Was ist das eigentlich für ein Moment in der Geschichte der Bundesrepublik, wenn ein sogar über die Grenzen der politischen Lager hinweg scharf kritisiertes Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von 2017 jetzt noch mal verschärft wird? Was sagt das über diese Bundesregierung, was sagt das überhaupt über die Kommunikation im 21. Jahrhundert? Und wohin soll das noch führen, wenn dem Ausspionieren keine Grenzen mehr gesetzt sind, wenn beispielsweise Passwörter schon bei einer Ordnungswidrigkeit heimlich weitergegeben bzw. verschlüsselte von Staats wegen gehackt werden dürfen?
Die Morde von Hanau erschüttern die Republik. Aber hätten sie verhindert werden können mit einem Gesetz gegen Hasskriminalität? Das würde bedeuten, dass der Täter ein Aufgehetzter ist. Aber von wem und zu was aufgehetzt? Und wie steht das im Kontext zu seiner vermuteten schweren psychotischen Erkrankung?
Die Beratungsseite Anwalt.org für Anwälte und Mandanten schreibt tagesaktuell: „Das Gesetz gegen Hasskriminalität erweitert im Wesentlichen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), welches seit 2017 gilt.“
In der Kabinettsitzung besprochen liegt dieses von der Ministerrunde beschlossene neue Gesetz jetzt dem Deutschen Bundestag vor, wo es vermutlich abgenickt wird. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist 57 Seiten lang und trägt den Titel: „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität.“
Warum nur Rechtsextremismus? Eine Journalistin des Spiegel hatte es bei Maischberger schon in etwa so klargestellt: Der böse Blick zu den linksradikalen Übergriffen in Leipzig Connewitz sei doch in der Form zu unterlassen, wenn jetzt rechtsextreme Terrorgruppen die Republik angriffen.
Die Einführung der Zensur
Beledigungen sind das eine. Aber auch Gewalt- und Morddrohungen sollen schärfer geahndet werden. Gut? Und hätte so etwas Hanau verhindert?
Besagter Gesetzentwurf argumentiert mit so etwas wie einer „Wehret den Anfängen“-Idee. Es heißt da, allgemein sinke im Netz die Hemmschwelle für weitere gleichgerichtete Äußerungen. Die Argumentation überrascht wahrscheinlich die überwiegende Zahl der sich damit befassenden Juristen, wenn es in diesem Gesetzentwurf weiter heißt: „Dies kann sogar dazu führen, dass sich Menschen vollständig aus dem öffentlichen politischen Diskurs zurückziehen.“ Damit sei der freie Meinungsaustausch im Internet und „letztendlich die Meinungsfreiheit gefährdet.“
Ist das noch Juristendeutsch oder nur Ideologie?
Nach der Konsequenz daraus muss hier gefragt werden: Zwangsweise Vorführung in Stuhlkreisen mit Anwesenheits- und verbaler Beitragpflicht? Ist das der Grund, warum sich die Koalitionsvereinbarung von Union und SPD auch dem Kampf gegen Einsamkeit gewidmet hat? Sind hier etwa Einsame gemeint, die sich dem politischen Diskurs entziehen, die nur noch Netflix schauen und dann als „Nazis“ wiedergeboren werden oder mindestens als Stalker von „politisch engagierten Personen“?
Viele Fragen, die Antworten verlangen. Und spätestens hier ist es an der Zeit, auf der emotionalen Ebene auch mal den Opa zu fragen, wie das damals war, also in der DDR, als eine Diktatur die nächste nahtlos ablöste. Währenddessen weigern sich „politisch engagierte Personen“ wie Bodo Ramelow weiter, die DDR ein Unrechtsregime zu nennen. Aber zurück zum dem Bundestag vorgelegten Gesetzesentwurf.
Zentrale Aufgabe des Gesetzes soll es sein, so das Papier, eine effektive Strafverfolgung zu erreichen „insbesondere von Hasskriminalität mit rechtsextremistischem Hintergrund.“
Fast mit so etwas wie Stolz erinnert der Entwurf an das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von 2017: Nämlich, dass es „ein wichtiger Baustein wäre“, indem es die sozialen Netzwerke mehr zur Verantwortung ziehen würde. Aber über die Löschung hinaus sei es nun notwendig geworden, „strafbare Inhalte auch der Strafverfolgung“ zuzuführen. Also Meldung zu machen.
Ja, so ungenau arbeitet heute ein deutsches Bundesjustizministerium, wenn hier also Inhalte schon „strafbar“ sind, bevor sie gerichtlich geprüft werden, aber so muss man vorgehen, wenn Privatunternehmen der sozialen Medien und ihre Helferportale entscheiden, was gelöscht, gestempelt oder verbannt und jetzt also der Justiz zuzuführen ist im Sinne einer erzwungenen Anzeigenerstattung.
Wer nicht anzeigt in den Unternehmen der sozialen Medien, macht sich strafbar. Wer nicht denunziert (denn auch strafrechtliches Knowhow, solche Fälle zu beurteilen, fehlt ja gänzlich), der wird bestraft, wenn er der „Meldepflicht“ nicht nachkommt. Da bekommt doch der zuvor schon zitierte Satz eine ganz neue Bedeutung: „Dies kann sogar dazu führen, dass sich Menschen vollständig aus dem öffentlichen politischen Diskurs zurückziehen.“
Auch die vermuteten Kosten so eines massiven Eingriffs in die Meinungsfreiheit verbunden mit der Ermächtigung nicht qualifizierter, legitimer oder autorisierter Wächter in den Unternehmen der sozialen Medien ist – allerdings wohl deutlich zu gering – im Justizministerium durchgerechnet worden. Auf Seite vier wird der so entstehende Schaden („Kosten“) für den Steuerzahler zusammengerechnet:
Jährlicher Unmsetzungsaufwand BKA: 27,5 Millionen Euro
Jährlicher Mehraufwand an Sachkosten: 47,6 Millionen Euro
Jährlicher Mehraufwand Personalkosten nur beim BKA: 19 Millionen Euro plus Sacheinzelkosten von 5,7 Millionen Euro
Jährliche Mehrkosten der Länder im justiziablen Kernbereich 24 Millionen Euro
Dass das alles vorne und hinten nicht reicht, ist sicher keine allzu gewagte Voraussage.
Unter Punkt „Zielsetzung und Notwendigkeit“ der Neureglung wird Bilanz gezogen hinsichtlich des bereits bestehenden NetzDG, welches Anbieter sozialer Netzwerke verpflichtet hatte, „nutzerfreundliche Meldewege zur Übermittlung von Beschwerden über strafbare Inhalte“ einzurichten. Also über von Laien als vermeintlich strafbar empfundene Inhalte. Aber das so festzustellen, würde ja die ganze Idee dieser Gesetzesentwürfe ad absurdum führen.
Die Bilanz in Zahlen geht dann so: Mindestens zwei Millionen registrierte Nutzer in Deutschland, was viel zu wenig klingt. Demgegenüber im Zeitraum vom ersten Halbjahr 2018 bis zum zweiten Halbjahr 2019 insgesamt knapp drei Millionen entsprechende Meldungen (mutmaßlicher) Straftaten, von denen die Unternehmen der sozialen Medien laut Entwurf gleich etwa 28 Prozent gelöscht haben sollen.
Jenseits solcher Löschungen sei es nun aber Aufgabe des Staates, „dass Verfasser strafbarer Inhalte auch einer effektiven Strafverfolgung zugeführt werden.“
Wer diese „andere“ sein sollen, grenzt bereits die Überschrift des Entwurfes ein, wenn es nur gegen Rechtsextremismus geht, wenn also diese „andere(n) Nutzer“ alles links von ganz Böse bedeutet.
Die Frage scheint hier weiter berechtigt, wer eigentlich quantitativ öfter für sich reklamieren würde, seine Meinung nicht mehr frei äußern zu dürfen. Doch, der Gesamtentwurf muss als Anfeindung, als Bedrohung und Maulkorb verstanden werden. Ein Frontalangriff der Regierung gegen ihre Bürger, der Anfang eines Imports chinesischer Verhältnisse und das noch mit Ankündigung.
Vom Betreiber gemeldet werden soll an eine vom BKA noch zu nennende Stelle u.a. die IP-Adresse des vermeintlich straffällig Gewordenen. Es soll eine Meldepflicht eingeführt werden: Nutzer melden, der Betreiber schaut und gibt seine Einschätzung ab, um den als straffällig eingeschätzten Kommentar dem BKA zu melden.
Wer aktuell die Internetseite des Justizministeriums (BMJV) besucht, findet dort eine Kampagne mit dem Slogen: „Wir sind Rechtsstaat“. Also die freie Nutzung der Bild-Schlagzeile „Wir sind Papst.“ So soll das Vertrauen in den Rechtsstaat gestärkt werden, wie das Ministerium schmissig hinschreibt, während sich das genaue Gegenteil davon auf fast sechzig Seiten des neuen Gesetzesentwurfs zum Ausbau einer mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz bereits installierten Schnüffelkette zur Einschränkung der Meinungsfreiheit befindet.
Natürlich gibt es Hass im Netz. Aber die Sense der Macht macht sich das zu Nutze und mäht jetzt alles nieder, was ihr politisch nicht korrekt ist. Der vorauseilende Akt der Löschungen von Meinungsfreiheit wurde zur Pflichtaufgabe erhoben. Zweifel führen bereits zur Anklage.
Der Furor der ideologisierten Gesetzesmacher geht sogar so weit, dass eine Passwortherausgabe für die dann ultimative Komplettdurchleuchtung möglich sein wird. Hätte das die Morde von Hanau verhindert? Der Täter hatte seinen ganzen Wahnsinn schon im November dem Staatsschutz zugesandt, ohne dass der darauf reagiert hätte – es lag also der Irrsinn schon offen da! Freiwillig gemeldet.
Beispielsweise Prof. Niko Härting (Autor eines Standardwerks zum Internetrecht) von Härting Rechtsanwälte zeigt sich entsetzt, wenn er twittert: „Die #NetzDG-Verschärfung der #GroKo lassen jedes Augenmaß vermissen. Passwortherausgabe längst nicht nur bei „Hate Speech“ und längst nicht immer mit Richtervorbehalt.“
Härting fasst es in einem Blog zusammen: Postings müssen nebst IP-Adressen dem BKA übersandt werden, wenn Inhalte bestimmte Strafgesetze verletzen. Und die Herausgabe von Passwörtern soll im Prinzip schon bei Bagatellen erlaubt sein: „Verdacht auf Ordnungswidrigkeit: Reichen dürfte sogar der Verdacht einer bloßen Ordnungswidrigkeit“, schreibt Härting und geht noch weiter: „Selbst beim Falschparken fehlt somit ein klarer gesetzlicher Riegel, der Passwörter gegen wissbegierige Ermittler klipp und klar schützt.“
„Nach § 100j Abs. 2 StPO-E soll eine Passwortabfrage schon dann zulässig sein, wenn sie dazu dient, eine IP-Adresse einer Person zuzuordnen. Dies würde es den Ermittlungsbehörden erlauben, bei jedem Verdacht einer Straftat anhand von IP-Adressen Passwörter zu verlangen in der Hoffnung, dass sich auf diesem Weg die Identität von Straftätern aufklären lässt.“
Härting fragt: „Welche Provider sollen Passwörter herausgeben müssen?“ Seine Antwort: „Hier kommt die nächste Überraschung: (…) keineswegs nur für die Betreiber großer sozialer Netzwerke. Dies ist kein Lex Facebook & Twitter. Die Herausgabepflicht würde uneingeschränkt für jeden Betreiber eines Telemediendienstes gelten – für Partnerbörsen ebenso wie für Nachrichtenportale, für Onlineshops ebenso wie für Mitgliederforen eines gemeinnützigen Vereins, für Jameda ebenso wie für eBay.“
Nachtrag 25.02.2020, 9:50 Uhr:
Wohin NetzDG sowie immer weitere Verschärfungen führen, zeigt auch wieder die gestern erfolgte Sperrung des Accounts von Thomas Ney (Piraten Partei):