Bundesinnenminister Seehofer und Verfassungsschutzpräsident Haldenwang haben gestern den Verfassungsschutzbericht für 2020 vorgestellt. In den besonderen Fokus stellten beide Rechtsextremismus und Querdenkerbewegung. Die Welt beispielsweise nennt dazu passend beide Gruppen in räumlicher Nähe und folgt damit quasi einer imaginären Regieanweisung aus dem Bundesinnenministerium.
Ganz sicher sind verfassungsfeindliche Bestrebungen von rechts in dieser angespannten politischen Lage gefährlich, aber zuletzt fiel der Bundesinnenminister Anfang Mai in einer Pressekonferenz damit auf , dass er anlässlich der Vorstellung der Bundeskriminalstatistik für 2020 den Anstieg linksextremistischer Gewalttaten verharmloste. So unterließ es Seehofer auf der Pressekonferenz zur Kriminalstatistik, die Medien explizit darauf hinzuweisen, dass es eine präzise Unterscheidung gibt von Straftaten an sich und Gewalttaten im Speziellen. So sind nämlich die mehr als fünfzig Prozent rechtsextremistische Straftaten laut Zeit zu 85 Prozent „sogenannte Äußerungsdelikte wie Propaganda, Volksverhetzung und Beleidigung.“
Möglicherweise sehr zum Leidwesen des Landes machten Seehofer/Haldenwang auf ihrer Pressekonferenz aber genau das: Sie berichteten tendenziös.
Der Innenminister mag auf Basis der Ermittlungen der Behörde noch zu Recht eine „besondere Sicherheitslage“ attestieren, wenn er aber die Corona-Proteste dafür verantwortlich macht, einen großen Teil zum Rechtsextremismus und Antisemitismus beigetragen zu haben, wird er unpräzise. Zunächst einmal waren es die Pandemie-Maßnahmen der Bundesregierung, die die parlamentarische und auch eine außerparlamentarische Opposition auf den Plan gerufen haben. Vollkommen unabhängig von einem möglicherweise besorgniserregenden Stand der Ermittlungen der Verfassungsschützer in diese Richtung muss rückblickend attestiert werden, dass diese Proteste vielfach von der Bundesregierung und den Medien auch ohne genaue Erkenntnisse diffamiert wurden.
Antisemitismus im Zusammenhang mit dem Protest gegen die Pandemie-Maßnahmen zu benennen, ist einen Umweg angesichts der massiven antisemitischen Ausfälle auf Demonstrationen in Deutschland von vorwiegend muslimisch geprägten Menschen im Zusammenhang mit den Angriffen auf Israel durch die Hamas.
Verfassungsschutz-Chef Haldenwang meint dann sogar, den Vortrag von Seehofer mit so etwas wie einem Späßchen ergänzen zu müssen: „Extremisten und Terroristen gehen nicht in den Lockdown.“ Demgegenüber verkündet Horst Seehofer dann: „Wir haben einen Alarmzustand.“
Das rechtsextremistische Spektrum umfasse 33.300 Personen heißt es im Bericht. Diese Zahl sei um 3,8 Prozent gewachsen. Und von diesen wiederum würden 13.300 als potenziell gewaltorientiert eingeschätzt. Rechtsextremistische Straftaten seien um etwa fünf Prozent gestiegen, rechtsextremistischen Gewalttaten um etwa zehn Prozent.
Vier Monate vor der kommenden Bundestagswahl tauchen nun auch Personen namentlich im Verfassungsschutzbericht auf, die auch schon vor Jahren nichts wesentlich anderes publizierten als heute. Das gilt etwa für Götz Kubitschek und seinen Verlag in Schnellroda. Noch 2016 pilgerten Journalisten verschiedener Medien zu dem bekannten Neurechten und berichteten von dessen selbstgemachte Ziegenkäse. Heute würden Verlinkungen solcher romantisierten Berichte nicht einmal mehr in den sozialen Medien Bestand haben – sie wären sogar Löschgrund.
Dahinter wird der Verdacht für ein Motiv der politisierten Verfassungsberichte deutlich: Wer, wie die Querdenker, unter Beobachtung steht, wird auf kurz oder lang automatisch sein Forum in den sozialen Netzwerken und also seine Leser verlieren. Kein Wunder, dass beispielsweise Michael Ballweg, der Stuttgarter Gründer der Querdenker, Journalisten explizit bittet, ihn über Telegram zu kontaktieren. Aber auch damit soll jetzt Schluss sein, wenn es nach der Bundesjustizministerin geht.
Seehofer sagte, die Pandemie hätte rechtsextremistische Bestrebungen „sehr geprägt“. Das mag ja sein, hier mögen aber auch die Zuweisungen als „rechtsextrem“ oder „des Rechtsextremismus verdächtig“ als selbsterfüllende Prophezeiungen ein Übriges erledigt haben.
Immerhin eines kann man beruhigt festhalten: Der Einfluss der Umweltaktivistin Luisa Neubauer ist doch weniger groß als von vielen befürchtet, denn ihr versuchter Rufmord am Bundestagskandidaten Hans-Georg Maassen führte bei Seehofer und Haldenwang nicht dazu, auch noch den Vorgänger im Amt des Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes auf den Index zu setzen.
Wie sieht es nun mit dem Linksextremismus aus? Da die Kriminalitätsstatistik Extremismustendenzen für 2020 klar ausweist, müssten diese Daten sich inklusive des massiven Anstiegs linksextremer Gewalt im Verfassungsschutzbericht widerspiegeln, also auch auf der Bundespressekonferenz. Dort allerdings stellt Seehofer wie berichtet den Rechtsextremismus ganz nach vorn.
Macht aber nichts, hilfreich ist hier ausgerechnet die öffentlich-rechtliche Sendung Frontal 21, welche die Aussagen Seehofers neu sortiert und den Fokus auf eine Zunahme des Linksextremismus richtet. In einer Twitter-Meldung zum Verfassungsschutzbericht 2020 heißt es da nämlich: „Entwicklung beim Linksextremismus laut Bundesinnenminister Seehofer besorgniserregend. Zahl linksextremer Gewalttaten um 34 % gestiegen. Frontal 21 über die zunehmende Radikalisierung der Szene: https://zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/brandanschlaege-und-morddrohungen-linksextremismus-in-deutschland-100.html“ Zitiert wird von Frontal 21 dann auch nicht Haldenwang, sondern dessen Hamburger Kollege Torsten Voß, der zum Linksextremismus gesagt hatte: „Wir beobachten auch, dass diese Taten professioneller werden, dass sie persönlicher werden und dass sie auch gewalttätiger werden.“
Was hier zuletzt noch erwähnt sein soll: Die Aktivitäten einer radikalen Antifa zur See vor der libyschen Küste beispielsweise finden im Verfassungsbericht überhaupt nicht statt. Dabei dürfte der Schaden, den diese Klientel mit der Aufnahme illegaler Migranten auf dem Mittelmeer anrichtet, massiv sein. Aber auch dieses Fehlen ist eben womöglich politisch gewollt im Sog des Wahlkampfgeschehens.
„Bei der Punk-Band Wizo etwa lautet der Refrain des „R.A.F.“-Songtextes so: „Rote Armee Fraktion, ihr ward ein geiler Haufen! Rote Armee Fraktion, mit euch ist was gelaufen! Rote Armee Fraktion, ich fand euch immer spitze – leider war ich noch zu klein, um bereits bei euch dabei zu sein. Doch mein Herz schlug damals schon für die Rote Armee Fraktion.““