seehofer hat rechtsextreme Gewalt zur größten Gefahr für Deutschland erklärt. In seiner zentralen und vielfach von den Medien verbreitete Aussage war von linksextremer Gewalt keine Rede.
Die Grafiker, womöglich auch gar nicht inhouse, stellten jetzt die linksextreme der rechtsextremen Gewalt gegenüber. Und sie bekamen dabei ein massives Problem mit der Skalierung der jeweiligen Balken. Klar, wenn es 2018 in Berlin fast viermal soviel Gewalttaten bei Linksextremen gab als von Rechtsextremen, dann müsste der Balken – logisch – auch viermal so lang sein. Und um das Format jetzt in der Horizontalen nicht zu sprengen, müssten die Balken auf der rechtsextremen Seite ebenfalls entsprechend verkleinert dargestellt werden.
Ursache der Unwucht: Linksextreme Berliner Gewalt eskalierte insbesondere 2018 zum G-20-Gipfel massiv. Diese Gewaltexplosion von links sorgte jetzt 2020 am Zeichenbrett eines Infografikers und in der redaktionellen Abnahme durch die Augsburger für einen Merkelismus der besonderen Art: 205 linksextreme Gewalttaten in NRW sind deutlich geringer in der Balkenlänge als 158 rechtsextreme auf der gegenüberliegenden Seite.
18 ist mehr als 26 und 90 mehr als 117 usw. oder kurz gesagt: So wie in Berlin bei der Bundespressekonferenz ist auch in Augsburg in Sachen „dpa / AZ Infografik“ 1 und 1 nicht mehr einfach nur 2. Die politische Willensbildung hat die schnöde Mathematik aus den Angeln gehoben.
Zufall? Versehen? Einfach nur peinlich? Leider nein. Denn es kommt noch viel besser: Die Anpassung der Fakten entlang der offiziell verkündeten Lesart des VS-Berichts 2019 durch Horst Seehofer findeit hre Entsprechung nicht nur bei den dpa/Ausgburger Grafikern, sondern gleich im VS-Bericht selbst. Und auch dort nicht wesentlich besser getarnt, als die Version für/aus Südwestbayern, nur eben professioneller in der Verzerrungsabsicht:
Wieder geht es um eine tabellarische, eine grafisch aufbereitete Verarbeitung von Statistiken. Und hier speziell um die Personenzahlen der Gewalttäter aus dem rechtsextremistischen (etwa 50 Seiten) und linksextremistischen (etwa 60 Seiten) Spektrum.
Überschrift „Personenpotenzial“ und zunächst zum „Rechtsextremismuspotential“. Hier wird von NPD bis rechter Weg summiert und dann werden in Summe 32.080 Extremisten gezählt. Von dieser farblich besonders gekennzeichneten Zahl werden anschließend 19.080 Personen abgezogen, so dass 13.000 Gewaltorientierte verbleiben.
Die entsprechende Tabelle zum Linksextremismus geht aber genau andersherum vor: Hier startet der VS-Bericht mit der mit 9.200 viel geringeren Zahl der gewaltorientierten Linksextremisten und addiert dann erst die nicht gewaltorientierten. Rechts wird das Böse also erst in der Gesamtschau vorgeführt, um dann die nicht Gewaltbereiten zu subtrahieren, links macht man es einfach andersherum. Und es wirkt!
Jedenfalls bei den Grafikern der dpa/Augsburger. Und wir wollen gar nicht sagen: auch bei Horst Seehofer, denn das würde den Innenminister zu einem reinen Verkündungsaugust machen von Ergebnissen, die andere verzerrt haben. Aber Horst Seehofer ist kein Opfer.
Die Opferrolle steht allerdings auch den Rechtsextremisten nicht zu. Zweifellos steigt ihre Bereitschaft. Und es ist eine Gefahr für Deutschland. Aber ganz sicher nicht die einzige. Und diese Eskalation hat selbstverständlich wie alles andere seine Ursachen, die es ebenfalls zu bekämpfen gilt.
Was allerdings nicht sein darf: Ein noch einmal verfälschend verschärft dargestellter real existierender Rechtsextremismus darf linksextremistischen und islamistischen Extremismus nicht auf diese Weise vertuschen, wie es der VS-Bericht 2019 versucht. Der Kampf gegen Rechtsextremismus darf nicht mehr länger missbraucht werden, jedewede Opposition zu diffamieren, zu diskreditieren und zu denunzieren.
Kritik an der Politik der Bundesregierung, Kritik an der Migrationspolitik der Bundeskanzlerin ist nicht Nazi, ist nicht extrem, sondern gutes demokratisches Recht bzw. sogar oppositionelle Pflichtübung, so eine Opposition gegen diese Politik in Stellung gehen will. Nicht mehr und nicht weniger.