Beginnen wir zunächst einmal in Brüssel: Dort ist Věra Jourová EU-Kommissarin für Justiz und Verbraucherschutz. Und gerade kommen aus ihrem Haus alarmierende Meldungen über eine geplante finanzielle Unterstützung der so genannten Qualitätsmedien. Da ist die Rede von einem „weichen“ Ansatz, der zu wählen sei, wenn man sich anschickt einen regulierenden Eingriff in die Unabhängigkeit der freien Presse vorzunehmen, den die Süddeutsche Zeitung so umschreibt: „Die Kommission „erwägt“ sogar, sich irgendwann zum Ausmaß zu äußern, mit dem die Mitgliedstaaten ihren Medien finanziell unter die Arme greifen dürfen.“ Diejenigen Medien also, die sich in ihrer Berichterstattung als Qualitätsmedium – wer das definiert, dazu gleich mehr – bewähren, sollen dafür zukünftig finanziell belohnt werden.
Die von Jourová gewählte weichere, also vorsichtigere Vorgehensweise, basiert auf der Empfehlung einer Expertengruppe, die im März diesen Jahres der EU-Kommissarin zulieferten, als einer dieser Experten, Rasmus Nielsen, Journalismus-Professor an der Universität Oxford, empfahl: „(N)ach allem, was wir wissen, ist eine harte Regulierung kein effizientes Mittel gegen Online-Desinformation – ja vielleicht sogar kontraproduktiv.“ Ist Věra Jourová nun schon deshalb eine vernünftigere EU-Kommissarin, weil sie noch zögerlich bleibt, wo nationale Ministerien und Medien beispielsweise in Deutschland längst drängeln?
Stellen wir fest: Regulierende Maßnahmen im Spielfeld der freien Presse sind auf EU-Ebene beinahe beschlossene Sache, aber der via sozialer Medien mittlerweile zur Hysterie neigende Bürger soll nicht überfordern werden, man will es „weich“ angehen. Was diese sozialen Medien und ihre Plattformen angeht, habe man „bis jetzt gezögert, gesetzliche Regelungen vorzuschlagen.“ Das EU-Kommissariat für Justiz und Verbraucherschutz hat dazu aber bereits eine 15-seitige „Kommunikation“ aufgeschrieben, die – na klar – der Süddeutschen Zeitung bereits als Entwurf vorliegt. Dort soll es laut SüZ darum gehen, einem sinkenden Vertrauen in die gesellschaftlichen Institutionen entgegenzuwirken („Gefährlich für die Demokratie sei sie, weil sie das Vertrauen in die gesellschaftlichen Institutionen aushöhle.“)
Die SüZ berichtet weiter aus dem EU-Bericht, es würde dort vorgeschlagen, „Indikatoren“ zu schaffen, die Nutzern der sozialen Medien künftig helfen sollen, die Vertrauenswürdigkeit von Netz-Quellen besser beurteilen zu können. Geschaffen werden sollen Organisationen, „die Fakten prüfen.“ Geprüft etwa von Fachleuten aus der Wissenschaft. Dafür müssen man dann die Plattformen dazu bringen, leichter Zugang zu ihren Daten zu gewähren, „um Desinformation besser analysieren und beobachten zu können.“
Aus der Wissenschaft? Natürlich, die entsprechenden Medienethiker scharren schon länger mit den Füßen. Nein, die Idee solcher staatlichen Eingriffe samt öffentlich-rechtlicher Querfinanzierung der „Qualitätsmedien“ basiert auch auf Ideen jener Wissenschaftler, die nach EU-Vorstellung nachher die „Vertrauenswürdigkeit von Netz-Quellen besser beurteilen“ sollen. Auch hier wieder Triebmittel für die große Sause aus EU-Mitteln und eine von öffentlicher Hand finanzierte Job-Maschine?
Konkret hatte sich beispielsweise Prof. Dr. Christian Schicha von der Universität Erlangen-Nürnberg dafür ausgesprochen, jene Zeitungen, die er persönlich als Qualitätsmedien auserkoren hat, staatlich zu subventionieren. Also keine so neue Idee öffentlich-rechtlicher Zeitungen, wenn Schicha schon Anfang 2017 schreibt: „Was könnten darüber hinaus Finanzierungsmodelle der Zukunft sein – Medienabgaben, Crowdfunding? Hier müssen wir uns intensiv Gedanken machen.“ Da fordert also ausgerechnet der Medienethiker einer größeren deutschen Universität eine „Medienabgabe“.
Der Ethiker empfahl also explizit eine Reihe von Zeitungen zur Lektüre: „Einzige Lösung: Medien lesen, auf die man sich verlassen kann. Das sind für mich die Zeit, der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung und auch das Recherchenetzwerk von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung.“ Aber Lösung für was? Schicha sagt über sich, er sei „ein großer Verfechter der Konsumentensouveränität.“ Er könne „keinem vorschreiben, die Süddeutsche zu lesen.“ Das zu bedauern, ist Aufgabe eines Medienethikers? Schicha weiter: „Aber ich kann weiter dafür sorgen, dass es solche Angebote gibt. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das sich über die Rundfunkgebühr finanziert, ist für unsere unabhängigen Medien elementar.“ Das ist der Erlanger Blick in den Geburtskanal der öffentlich-rechtlichen Zeitungen.
Die vom Professor empfohlene Zeitung „Die ZEIT“ holt sich aktuell übrigens Hilfe bei „Reporter ohne Grenzen“, die festgestellt hatten: „In keiner anderen Weltregion hat sich die Lage der Pressefreiheit im vergangenen Jahr so stark verschlechtert wie in Europa.“ Erstaunlich hier allerdings, dass sich ausgerechnet Die ZEIT explizit davon angesprochen fühlt, wo sie doch zu jenen „Qualitätsmedien“ gehören soll, der die EU „weich“ unter die Arme greifen will und der das deutsche Justizministerium das Internet und die sozialen Medien gratis neu erschließen will, wenn sich Justizministerin Katarina Barley für eine staatlich verordnete Überpräsenz der Medien ihrer Wahl einsetzen will.
Hat die ZEIT-Redaktion den Schluss ihres Artikels über Deutschland in der Rangliste der Pressefreiheit überlesen? „Erneut registrierte Reporter ohne Grenzen eine hohe Zahl an tätlichen Übergriffen, Drohungen und Einschüchterungsversuchen gegen Journalisten, insbesondere bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017. Problematisch sind zudem das Anfang 2017 in Kraft getretene BND-Gesetz und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen Hassäußerungen in sozialen Medien; sie sorgten auch international für Diskussionen.”
Am morgigen Donnerstag erscheint dann die 15-seitige „Kommunikation“ aus dem EU-Kommissariat für Justiz und Verbraucherschutz, welche der Süddeutschen schon vorliegt. Werden wir uns bei TE ganz ohne öffentlich-rechtliche Subventionen genauer anschauen, versprochen.