Müssen orientalische Hochzeiten demnächst wegen der Klimarettung ganz ausfallen? Oder wird der Autokorso mit Sperrung ganzer Straßenzüge wie zuletzt in Sinsheim demnächst auf E-Roller umsteigen der Umwelt zu Liebe? Also diese zu solchen Anlässen üblichen türkischen Fähnchen oder solche anderer Anrainerstaaten des weiteren Orients könnte man ja auch am Rollerlenker befestigen und die Pistolenschüsse lassen sich auch abfeuern, ohne dass man die Scheibe am AMG-Mercedes oder dem SUV herunterfahren muss.
Die Frage ist jetzt nur, wer es den freundlichen Orientalen beibringen will, wer den entscheidenden Hinweis geben mag, wie das hier so läuft mit der gesellschaftlichen Ächtung solcher Veranstaltungen. Wie das ist innerhalb einer alternden Gesellschaft, die keinen Krach mehr verträgt, die unter so einem unangemeldeten lautstarkem Gehupe und Geknalle so gesundheitsgefährdend erschrickt.
Aber Spaß und Hörgerät beiseite: Die Rhein-Neckar-Zeitung berichtet über eine „orientalische Hochzeit kürzlich mitten in Sinsheim“, die leider „aus dem Ruder gelaufen“ sei.
Screenprint: Rhein-Neckar-Zeitung
SPD-Stadtrat Helmut Göschel hat für den Beitrag in der Rhein-Neckar-Zeitung sogar ein Foto beigesteuert – von ihm aufgenommen aus diskreter Entfernung, man weiß ja nie. Also er ist jetzt nicht hingegangen und hat der Gesellschaft die hiesigen Geflogenheiten erklärt, er hat eben ein Foto gemacht, als die Hauptstraße am Samstagmittag kurzerhand dicht gemacht wurde, von mitten auf der Fahrbahn quer geparkten Limousinen der Hochzeitsgäste.
In Sinsheim flaggte eines der zur Straßensperre gehörenden Fahrzeuge mit der türkischen Fahne. Offensichtlich gehört auch das dazu. Andere Länder, andere Sitten, man stelle sich eine deutsche Hochzeit vor, wo Fahrzeuge der Hochzeitsgesellschaft mit deutschen Fahnen ums Eck kommen. Die Angelsachsen binden sich Dosen an den Abschlepphaken, das macht auch einen Höllenlärm und soll böse Geister vertreiben – Lärm gehört also auch anderswo dazu. Aber ganze Straßenzüge sperren und dann noch „fremd“ flaggen?
Aber bleiben wir bei dem diskreten Fotografen der SPD, beim sozialdemokratischen Stadtrat in Sinsheim. Der bezeichnet sich laut Zeitung als „Freund einer offenen, toleranten Gesellschaft“. Aber seine Offenheit hört also genau da auf, wo ein paar Türken oder Türkischstämmige böse Geister austreiben und dicke Autos querstellen. Auch andere Sinsheimer Passanten würden sich provoziert fühlen, „sprechen von einer befremdlichen, einschüchternden Szenerie, dem Gefühl eines rechtsfreien Raums.“ Der SPD-Stadtrat ist innerlich so aufgewühlt von der Szene, die er aus der Ferne heimlich (er wird vermutlich nicht gefragt haben) fotografiert hatte, dass er wenig später seiner Wut ein Ventil gibt und es macht, wie es viele machen, die wütend sind: er facebookt. Und er schreibt dort: „Wenn das Sinsheims Zukunft ist, dann wandere ich aus.“ Aber wo war diese Wut in den letzten Jahren?
Noch schöner: Der Sozialdemokrat hatte mutmaßlich mit seinem Handy nicht nur ein Foto gemacht, sondern, weil er es nun mal schon zur Hand hatte und weil auch noch laut geschossen wurde (Schreckschuss oder Böller oder doch scharf?), gleich die Polizei angerufen, die sich aber laut Angaben des darüber ebenfalls empörten Stadtrates mehr für ihn, als für die Straßensperre interessiert hätte. Er hatte den Fall also gemeldet und dann passierte das Unfassbare: Die Straßensperre löste sich auf, bevor die Polizei erschien, obwohl die doch nur wenige hundert Meter entfernt ihre Station hätte, die Übeltäter mutmaßlich aus dem Orient also noch hätte erwischen können.
Die Polizei fand also niemanden mehr vor, die Straße war frei, man fuhr dann sogar noch zu einer Veranstaltungshalle für orientalische Hochzeiten, dort seien gerade Vorbereitungen einer Hochzeitsfeier getroffen worden. Von besagtem Autokorso hätte aber jede Spur gefehlt, die Fahrzeuge hatten zwischenzeitig ein Shisha-Cafe angesteuert, wie ein Hinweisgeber – einmal mutmaßlich ohne SPD-Mitgliedsausweis – der Polizei melden konnte. Vor Ort, so die Polizei, hätten sich dreißig anwesende Personen allerdings „unkooperativ gezeigt“. Was macht die deutsche Polizei in so einem Fall? Logisch: Man lässt die Sache auf sich beruhen, ist ja auch nichts weiter passiert. Lerneffekt daraus: Zeige dich unkooperativ, dann kann man auch mal ohne Folgen eine Straße sperren. „“Mangels eines konkreten Ergebnisses“ habe man sich daraufhin dazu entschieden, den Vorfall nicht zu vermelden, etwa im Polizeibericht.“
Um nun dieses pittoreske Sinsheimer Bild zu vervollständigen, telefonieren wir mit den Grünen von Sinsheim und fragen mal nach, was da los ist und warum beispielsweise Sinsheim noch nicht „Sicherer Hafen“ ist, warum die Grünen dazu nicht einmal einen Antrag eingebracht hätten und überhaupt, was denn da bei den Kollegen von der SPD los sei in Sachen Autokorso. Am Telefon bei den Grünen in Sinsheim erwischen wir einen erstaunlich aufgeräumten wie bodenständigen Politiker, der die Empörung des Sozialdemokraten sogar ein stückweit teilt. Und wenn man schon mal einen Grünen an der Strippe hat, dann kommt man ins Plaudern. Nein, einen Antrag für einen sicheren Hafen hätte man noch nicht gestellt von grüner Seite. Da überlegt man schon, ob das Aussicht auf Erfolg hätte und wirft also nicht gleich jeden Antrag in die Runde.
Man kommt vom Hundertsten ins Tausende und die Zuwanderung rauf und runter und irgendwann erfährt man von dem freundlichen grünen Gemeinderat, dass er die Familienpolitik der letzten Jahrzehnte auch mangelhaft fände. Aber in seinem Umfeld sehe er viele Migranten, die fleißig arbeiten, die damit die Renten sichern würden. Natürlich wäre ihm bewusst, dass das in der ländlichen Region etwas anderes sei als in den Großstädten.
Und spätestens hier beginnt man dann zu verstehen, warum die Grünen zuletzt so einen Zulauf bekommen haben: Da hat sich in der Provinz eine grüne Bodenständigkeit etabliert, die den grünen Spitzen wie Göring-Eckardt bei öffentlichen Auftritten nicht anhaften, die aber dennoch an der Basis eine Stabilität im Bürgerlichen erreicht hat, die sicher den Erfolg der Partei ausmacht, einen, der sich etablieren wird. Und zurück zum Autokorso und zu den Schüssen erfahren wir vom grünen Gesprächspartner noch, dass in seinem Dorf auch bei jeder Hochzeit geballert wurde. Aber eben nicht auf der Straße, sondern oberhalb der Kirche vom Schützenverein.
Zurück zum Anfang: Der Sozialdemokrat will also auswandern wegen eines Autokorsos. Er versteht die Welt nicht mehr. Seine politische Konkurrenz allerdings schläft nicht, wird die Lücke sicher schnell füllen. Und wer bei einem Autokorso in plötzliche Empörungswallungen gerät, der muss sich als Politiker schon fragen lassen, wo er die letzten Jahre gesteckt hat, als es sicher noch ganz andere und erheblichere Anlässe gab, sich zu empören.