Mindestens jene, die schon einmal publiziert haben, wissen um den Wert eines Auftrittes in einer Talkshow mit einem Buch oder in einer der rar gesäten Buchsendungen wie Druckfrisch, Das literarische Quartett oder noch besser: bei der Kultursendung ZDF-Aspekte, die regelmäßig Buchtitel vorstellen und Autoren aufs düstere Ledersofa bitten. TV-Auftritte sind ein Meilenstein, wenn es gilt hohe Verkaufszahlen zu erreichen. Verkäufe, die sich noch potenzieren, wenn man sich in der Spiegel-Bestsellerliste wiederfindet, die sich an eben diesen Zahlen orientiert. Ist man einmal auf dieser Liste, darf das entsprechende Druckwerk dauerhaft mit dem leuchtroten Bestsellerbutton beklebt werden, was wiederum, na klar, weitere Verkäufe pusht. Denn vielen Käufern gilt der Spiegel-Button im Buchhandel als Leuchtturm, als hohes Qualitätsversprechen.
Aber neue Bücher müssen es erst einmal bis dahin geschafft haben. Rezensionen in den Leitmedien werden zwar oft überbewertet, aber sie bleiben ein wichtiger erster Schritt. Wer es dann noch schafft, eine mediale Debatte anzustoßen, also mit seinem Werk unterschiedliche Haltungen in den Rezensionen zu provozieren, dessen Chancen steigen.
Aber wie kommt man an Rezensionen? Große Verlage beschäftigen Fachabteilungen, die sich ausschließlich um solche medialen Abbildungen bemühen. Kulturschreiber werden verwöhnt, umgarnt und gehätschelt. Wer umkippt, muss sich Champagner-Journalist schimpfen lassen. Besonders anfällig sollen in der Vergangenheit Motorjournalisten gewesen sein, die sich gegen Verführungen der Lobby der Autoindustrie immun hätten zeigen müssen – Bonusmeilen, Testfahrzeuge und mehr sollten hier angeblich zu wohlwollender Berichterstattung anhalten. Aber das nur als Leitplanke, denn manchmal muss es nicht Champagner sein, da reicht schon die politisch korrekte Blase, um echte Gemeinsamkeiten zu entdecken, um über den Schatten des lästigen Berufsethos zu springen.
Nun orientiert sich beispielsweise ein Dennis Scheck mit seiner Sendung auf ARD seit fast 15 Jahren eng an diesen Spiegel-Bestsellerlisten, die sich wiederum an den Verkaufszahlen im Buchhandel orientieren. Das macht es besonders schwierig für neue Autoren.
Ein steiniger Weg: Autoren und ihre Verlage müssen nehmen, was sie an Beachtung ergattern können. Eine erste Hürde dorthin überwindet beispielsweise, wer ein Sachbuch geschrieben und wer es damit zunächst auf die Liste „Sachbücher des Monats“ (eine Auswahl geistes- und sozialwissenschaftlicher Bücher in Zusammenarbeit von NDR und Süddeutscher Zeitung) geschafft hat. Vorteil hier: Verkaufszahlen haben keine direkte Relevanz, eine Jury aus 25 unabhängigen Kulturschaffenden entscheidet und berichtet anschließend oft auch in ihren Kultur-Ressorts. Natürlich schielt auch der Buchhändler bei seiner Einkaufsplanung mit einem Auge auf solche Listen. Denn er muss dem Blick seiner Kunden folgen, wenn er ein guter Kaufmann sein will.
Die Juroren „Sachbücher des Monats“ sind Journalisten der Süddeutschen, vom Deutschlandradio, der ZEIT, des NDR und weiteren mehr, nebst einem Kollegen vom Hamburger Magazin Der Spiegel. Jedem Juror stehen 20 Punkte zur Verfügung, die er auf Titel verteilen kann und die dann das Ranking der besten zehn vorgeben.
Jene Chefredaktion, die sich zuvor für ihren Mitarbeiter entschuldigt hatte. „Ich habe nach der Lektüre der wesentlichen Kapitel kein Verständnis dafür, dass der Kollege Saltzwedel dieses Buch empfohlen hat“, so Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer, „und wegen des entstandenen Schadens begrüße ich seinen Rücktritt aus der Jury.“
Hieß es dort zunächst noch, Finis Germania sei ein „rechtslastiges Buch“, sprach die Chefredaktion in einer Erklärung dann von einem „rechtsradikalen“ Buch und die Süddeutsche von „rechtsextrem“.
Nun blieb es nicht beim Rücktritt Saltzwedels aus der Jury. Die Liste selbst wurde auf Eis gelegt, der NDR setzte seine Zusammenarbeit „bis auf Weiteres“ aus und die Süddeutsche beendete sogar offiziell die Zusammenarbeit, nachdem ihr Juror Jens Bisky ebenfalls zurückgetreten war.
„Sachbücher des Monats“ war damit beerdigt worden oder mindestens ins Koma gelegt aufgrund der Reaktionen auf eine Punktevergabe aus dem Hause des Magazins Der Spiegel. Nun war „Finis Germania“ aber eben deshalb auch auf der Spiegel-Bestsellerliste gelandet. Was tun, wenn die Katastrophe nicht nur hausgemacht, sondern nun auch noch im Hause selbst angekommen ist?
Und ausgerechnet noch bei einem so wichtigen Verkaufs-Instrument, wie den Bestsellerlisten, die zu den meistbeachteten Seiten des Spiegel gehören? Die Präsentation der Listen ist eine nicht zu unterschätzende Größe für den Abverkauf des Blattes, ebenso wie für die Klickzahlen Online und generiert zudem noch eine kostenlose Dauerpräsentation des Spiegel in sämtlichen Buchhandlungen samt Präsentation des Spiegel-Schriftzuges rund um diese Bestseller-Regale. Eine unbezahlbare Werbung, die da nun ein einzelner Mitarbeiter in Misskredit gebracht hatte.
Die Panik in Hamburg, Ericuspitze 1 muss im Panik-Ranking kurz hinter der des Stern 1983 über Hitlertagebuch-Beschaffer Heidemann angekommen sein. Aber Panik ist kein guter Ratgeber: So löschte der Spiegel klammheimlich den Titel von der Bestsellerliste, was zunächst den Eindruck erwecken konnte, die Verkaufszahlen seien schlicht durch den Buchhandelsboykott zurückgegangen. Erst nach teils wütenden Protesten Tage später das Geständnis aus der Spiegel-Chefredaktion:
Man habe das Buch von der Liste entfernt, weil man nunmehr die Verkaufsliste auch als Empfehlungsliste verstanden wissen will. „Eingriffe in die Bestsellerliste sind den Regularien zufolge möglich, allerdings selten. (…) Der Spiegel, der sich auch bei historischen Themen als Medium der Aufklärung versteht, will den Verkauf eines solchen Buches nicht befördern.“ Empfohlen allerdings hatte es ja ursprünglich der Spiegelmitarbeiter Saltzwedel selbst und damit also den Verkauf befördert. Und der Verleger des Buches wird es sich nicht nehmen lassen, zukünftig konsequent den Bestsellerbutton auf seinem Druckwerk zu belassen.
Wird der Spiegel nun konsequenterweise dagegen klagen wollen? Mit welcher Begründung könnte man das bewerkstelligen? Kann man einen rein an Verlaufszahlen orientierten Spiegel-Bestseller dieses Prädikat nachgereicht absprechen? Henryk M. Broder spricht in der Welt von einer Geschichtsschreibung „sowjetischer Zensoren“, die Neue Züricher Zeitung von einem „redlich am Buchhandelstresen erworbenen Listenplatz 6“ und von einer „nicht einmal begründeten Streichung eines messbaren Faktums“. Für den Autor der NZZ ist das gar „Wasser auf die Mühlen all derjenigen, die über die Einseitigkeit der veröffentlichten Meinung klagen und das Wort „Lügenpresse“ im Munde führen“.
Aber zu leugnen, dass ein Buch sich gut verkauft, wird so zur Giftbecherreichung eines nicht angekündigten Todes. RIP Spiegel-Bestellerliste. Denn eines ist klar: Eine auf Verkaufszahlen basierende Liste ist nichts wert, wenn sie nach dem unmaßgeblichen Geschmack eines Redakteurs geändert wird. Zukünftig ist also die Bestseller-Liste im SPIEGEL das, was die Damen und Herren wünschen, dass die Leser kaufen. Oder kommt der SPIEGEL durch mit seinen Schmutzeleien? Vermutlich. Es dauert eben, bis der Ruf endgültig ruiniert ist. Deswegen empfehlen wir:
Wenn man schon dabei ist, Verkaufszahlen zu manipulieren, warum nicht gleich unter dem Eindruck ständig sinkender Verkaufszahlen das Magazin von der Liste der bedrohten Printerzeugnisse streichen und eine veritable Erfolgsgeschichte daraus basteln? Na, das wäre doch mal eine schöne Strafarbeit für den sicherlich bereits scharf abgemahnten Noch-Mitarbeiter Johannes Saltzwedel (siehe Anruf-Protokoll oben).