Tichys Einblick
Nur 0,7 Prozent asylberechtigt

Unverändert neue Asylsuchende: „Vorstellung der Asylzahlen 2017“

Geeignete Maßnahmen werden keine ergriffen, aber immerhin: die Massenzuwanderung wird wieder mit deutscher Gründlichkeit verwaltet. In den Büros im BAMF klappen die virtuellen Aktendeckel in einer Geschwindigkeit, auf die die deutschen Oberverwalter stolz hinweisen.

Screenprint: phoenix

Der geschäftsführende Innenminister Thomas de Maizière und BAMF-Chefin Jutta Cordt haben heute ab 10 Uhr in einer Bundespressekonferenz die Asylzahlen für 2017 vorgestellt und den anwesenden Journalisten anschließend Rede und Antwort gestanden.

Das erste Fazit, das die beiden wünschten, das man ziehen sollte: Die deutsche Asyl-Bürokratie funktioniert wieder! Nun weiß man leider gar nicht, wie sehr man sich darüber freuen soll, dass Ministerium und Bundesamt so stolz vermelden, die bisherigen Fälle seien abgearbeitet, man könne sich nun der Zukunft zuwenden. Denn niemand weiß so recht, niemand will so recht wissen, wie diese Zukunft aussehen könnte: Die Sondierer zur Großen Koalition streiten um Obergrenzen, die am Ende aus dem Blickwinkel der SPD gar keine mehr sein sollen, während das EU-Parlament bereits eine Explosion dieser Obergrenze für Deutschland betreibt (wir haben berichtet).

Spiegel-Pegel Null
DER SPIEGEL Nr. 3: EU-Parlament will Zuwanderung nach Deutschland ausweiten
Deshalb und bevor wir zu den verkündeten Zahlen kommen, zwei Sätze des Innenministers, die aus dieser Pressekonferenz den vielleicht lautesten Nachhall hatten, als Thomas de Maizière betonte, eine „bessere wirtschaftliche Zukunft“ kann keine Flucht- und Migrationsursache sein, noch dazu, wenn diese von kriminellen Schleppern organisiert werden würde.

Noch eindringlicher: Es könne keine Lösung für die Zukunft sein, dass Deutschland so viele Flüchtlinge und Migranten aufnehme, wie der Rest von Europa zusammen. Komfortabel übrigens für Cordt und de Maizière, dass der Familiennachzug beim Auswärtigen Amt liegt, also beim Außenministerium und nur kurz auf Nebengleisen zur Sprache kam. Denn möglicherwiese lauern hier in Zukunft die größten Fallstricke.

Zu den Zahlen: 2017 kamen 186.644 Asylsuchende nach Deutschland. Es kamen mehr, aber das ist die Zahl jener, die einen Antrag stellten. Im Jahr 2016 lag diese Zahl noch bei ca. 280.000 und im Jahr 2015 bei ca. 890.000 asylsuchenden Personen. Und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge war fleißig: 2017 wurde über gut 600.000 Anträge entschieden. 2016 waren es noch knapp 700.000. Anhängig sind lediglich noch knapp 70.000 Fälle, aber, wie Frau Cordt berichtet, nicht aus Kapazitätsmangel, man warte hier einfach noch auf bestimmte Unterlagen aus europäischen Ländern bzw. Auswertungen von Spracherkennungsanfragen zum Herkunftsland usw.

Wenn die Zahl der Antragsteller 2017 noch einmal um 34.000 höher lag als genannte 186.644 Asylsuchende. dann lag das daran, dass noch Folge- und verzögerte Anträge hinzuzurechnen seien. Der Bundesminister verkündet: „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist nicht mehr mit dem Bewältigen der Folgen der Krise beschäftigt. Vielmehr kann sich das BAMF nun den Aufgaben der Zukunft zuwenden, und das besser als je zuvor, da es aufgrund der zahlreichen Veränderungen als moderne Behörde viel besser aufgestellt ist, als noch vor der Krise.“

Die Verwaltung des Problems ist also bürokratisch in die richtigen Bahnen gelenkt worden. Nichts anderes ist ja Aufgabe des Bundesamtes. Am Problem freilich ändert das wenig. Die parallel verteilte Pressemitteilung des Hauses spricht von „einen enormen Kraftakt“, den das Amt vollbracht hätte. Der aktuelle Bestand anhängender Verfahren entspräche heute dem von Mitte 2013 „und macht deutlich, dass die Rückstände damit praktisch abgebaut werden konnten.“ Also eine Erfolgsmeldung herunter vom Podest der Bundespresse, aber eine rechte Freude oder wenigstens eine lockere Atmosphäre des Gelingens mag trotzdem nicht recht aufkommen. Hier werden keine Konfetti-Kanonen gezündet wie im Bundestag.

Eine Unglaublichkeit nach der anderen
Zuwanderung, Chaos oder Irreführung
Die Zahl von 186.644 Asylsuchenden 2017 wird aufgeschlüsselt: So kommen beispielsweise 47.434 Personen aus Syrien, 21.043 aus dem Irak und 12.346 aus Afghanistan. Addiert man die gelisteten Personen nach ihren zehn Hauptherkunftsländern, fehlen dennoch weit über Fünfzigtausend Personen ohne Länderzuordnung und ohne eine Zuordnung unter „Sonstige“.

2017 entschied das Bundesamt über die Anträge von 603.428 Personen. Insgesamt wurden 20,5 Prozent der bearbeiteten Anträge nach der Genfer Flüchtlingskonvention positiv beschieden. Davon waren lediglich 4.359 Personen, also 0,7 Prozent asylberechtigt nach Art. 16a des Grundgesetzes und die verbleibenden 19,8 Prozent, die mit Flüchtlingsschutz ausgestattet wurden (nach § 3 des Asylgesetzes i. V. m. § 60 Absatz 1 d). Weitere 16,3 Prozent erhielten subsidiären Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU. Und für knapp 40.000 abgelehnte Antragsteller wurde Abschiebungsverbot festgestellt. 38,5 Prozent wurden abgelehnt und immerhin 18,1 Prozent haben sich quasi von selbst erledigt wegen Antragsrücknahme oder Anwendung des Dublin-Verfahrens.

Die Zahl der illegal aufgegriffenen Personen hätte sich 2017 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Auch weiß der Innenminister, dass die Hälfte der Antragsteller, ihren Asylantrag nicht an der Grenze stellt, sondern irgendwo im Land. Dafür seien die Schleuser verantwortlich. Von sicheren Grenzen – sollte man hier anmerken – kann also nach wie vor nicht die Rede sein, wenn kommen kann, wer will, und vor allem, wie er will. Aber Italien würde nicht mehr „einfach nur durchwinken“ will der Innenminister positiv vermelden, will aber auf Nachfrage die Flüchtlingskrise nicht für beendet erklären: „Migranten und Flüchtlinge bleiben die zentrale Herausforderung der Zukunft.”

Was hat man verbessert im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge? Die Weitergabe der Daten an die Sicherheitsbehörden wurde optimiert, die Auslesung von Mobiltelefonen technisch ermöglicht und es wurden neue Spracherkennungsprogramme angeschafft, denen es angeblich gelingen soll, Sprachfarben sogar regional zuzuordnen. 2018 soll eine Qualitätsoffensive werden, verkündet BAMF-Chefin Cordt: Eintausend Schulungseinheiten für Achttausend Mitarbeiter wurden bereits 2017 durchgeführt und jeder Bescheid, der das Amt verlässt, unterliegt nun einem Vier-Augen-Prinzip. Gegen negative Bescheide wurde in 49 Prozent der Fälle geklagt, davon gewänne das BAMF 32 Prozent und der Kläger nur 23 Prozent, der Rest werde an irgendeiner Stelle des Verfahrens vom Kläger abgebrochen.

Fazit der Bundespressekonferenz: Tatsächlich hat sich 2017 gegenüber den chaotischen Verhältnissen in der Asylbürokratie einiges verbessert. Die berüchtigte wie bewunderte deutsche Gründlichkeit ist gegenüber den Vorjahren in einem bestimmten Maß wieder hergestellt. An der weiterhin stabil hohen Zahl der einreisenden Asylbewerber und Illegalen ändern das allerdings gar nichts. Nicht einmal an ihrer nach wie vor niedrigen Wiederausreise-Willigkeit bei Ablehnung.

Hinzu kommt, dass zu viele Stellen zu viele Aufgaben nicht in ausreichendem Maße koordinieren. Der eine weiß vom anderen nichts, der Familiennachzug wird im Auswärtigen Amt verhandelt und wer – um nur ein einziges Beispiel von vielen zu nennen ­– wissen möchte, inwieweit die Infektionsschutzgesetze und die Pflichtuntersuchungen wahrgenommen bzw. durchgeführt werden, hangelt sich von Behörde zu Behörde nur um immer weiter nur von neuen Nicht-Zuständigkeiten zu erfahren (TE recherchiert aktuell in dieser Frage: Eine Reihe schriftlicher Anfragen wurden gestellt, Antworten stehen noch aus.)

Im Nachgang zur Bundespressekonferenz darf dann um 12:19 Uhr der Vize-Geschäftsführer von pro-Asyl, Bernd Mesovic auf phoenix kommentieren.

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