Tichys Einblick
Politische Alchemie

Studie – Banale Erkenntnis: Islamisten sind Muslime

Die Aussage „All das hat mit dem Islam nichts zu tun“ verhindert in der islamischen Community die dringend notwendige Auseinandersetzung mit einer radikalisierenden Theologie, verleiht den radikalisierten Gruppen Legitimation und stärkt deren Positionen.

© Getty Images

Gehört der Islam zu Deutschland? Und gehört der Terror von Islamisten zum Islam? Welche Frage ist schwieriger zu beantworten? Zu letzterer könnte man es sich einfach machen und sagen: Nach salzig kommt nun mal versalzen. Denn zu behaupten, Versalzenes sei gänzlich frei von Salz und sei im Grunde genommen etwas ganz anderes, darf zu Recht Alchemie genannt werden.

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Die politische Alchemie der Bundesrepublik Deutschland und ihre medialen Suppenköche hatten sich nach anfänglichem Zögern und unter dem Eindruck einer nicht abreißen wollenden islamistischen Terrorserie darauf geeinigt, dass die Anschläge von Paris, Brüssel, Nizza oder Berlin, dass das alles nichts mit dem Islam zu tun haben darf, soll und kann. Nicht, wenn der Islam zu Deutschland, zu Europa gehört, nicht wenn mit der ersten Einwanderungswelle 2015 hunderttausende überwiegend muslimische junge Männer hier gestrandet sind und eine weitere Massenzuwanderung weiterer junger muslimischer Männer bereits in den Startlöchern steht.

Zwar sagte Bundeskanzlerin Merkel noch in ihrer Regierungserklärung zu den Terroranschlägen von Paris: „Die Menschen fragen, wie man dem wieder und wieder gehörten Satz noch folgen kann, dass Mörder, die sich für ihre Taten auf den Islam berufen, nichts mit dem Islam zu tun haben sollen.“ Das seien berechtigte Fragen: „Ich halte eine Klärung dieser Fragen durch die Geistlichkeit des Islam für wichtig, und ich halte sie für dringlich. Ihr kann nicht länger ausgewichen werden.“

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Passiert ist indes nichts. Schon der Focus fragte im Januar 2015 in einer Titelgeschichte nach: „Hat der Islamismus wirklich nichts mit dem Islam zu tun?“ Aber schon kurz nach dem Charlie-Hebdo-Massaker legten Politiker wie Sigmar Gabriel den neuen Kurs fest: „Das hat nichts mit dem Islam zu tun.“ Wer dennoch weiter das Gegenteil behauptete, sah sich von nun an dem Vorwurf der Islamophobie ausgesetzt. Und mit der Masseneinwanderung hunderttausender Muslime nach Deutschland nach Merkels Gnaden wurde ein Mantra daraus: Nein, der islamistische Terror hat nichts mit dem Islam zu tun.

Idealerweise unterfüttert man nun so ein Mantra  noch mit Argumentationshilfen für die letzten Zweifler im Reichstag und in den Redaktionen. Also folgten eine Reihe von subventionierten Studien, zuletzt noch vor wenigen Wochen aus der Universität von Osnabrück, wo man knapp sechstausend Salafisten-Postings aus den sozialen Medien gelesen hatte und zu dem Schluss kam: „Die Studie des Forschungsnetzwerks Radikalisierung und Prävention (FNPR) der Universitäten Osnabrück und Bielefeld zeigt, dass die Gruppenmitglieder offenkundig nur über rudimentäre oder gar keine Islamkenntnisse verfügen.“

Grundlage waren hier Chat-Verläufe von bis zu zwölf mutmaßlich der Salafistenszene nahestehenden jungen Männern. Die Mitglieder der Gruppe hätten kaum Bindungen an Moscheegemeinden oder traditionelle Formen des Glaubens, so die Forscher.

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Die Auswertung der Postings von „bis zu zwölf“ Apostel des Bösen sollten also belegen, das radikale Islamisten was den wahren Islam angeht, völlig unbedarft seien, keine Ahnung von dieser Religion hätten und also beweisen würden, das islamistischer Terror einfach nur Terror sei und nichts mit dem Islam zu tun hätte. Also eine Vorgehensweise, die einer zunehmenden Islamfeindlichkeit entgegenwirken soll.

Zu einem ganz anderen Ergebnis als es die Bielefelder es gerne aus ihren Chat-Protokollen herausgelesen haben wollten, kam nun allerdings der an der Universität Wien wirkende islamische Theologe Ednan Aslan vom Institut für Islamisch-theologische Studien. Er hatte 29 biografische Interviews mit straffälligen Muslimen (26 von ihnen in Gefängnissen, drei in Jugendeinrichtungen) geführt. Zwar waren zwei Drittel der Gesprächspartner von Ednan Aslan ethnische Tschetschenen, entscheidender aber ist wohl das Ergebnis der Studie, welches besagt, dass die aktive Auseinandersetzung „mit Inhalten, Normen und Wertvorstellungen der islamischen Lehre“ bei der islamistischen Radikalisierung eine maßgebliche Rolle spielt.

Zitat: „Diese intensive Auseinandersetzung mit theologischen Themen stellt bei vielen Befragten einen Wendepunkt in ihrem Leben dar, der mehrheitlich positiv bewertet wird.“

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Die Aslan-Studie stützt sich in erster Linie auf die in Interviews erhobenen Biografien von Personen, die sich aufgrund des Delikts „Unterstützung einer terroristischen Gruppe“ in Haft befanden. Dabei lag der Fokus auf einer Form der Radikalisierung, die ihre Legitimation aus der islamischen Theologie bezieht und sich auf Konzepte beruft, die in der islamischen Theologie verankert sind. Die Studie gliedert sich in „Radikalisierung“, „Methodischer Zugang“ und „Die Biografien“.

In der anhängenden Diskussion der Ergebnisse (S. 267 ff.) stellt man fest, dass es sich bei dieser „Form der Radikalisierung um einen aktiven Prozess der Auseinandersetzung des Individuums mit bestimmten religiösen Lehren, Normen und Wertvorstellungen handelt. Dabei radikalisieren sich Individuen nicht isoliert, sondern in direkter Auseinandersetzung mit einem sozialen Umfeld, das in dieser Studie als radikales Milieu bezeichnet wird. (…) Innerhalb dieses Milieus zirkuliert ein Diskurs, der die Welt als einen Ort der Entfremdung konstruiert. Die Umwelt wird als „verkommen“ wahrgenommen.“

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Aufschlussreich findet beispielsweise die Tagespost, dass der Großteil der Befragten aus einem gläubigen muslimischen Elternhaus stammt und die Grundlagen des Islam bereits vor der Radikalisierung kannte. „Die weit verbreitete Ansicht, radikale Muslime hätten meist nur eine geringe Kenntnis ihrer Religion, habe sich in dieser Untersuchung nicht bestätigt, heißt es in dem 310 Seiten starken Werk.“

Und wenn der Autor der Studie einräumt, dass international jene Studien, die Religion als hauptursächlich für islamistische Radikalisierung sehen, in der Minderheit sind, dann darf man hier gerne annehmen, dass das keineswegs automatisch gegen seine Ergebnisse spricht. Ednan Aslan hält es für wichtig, festzustellen, dass bei der Radikalisierung bestimmte Moscheen und religiöse Autoritäten eine zentrale Rolle spielen: „Personen, die über ein höheres theologisches Wissen verfügen, fungieren als Autoritäten und spielen bei der Verbreitung der Ideologie eine zentrale Rolle.“

Für Aslan sind inszenierte Akte terroristischer Gewalt „oft nur die Spitze des Eisbergs“ und „Kulminationspunkt eines langwierigen Entwicklungsprozesses“. Oder noch besorgniserregender: „Es gibt ein theologisches Naheverhältnis zwischen salafistischen Organisationen und dschihadistischen Gruppen.“ Es genüge jedenfalls nicht, die Gewalttaten mit der Frustration perspektivloser und ungebildeter Jugendlicher zu erklären, schlussfolgert wieder der Tagesspiegel.

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Auch die WELT erinnert sich in dem Zusammenhang an die Studie aus Bielefeld und stellt sie der Studie aus Wien gegenüber, die zu einem ganz anderen Ergebnis kam. Zwar kommentiert oder vergleicht die WELT nicht, zitiert aber vielsagend aus der Bielefelder Studie und der Begründung für islamistische Gewalttaten: „Auslöser könnten etwa Gewalterfahrungen durch Eltern, Tod in der Familie oder Drogenkonsum sein.“

Ja, vielleicht sind auch nur unglückliche Jugendlieben, Pubertätsprobleme oder einfach zu wenig Taschengeld die Ursachen für islamistischen Terror, möchte man noch hinzufügen.

Im letzten Teil seiner Studie (S. 274)  gibt Adnan Aslan den politischen Entscheidern noch einen Ratschlag mit auf den Weg:

„Der Versuch, Radikalisierung allein durch die Schaffung von Beschäftigungsperspektiven zu begegnen – ein Ansatz, der von vielen PolitikerInnen unterschiedlicher Couleur geteilt wird – , verkennt die Ideologie und die Überzeugungspraktiken dieser Bewegung und suggeriert, dass Individuen, die von Radikalisierung betroffen oder radikalisierungsgefährdet sind, durch Maßnahmen wie eine geregelte Beschäftigung zu bändigen seien.“

Aber wie sind sie dann zu bändigen? Jedenfalls nicht, indem man den Zusammenhang verleugnet, meint Aslan:  Die alleinige Aussage „All das hat mit dem Islam nichts zu tun“ verhindert leider in der islamischen Community die dringend notwendige Auseinandersetzung mit einer radikalisierenden Theologie und verleiht den radikalisierten Gruppen nicht nur Legitimation, sondern stärkt sogar deren theologische Positionen.

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