Tichys Einblick
Anonyme Attacke

Ungarn verweigert sich der Migrationsdiplomatie der EU

Die arabische Liga hat ein prominentes Vorbild. Die Drohung Gaddafis ist wahr geworden, der Ball liegt für sie auf dem Elfmeterpunkt. Ungarn aber möchte dieses erpresserische Spiel abpfeifen und kassiert dafür von den deutschen Leitmedien die Behauptung eines EU-Eklats.

GEERT VANDEN WIJNGAERT/AFP/Getty Images

Ungewollt doppeldeutig klingt es bei n-tv, wenn die Webseite des Senders titelt: „Ungarische Migrations-Blockade regt EU auf.“ Doppeldeutig, weil „Migrations-Blockade“ etwas Negatives ausdrücken soll, also in etwa suggeriert, so eine Blockade wäre nur noch mit Rosinenbombern beizukommen. Ironischerweise will die EU-Führung, einschließlich Angela Merkel, ihren Bürgern weismachen, sie würde genau daran arbeiten: An einer Blockade der Migration, durchgesetzt beispielsweise mittels Türkei-Deal und illegale Migration eindämmenden Verhandlungen mit den afrikanischen Mittelmeer-Anrainern.

Was also soll Ungarn nach Ansicht eines EU-Diplomaten (anonym zitiert von dpa) falsch gemacht haben, was einzelne deutsche Medien quasi widerstandslos abzubilden bereit sind, wenn es da heißt: „Die ungarische Regierung bringt die Mitgliedsstaaten mit einer Blockade alle gegen sich auf.“ Alle? Wer sind diese alle? Alle der illegalen Migration positiv gegenüber eingestellten EU-Mitgliedstaaten? Denn anders kann man es ja kaum lesen. Proteste gegen die ungarische Haltung, dem Hören nach verifiziert aus anonymen Quellen eines oder maximal zweier EU-Diplomaten mit dem Fazit, Ungarn bringt EU gegen sich auf?

Genannte Medien berichten davon, es läge an Ungarn, dass die EU nicht mit einer Stimme sprechen kann, wenn man sich im Februar mit der arabischen Liga trifft um über Migration aus diesen Ländern nach Europa zu sprechen. Um kurz gesagt, sich gegenüber einer Erpressung aufzustellen, die mit Blick auf die Liga ungefähr so funktioniert: Theoretisch können wir unsere Grenzen schützen und illegale Migration nach Europa verhindern, aber was wäre es euch wert?

Solche Fragestellungen sind spätestens seit dem jahrelangen Migrationsbasar mit Muammar al-Gaddafi an der Tagesordnung, damals, als sich die EU mit dem Libyer immer wieder an den Verhandlungstisch setzte, damit der dafür Sorge getragen hat, dass die illegale Migration nach Europa ausbleibt; als Gaddafi beispielsweise 2010 beim dritten EU-Afrika-Gipfel in Tripolis Milliarden für seine Grenzsicherung von der EU forderte. „Europa wird schwarz werden“, drohte der Libyer.

Damals waren es lediglich ein paar tausend, zumeist Männer, aus Afrika, die es jedes Jahr von Libyen aus über das Mittelmeer nach Europa schaffen wollten, um Asyl zu beantragen. Gaddafis fünf Milliarden hatte die EU einmal läppische 50 Millionen gegenübergestellt. Heute, kein Jahrzehnt später, sind Gaddafis Milliardenforderungen gar nicht mehr so utopisch und in den Bereich des Denkbaren gerückt, angesichts einer erdrückenden Zuwanderungsquote nach Europa, verbunden mit entsprechenden Belastungen der Sozialsysteme der vorwiegend nordeuropäischen Zielländer.

Die arabische Liga hat also ein prominentes Vorbild. Die Drohung Gaddafis ist wahr geworden, der Ball liegt für die Araber auf dem Elfmeterpunkt.

Ungarn aber möchte dieses erpresserische Spiel hier abpfeifen und kassiert dafür von den deutschen Leitmedien die Behauptung eines EU-Eklats.

Diplomaten aus Brüssel hatten nicht für die Öffentlichkeit bestimmte EU-interne Debatten öffentlich gemacht, offensichtlich mit dem Ziel, Stimmung gegen Ungarn zu machen. Nun liegt ein Wesensmerkmal der Diplomatie auch in der Geheimhaltung oder nennen wir es vornehmer, Diskretion. So können dann hinter verschlossenen Türen Debatten geführt werden, auch um abweichende Haltungen, um zum Schluss mit einem Kompromiss als gemeinsame Haltung öffentlich zu werden bzw. bei fehlender Einigung eben keine Verlautbarungen abzugeben, wo es nichts zu verlautbaren gibt.

So einfach, aber offensichtlich auch so schwer, wenn mächtige EU-Staaten wie Merkels Deutschland ihre Zuwanderungsagenda als gesetzt betrachten und gar keine internen Debatten und Diskussion zulassen wollen. Ungarn verweigert sich dieser Agenda trotzdem, so wie sich Ungarn auch dem Migrations- und Flüchtlingspakten verweigert, die ebenfalls maßgeblich von der Berliner Regierung mitinitiiert wurden.

Die deutsche Presseagentur (dpa) zitiert ihren EU-Diplomaten-Informanten nun so: „Wir sind am Freitag Zeugen eines diplomatischen Amoklaufs Ungarns geworden. Die ungarische Regierung hat selbst weitreichende Kompromissvorschläge aus ideologischen Gründen abgelehnt und sich mit dieser Blockadehaltung im EU-Kreis isoliert.“

Wenn also Ungarn zu seinen Positionen in der Migrationsfrage steht, dann ist das ein „Amoklauf“? Dann können dafür nur „ideologische Gründe“ ursächlich sein? Aber was für eine Ideologie soll das sein? Die vom christlichen Abendland, die von der Grenzsicherung souveräner Staaten, die von staatlicher Souveränität eingebunden in EU-Verträge, die ihm eine Migrationspolitik aufzwingen will, deren negative Seiten längst von Paris bis Berlin die täglichen Nachrichtern bestimmen, wenn Migration zum Sicherheitsproblem für Europa geworden ist?

Die EU-Außenminister wollen sich Ende Februar mit Kollegen der Arabischen Liga im ägyptischen Scharm el Scheich treffen. Es heißt, die EU erhoffe sich von einer engeren politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit auch Fortschritte gegen illegale Migration über das Mittelmeer. Ja, so kann man es auch ausdrücken, wenn man eigentlich sagen will: Wir tolerieren antidemokratische Bewegungen in euren Ländern, wir unterstützen euch wirtschaftlich mit der Europuderdose, haltet ihr uns dafür die illegale Migration vom Hals, jedenfalls so lange, bis wir unsere Gelbwesten und die neuen Parteien in unseren Parlamenten wieder im Schwitzkasten haben.

Der von der dpa zitierte Informant berichtete weiter: „Die ungarische Regierung muss sich fragen lassen, was sie davon hat, die Vertiefung der Zusammenarbeit der EU mit der Arabischen Liga zu erschweren. Gerade bei der von Ungarn geforderten Bekämpfung der illegalen Migrationsströme über das Mittelmeer geht ohne die arabischen Staaten nichts.“ Ungarn soll sich nun dieser Annahme verweigern, aber mehr als ein paar dünne vorwurfsvolle Sätze hinter der dpa-Stellwand sind dazu bisher nicht zu vernehmen. Es darf angenommen werden, dass die Argumentation der ungarischen Seite dann doch etwas komplexer ausfällt. Und es muss nicht groß spekuliert werden, wie verhandelt wird, wenn ein Außenminister Heiko Maas in Sharm-El-Sheik antritt, deutsche Interessen zu vertreten. Nein, Heiko Maas vertritt nicht die ungarische Linie, aber welche dann?

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