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Tagesschau und PC-Sprache: Von „Flüchtlingen“ zu „Migranten“ zu „Menschen“

Tagesschau und Tagesthemen im verwirrenden Strudel der Wahrheitssuche: Also von „Flüchtlingen“ zu „Migranten“ zu „Menschen“. Der Schmetterling der nachrichtlichen Tagesschau-Wahrheit steckt dabei noch teils im Kokon – aber will jetzt heraus ans Licht.

Symbolbild

imago Images

Der neue SWR-Intendant Kai Gniffke hatte sich Anfang Herbst 2020 mit Geständnissen eines Grabenbauers profiliert, als er den Öffentlich-Rechtlichen als Arbeitgeber und sich selbst in Funktion bescheinigte, sie hätten gemeinsam „einen gewissen missionarischen Eifer“ an den Tag gelegt. Absichtsvoll beispielsweise hätte man damals die AfD als „rechtspopulistisch“ stigmatisiert.

Nun war Gniffke als ehemaliger Chefredakteur der Tagesschau und der Tagesthemen tatsächlich verantwortlich: Das schon anzüglich enge Büßerhemd zog er erst über, nachdem er das öffentlich-rechtliche Nachrichtenflagschiff verlassen hatte hin zu höheren Weihen als Boss auf die Brücke des SWR, ahoi Herr Kapitän.

Wieviel ist Gniffkes Abbitte aber wert, was hat sich heute geändert? Gniffke verließ im Frühjahr 2019 die Tagesschau/Tagesthemen. Klar, so ein gewaltig aufgeblasener Apparat braucht wahrscheinlich eine Weile, Luft aus den Schwimmreifen zu lassen, eine politische Agenda wieder fallen zu lassen, so wie er gebraucht hatte, die Luft in den Hohlraum zu pumpen.

Nehmen wir beispielsweise Personen, die bei uns einen Asylantrag stellen. Die Debatte ist nicht neu: Sind das Flüchtlinge oder Migranten? Nein, die überwiegende Anzahl der zu uns Kommenden ist nicht auf der Flucht in Deutschland hängengeblieben, sondern hat sich aus wirtschaftlichen Erwägungen von Weither ins gelobte Land auf den Weg gemacht. Armut (im Westmaßstab) – das mag man individuell bedauern, es ist aber rechtlich kein Asylgrund.

Die Tagesschau twitterte beispielsweise am 15. Januar 2017:
„Mehr als 100 Flüchtlinge im Mittelmeer vermisst.“

Am 21. Februar nutzte die Redaktion dann schon beide Begriffe (Flüchtling/ Migrant) nebeneinander her:
„Bei neuer Flüchtlingstragödie Dutzende Migranten ertrunken.“

Anfang 2020, also wenige Monate nach der Abbitte von Gniffke hieß es schließlich nur noch:
„Mittelmeer: 229 Menschen vor libyscher Küste gerettet.“

Aus Flüchtlingen wurden Migranten wurden Menschen. Allerdings ist bei Tagesschau immer noch von „Seenotrettung“ die Rede. Freilich ohne zu erwähnen, dass diese „Seenot” absichtsvoll herbei geführt wird zum Zwecke der illegalen Einreise vorwiegend nach Deutschland. Die Menschen wären, so Tagesschau weiter: „in der Nähe der libyschen Küste in Seenot geraten.“ Aber was haben diese Menschen dort gemacht? Gefischt? Mit Schlauchbooten nach Europa fahren – das wusste jeder an Bord, dass funktioniert nicht. Und dort sitzen auch keine Libyer in den Booten, die vor Folter und Vergewaltigung in ihrem Land fliehen, diese Menschen kommen aus dem afrikanischen Hinterland nach Libyen.

Vom Flüchtling zum Migranten zum Menschen. Aber der Schmetterling der nachrichtlichen Tagesschau-Wahrheit steckt weiter ein stückweit im Kokon drin und will heraus:

So heißt es dann in einer Tagesschau-Meldung am 5. Februar 2021:
„800 Menschen interniert: Libyen stoppt Migranten auf See.“

Hier wurde der Flüchtling wieder zum Migranten und der Seenotrettung brutal die -notrettung amputiert.

Aber keine Sorge, natürlich gibt es bei so einem aufgeblasenen Apparat wie den öffentlich-rechtlichen Programmen Rückschläge in Gestalt ambitionierter Redakteure und Redakteurinnen, die jene in mühsamen Lerneffekten als unumstößlich anerkannte Fakten sabotieren wollen oder sich einfach nicht an die bittere Wahrheit gewöhnen können – vielleicht, weil der Neusprech schon zu tief eingesickert ist und man Gniffke einfach Gniffke sein lässt, der alte Bursche ist ja nicht mehr dabei.

So hieß es also am 23. Januar 2021 geradezu revanchistisch wieder bei Tagesschau-Twitter:
„374 Flüchtlinge auf „Ocean Viking“: Hilferuf nach sicherem Hafen“

Was war hier mindestens passiert? Tagesthemen hat sich geflissentlich der Sprache der Nichtregierungsorganisationen angepasst. Zu eng verknüpft, zu oft miteinander ins Bett gestiegen, wo der x-te Experte Gesprächspartner vor Nachrichtenkameras ist, ohne dass man es für nötig hielt, einmal eine der kritische Stimmen dazu zu hören: Die Nachrichtenmacher auf humanitärer Patrouille – es wird der Moment kommen, wo der erste Nachrichtensprecher mit Rettungsweste auftritt: Aus Solidarität. Caren Miosga und Claus Kleber, sie sind an der Reihe: Ahoi Anchormen!

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