Tichys Einblick
Bestatter in der Pandemie

„Abstandhalten ist emotional belastend auch für uns“

Die Berufsgruppe, die den an Covid-19 Verstorbenen buchstäblich besonders nahe kommt, wünscht vergeblich höhere Priorität beim Impfen. Ein Gespräch mit dem Geschäftsführer des Verbandes unabhängiger Bestatter über Aerosole, "biologische Arbeitsstoffe" und den Wunsch nach Kontakt.

IMAGO / Rupert Oberhäuser

Liegt es daran, dass die Branche zur Zeit so viel zu tun hat? Jedenfalls kostet es einige Mühe, den Geschäftsführer des Verbandes unabhängiger Bestatter e.V. ans Telefon zu kriegen. Als wir Hans-Joachim Möller, der bundesweit über fünfhundert Bestatter vertritt, dann doch erreichen, ist er ausgesprochen offen und gesprächsbereit. Aber womöglich ist es auch nur ein unbegründetes Stereotyp, dass Bestatter düster und verschwiegen seien.

Derzeit wird viel um Übersterblichkeiten debattiert. So ein Bestatterverband müsste das doch am besten wissen. Geschäftsführer Möller weiß tatsächlich um einige Hotspots in Deutschland. „Die gibt es, die haben überproportional viele Verstorbene.“ Beispielsweise im Erzgebirge sei das so, das weiß Möller von Mitgliedern. Das sei die Momentaufnahme. Dann gäbe es aber andere Gebiete, „gerade so im Norden oben, die haben sogar eine zurückgehende Sterblichkeit.“ Wichtiger Hinweis von Möller: „Wir haben natürlich auch die eingeschränkte Mobilität.“ Das hätte dazu geführt, dass es weniger Verkehrsunfälle gab.

Möller deutet an, dass es auch unter den Bestattern unterschiedliche Haltungen gäbe, was die Beurteilung der Corona-Pandemie angehe. Das sei nicht anders, als in der Bevölkerung insgesamt. „So soll es aber auch sein, wir müssen ja nicht jeden, der irgendwelche Maßnahmen hinterfragt, gleich als Leugner hinstellen. Nehmen Sie mal die 15 Kilometer-Regelung, das ist doch schwer zu vermitteln, willkürlich und ohne Sinn. Ich bin kein Leugner, aber ich will das weiter hinterfragen dürfen.“ Hoffnung macht Hans-Joachim Möller – ein Bestatter kann also auch hoffnungsvoll sein – die Aussage von Hans Kluge von der WHO (Weltgesundheitsorganisation), dass sich die Pandemie von alleine wieder abflacht, ähnlich der spanische Grippe, der Vogelgrippe usw.

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Und was wünscht sich der Verband, der als Interessenvertretung auftritt, von der Politik? Natürlich hätte man, erzählt Möller, bezogen auf die Erfordernisse der Corona-Pandemie, bei Regierungsstellen interveniert. „Was uns jetzt am meisten unter den Nägeln brennt ist, dass wir geimpft werden. Wir haben zuviel Kontakt mit anderen Menschen. Wir gehen ja durch die Trauerfamilien. Mittlerweile zwar auch alles nur auf Abstand, aber ein durchschnittlicher Bestatter macht halt 15-20 Beerdigungen pro Monat mit den entsprechenden Kontakten zu den Angehörigen usw. Der Bestatter ist beruflich mit sehr vielen Menschen in Kontakt.“  Man in jene relevante Impfgruppe aufgenommen werden, zu der beispielsweise die Polizei und die Feuerwehr gehören. Eine Zusage gab es nur in Bremen, sagt Möller, aber passiert ist auch da bisher nichts. Also werden Bestatter weiter nicht mit Priorität geimpft.

Eine weitere Problematik ist für die Bestatter ihre Schutzkleidung. Zwar sei man als systemrelevant erklärt worden, aber es ging den Bestattern insbesondere während ersten Welle in Sachen Schutzkleidung nicht viel anders, als anderen ebenfalls systemrelevanten Gruppen: Es gab zunächst keine Masken, kein Desinfektionsmittel, keine Schutzkleidung. Der Verband hat dann selbständig vieles beschafft und sogar selbst noch ausgefahren zu den Kollegen und Mitgliedern, um diese vernünftig zu versorgen.

Kann man sich denn an einem Verstorbenen anstecken? Der Verbands-Geschäftsführer erklärt es vereinfacht so: „Fakt ist, Corona wird durch Aerosole übertragen. Auch ein toter Körper hat ja Luft, und in dem Moment, wo er umgelagert wird, wird diese Luft mechanisch rausgepresst. Einfach durch das Anheben werden so auch Aerosole freigesetzt.“

Das Land bzw, die Ministerien würde sich von der Infektionsschutzverordnung ausgehend immer „ganz clever“ auf das RKI berufen, damit „sind die dann schön außen vor. Die geben uns zwar Verhaltensmaßnahmen vor in Bezug darauf, wie wir mit Angehörigen zu verfahren haben, die zum Beispiel Trauerfeiern wünschen – also was die Abstände angeht, aber ansonsten …“

Die Bestatter selber seien da wohl nicht so wichtig, mutmaßt Möller, „als dass man da besondere Regeln mache würde.“ Da würde nur auf die berufsgenossenschaftliche Vorschrift verwiesen, auf den „Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen“. Und zu denen gehören unter anderem auch Verstorbene, erklärt Möller. Es gebe einzuhaltende Vorschriften und vom RKI noch die allgemeingültige Empfehlung für den Umgang mit Verstorbenen. „Da wird dann von der Regierung immer fleißig drauf verwiesen, dass wir uns doch an diese Vorschrift halten sollen.“ Auf der anderen Seite würden die Bestatter schon mal von den politischen Entscheidern um Rat gebeten, wie dieses und jenes praktisch zu handhaben sei.

Bestatter stecken sich seltener an, was sicher auch daran liegt, dass sie bei Verstorbenen von vorne herein mit Sorgfalt und Selbstschutz zu Werke gehen. Im Verband mit seinen weit über 500 Mitgliedern bundesweit gab es bisher keinen einzigen Kollegen, der sich mit Corona infiziert hätte. Das gilt übrigens auch für die Hotspots, weiß Möller: „Auch die Kollegen in Baden-Württemberg im elsässsischen Grenzgebiet, die gleich am Anfang wahnsinnig zu kämpfen hatten, auch die sind alle davon verschont geblieben, weil sie alle die Maßnahmen eingehalten haben.“

Die Verstorbenen mit Corona-Totenschein oder Verdacht kommen in infektionssicheren Plastikhüllen beim Bestatter an. Jedenfalls sollten sie das idealerweise. Zwar werden dann am Leichnam noch die üblichen Bestatterarbeiten durchgeführt, aber es wird anschließend beispielsweise auf eine Abschiedsnahme der Angehörigen verzichtet. Vorboten sei das aber nicht, so Möller, „da gelten einfach nur die Empfehlungen des RKI.“

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Da die Bestattungen aber Länderecht unterliegen und jedes Land das anders handhabt, kann Möller generell und pauschal keine allgemeingültige Auskunft erteilen. Allerdings ist die Bestatterarbeit keine Reisetätigkeit, in der Regel muss sich jeder Bestatter nur mit den Verordnungen in seinem Land auseinandersetzen. „Es ist teilweise heftig, weil dann auch beipielsweise Städte und Kommunen noch mal ihre eigenen Regeln gemacht haben. Das bedeutet für uns als Verband dann einen gewissen Aufwand, die Kollegen immer richtig zu informieren.“

Die Leichenbeschau übrigens ist dann der Moment, wo jeder Mensch als Verstorbener noch einmal Privatpatient wird, das nämlich übernehmen die Krankenkassen nicht, es bleibt bei den Angehörigen, die entsprechende Bescheinigung zu erhalten. Erstaunlicherweise wollen viele beschauende Ärzte diese Leistung gern in bar abrechnen. Warum das so ist, dazu will sich Möller nicht weiter äußern. Laut Gebührenordnung der Ärzte kostet ein durchschnittlicher Leichenschauschein heute zwischen 260 und 400 Euro. Der Arzt muss dafür übrigens mindestens vierzig Minuten am Verstorben schauen, wenn er auf seinen Satz kommen will, aber welcher Angehörige würde in so einer Situation mit der Stoppuhr schon daneben sitzen wollen?

Jetzt kann sich jeder vorstellen, dass Trauer alles andere ist, als ein Moment der Distanz. Oft sogar übernimmt der Bestatter auch bestimmte seelsorgerische Aufgaben. Für die Bestatter sei dieses Abstandhalten während der Corona-Maßnahmen auch emotional eine Problem: „Gerade, wenn das die jüngeren Kollegen sind, die doch sehr emotional sind, sehr emphatisch, denen fällt das so schwer.“ Möller erinnert an eine Achtzigjährige ohne Kinder, verheiratet, dann stirbt der Mann nach 60 Jahren Ehe. „Und niemand da bei den Vorbereitungen. Und der Bestatter sitzt dann mit ihr auf Abstand. Und die Dame weint bitterlich. Dann ist das so emotional belastend auch für uns, weil man möchte doch trösten.“

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