Was für eine vollständig beknackte Räuberpistole mit maximalem Ausgang war das eigentlich? Der erste Gedanke geht natürlich zu Ronald Barnabas Schill, zum ehemaligen Innensenator Hamburgs, der sich bei einer Paolo-Pinkel-mäßigen Kokainparty hatte filmen lassen. Gab es bei Heinz-Christian Strache auch Kokain? Der Film soll sechs Stunden lang sein und Böhmermann hatte die Droge verbal eingeführt, als der Moderator eine Andeutung zu Straches Rendesvouz mit der falschen russischen Prinzessin und angeblichen weißen Linien auf dem Glastisch in dem Häuschen auf Ibiza machte, der Drogenpartyinsel der 1970er Jahre. Wer hier nicht grinsen muss ob dieser völlig aus dem Ruder gelaufenen Inszenierung, dem ist nicht mehr zu helfen.
„Nicht nur die #AfD-Spitze schweigt zu den #Strache-Enthüllungen von @DerSPIEGEL und @sz, auch die Wortführer der sonst so vehement twitternden „alternativen“, „konservativen“ und „freien Medien“ sind verdächtig still.“
Man stelle sich vor, die von Amann angesprochenen Medien hätten kommentiert, noch bevor Amann selbst ihren Kommentar getwittert hat. Und in den darauf folgenden Stunden twittert sich die Reporterin einen veritablen Wolf, als wäre sie es höchst selbst gewesen, die das bloßstellende Video gedreht hat. War Amann ebenfalls im Zimmer? Aber als was? Als knackiges Ibiza-Mädchen? Nein, natürlich nicht. Stattdessen drehen Gerüchte die Runde, Nachrichtendienste seien irgendwie beteiligt, zeitgleich spricht der deutsche Verfassungsschutz den Kollegen in Österreich sein Misstrauen aus, weil irgendwer irgendwem in Russland irgendwas zugeschoben haben soll.
Ein zwei Jahre altes Video Tage vor einer EU-Wahl platziert, die den Etablierten bis dahin brutal Angstschweiß auf die Stirn getrieben hat angesichts einer vermuteten weiteren Erstarkung der rechten und konservativen Kräfte im EU-Parlament, da müssen doch alle Alarmsirenen losgehen. Hat der Spiegel so lange gewartet, weil er an den Stern und die Hitlertagebücher gedacht hat? Hatte der Spiegel deshalb so lange gebraucht, weil man sicherheitshalber von Fachleuten überprüfen ließ, ob Strache wirklich Strache oder doch ein Strache Schauspieler ist? Schließlich kennt man Strache nur im Anzug und nicht verschwitzt und hektisch im Unterhemd vor dem voll gepackten Glastisch nebst einer Nastrovje-Goldmarie. Aber Strache war dann tatsächlich Strache. Hatte es so lange gedauert, das herauszufinden?
Nachdem also Spiegel-Amann das Auftaktsignal gab, trompetete der ganze Verein. Seinen persönlichen Twitter-Höhepunkt feierte Ralf Stegner (SPD), als er wieder einmal völlig entfesselt schrieb (was steht bei dem Mann eigentlich in Schleswig auf dem Glastisch?):
„Das armselige Rücktrittsvideo dieses rechtsradikalen österreichischen Vizekanzlers und FPÖ Hetzers Strache ist noch interessanter als das Tatvideo über die schmierige Ibizaprotzgeschichte, das ihn zu diesem Schritt gezwungen hat, um die Rechts&Rechtsradikal-Koalition zu retten.“
Und dann konnte sich auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil nicht mehr an
der Reling halten: „Sebastian Kurz hat keine andere Möglichkeit als diese Regierung sofort zu beenden und sich dafür zu entschuldigen, dass er Spaltern und Hetzern wie Strache Verantwortung übertragen hat.“
Dermaßen hochgetwittert empfand auch Ulf Poschardt den dringenden Wunsch, irgendetwas Schlaues zum Strache-Unterhemd zu schreiben:
„die #StracheVideos zeigen: bürgerliche können nicht mit rechtsaußen koalieren. es desavouiert bürgerliche demokratiestandards“
Aber es wurde noch lustiger, als Jakob Augstein als ehemaliger Pöbel-Kompagnon von Ralf Stegner eben dem und Klingbeil und Poschardt usw. den Spaß verderben wollte oder einfach nur neidisch war über deren schnelle Twitterei, als Augstein retournierte:
„Einziger Nachteil: die Rechten haben einen neuen Märtyrer: in die Falle gelockt, trunken gemacht, heimlich gefilmt, 2jahre liegengelassen, dann 6min von 6std gesendet – die Geschichte erzählt sich von selbst. Darum wird das weder der FPÖ noch der AfD schaden.“
Eine Geschichte, wie aufgeschrieben von einem ziemlich bekoksten Drehbuchautor und dann nicht etwa in der Schublade verschwunden, sondern tatsächlich gedreht, aber eben als Doku.
Und jetzt wollen wir nur noch eines wissen: Wer hat das (genial Schill-esque) inszeniert? Und dann gewartet, die Geschichte zu platzieren – mit der Auflage, dass sie genau in der Woche vor den EU-Wahlen hochgeht? Und was hat Tal Silberstein eigentlich damit zu tun? Musste der so lange warten, weil er wegen seiner letzten Affäre verbrannt war? Oder doch Chodorowski wie bei allen jüngsten Geschichten über Russland und europäischen Rechte?