Verzweifelten zu helfen, wenn sie sich in einer misslichen Lage befinden, gehört zum Fundament unseres Wertekatalogs. Dazu gehört aber noch etwas anderes: Die Ächtung der Vortäuschung einer Notlage ebenso wie der kritische Blick auf Hilfeleistungen, die vom Helfenden lediglich erbracht werden, um sich selbst in eine vorteilhafte Lage zu bringen.
Genau diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn Müller gegenüber der Berliner taz äußert, ausgerechnet er und sein Senat wären in der Lage bzw. könnten sich selbst und die Bundesregierung beauftragen „diese humanitäre Krise vor unserer Tür zu beenden“. Weiter sagte er: „Und ich kann das auch für unsere Koalition hier in Berlin sagen, dass wir natürlich bereit sind, Menschen zu helfen, die Schutz und Sicherheit suchen.“
Aber darf man das? Die Bilder der auf einem Schiff auf dem Mittelmeer ausharrenden Zuwanderungswilligen mit der Kriminalität in Berlin zusammenbringen? Eigentlich ist das ja verwerflich. Besonders dann, wenn bewegte Bilder vom Schiff Frauen und Kinder zeigen. Aber der Berliner Senat zwingt dazu. Dann, wenn er die Unverfrorenheit besitzt, das eigene Versagen mit einer medial hoch geputzten Hilfszusage zu kaschieren. So eine Hilfe zur Selbsthilfe steht in unserem Wertekanon zu Recht unter Verdacht. Darf sogar asozial genannt werden, denn ein Hilfsangebot schützt nicht automatisch vor Kritik, auch wenn das der Grundgedanke dahinter gewesen sein mag.
Der Berliner Senat aber kümmert sich lieber darum, „gesamteuropäische solidarische Lösungen“ in der Flüchtlingsfrage von der Bundesregierung und den europäischen Staaten einzufordern. Aber genau so geht Populismus. „Berlin wäre bereit, Menschen aufzunehmen“, erklärt Michael Müller im Roten Rathaus. Aktuell leben in der Hauptstadt noch tausende Zuwanderer in Notunterkünften. Es gibt schlicht keinen adäquaten Wohnraum. Und es wird auch in naher Zukunft keinen geben.
Berlin gibt schon heute jährlich annährend eine Milliarde Euro für die Versorgung von Migranten aus. „Das entspricht rund drei Prozent des gesamten Berliner Landeshaushaltes. Zum Vergleich: Für Hochschulen gibt Berlin in diesem Jahr 1,2 Milliarden Euro aus. Der Etat des Kultursenators umfasst 725 Millionen Euro.“ Zu den zehntausenden Asylbewerbern, als Bürgerkriegsflüchtlinge mit subsidiärem, zeitlich begrenztem Schutz oder mit einer Duldung sich in Berlin aufhaltenden Zuwanderern kommt noch eine unbekannte Zahl sich illegaler in der Stadt aufhaltender Ausländer.
Wenn Müller die Bundesregierung auffordert, „diese humanitäre Krise vor unserer Tür zu beenden“, dann meint er nicht die von ihm zu sichernden Stadttore von Berlin, sondern die Außengrenze Europas am Mittelmeer. Dann will er die Probleme in seiner Stadt, die er zu verantworten hat, wenn er keine Lösungen anbietet, verlagern. Dann ist das der ideologisch unterfütterte Fingerzeig hinüber in ein ganz anderes Problemfeld, um das eigene Versagen zu kaschieren. Dann ist das ein mindestens anstößiges ‚Fishing for Compliments‘ auf Kosten seiner Berliner. Aber eben auch auf Kosten von ein paar armen Migranten, die letztlich deshalb irgendwo im Mittelmeer auf einem Schiff ausharren, weil Politiker wie Müller ihnen Perspektiven in Aussicht stellen, die sich am Ende in den wenigsten Fällen als machbar erweisen werden.
Anstatt sich zu Hause um seine Aufgaben zu kümmern, reist Müller lieber in seiner aktuellen Funktion als Bundesratspräsident nach Jordanien. Wozu? Müller ließ verlauten, „er freue sich besonders auf den Besuch des Camps Azraq, in dem derzeit 35.000 Flüchtlinge versorgt werden: „Ich möchte mir die Situation der Geflüchteten anschauen, mit den Menschen sprechen: was sie bewegt, was sie sich erhoffen.““
Wenn nun also Müller und seine Berliner rot-grüne Chaos-Koalition mit einem mahnenden Zeigefinger auf die Bundesregierung und mit dem anderen aufs Mittelmeer weist, dann muss man sich zuletzt noch anschauen, wohin er da eigentlich zeigt, was da genau passiert, wenn auch deutsche Nichtregierungsorganisationen wie die Dresdner „Lifeline“ mit Schiffen vor der libyschen Küste hin- und herfahren und leider erst die Voraussetzung dafür schaffen, dass ihnen Schlepper Migranten in maroden Schlauchbooten mit Außenbordmotoren zuführen. Motoren, die sie in internationalen Gewässern wieder entfernen und für das nächste Schlauchboot zurück an die Küste bringen, während die Boote manövrierunfähig auf Hilfe warten, also in dem Moment tatsächlich in einer echten Notlage sind – in eine schleuserisch gebracht wurden.
Diesen Helfenden auf den Schiffen ist kaum ein Vorwurf zu machen, dann, wenn man vergisst, was diese Hilfe ausgelöst hat: Keine ernstzunehmende NGO wird von der Hand weisen können, dass sie selbst Teil der Entstehung dieser Notlagen ist. Teil der Schlepperroute, die nun dank Müller schon bis nach Berlin reicht, wo der Senat aus niederen Motiven den nächsten Pullfaktor geschaffen hat. So ein Berliner Hilfsangebot ist tatsächlich verwerflich. Deshalb, weil zu unterstellen ist, dass das theoretische Hilfsangebot lediglich erbracht wird, um sich selbst in eine vorteilhafte Lage zu bringen. Der Senat sollte sich dafür schämen.