Tichys Einblick
Einfach gedacht

Seehofer versus Merkel? Nur ein Einreisestopp kann Basis bilateraler Gespräche sein

Möglicherweise ist es ja völlig naiv, den einfachsten Weg zu denken: Deutschland schützt seine Grenzen – notfalls auch entgegen EU-Verordnungen - und lehnt die Einreise von Asylbewerbern zunächst kategorisch ab.

© Sean Gallup/Getty Images

Worum geht es eigentlich im Streit zwischen Merkel und Seehofer? Wozu ist Merkel bereit und was möchte Seehofer – unabhängig von irgendwelchen Ultimaten? Im Wesentlichen sind es drei Formen des Grenzübertritts außereuropäischer Ausländer, die hier so erbittert verhandelt werden:

Es kommen Migranten zurück, deren Asylantrag bereits abgelehnt, die abgewiesen bzw. abgeschoben wurden. Die zweite Gruppe sind Asylbewerber, die auf der anderen Seite der Grenze bereits einen Asylantrag gestellt haben. Und drittens kommen Migranten, die nach Selbstbekunden nirgendwo in EU-Europa als Asylbewerber registriert wurden.

Angela Merkel möchte mindestens die zweit- und drittgenannte Gruppe unbehelligt einreisen und Asyl beantragen lassen, ließe aber über die erste Gruppe mit sich reden. Horst Seehofer will entsprechend der Dublin-Regelung nur die Gruppe jener Ausländer über die Grenzen lassen, die noch nirgends einen Antrag gestellt haben. So weit ist der Fall eigentlich klar. Was allerdings bei Merkel wie Seehofer unklar bleibt, ist die Frage, warum eigentlich Migranten, die über die Grenze kommen, ohne bisher irgendwo einen Antrag gestellt zu haben, warum diese Gruppe hier überhaupt einen Antrag stellen darf. Denn die Dublin- Reglung besagt ja zweifelsfrei: Das EU-Land, dessen Boden der Asylsuchende zuerst betreten hat, ist für die Prüfung seines Asylantrags zuständig.

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Wenn also eine große Zahl der Asylbewerber in Deutschland durch Österreich gereist ist, um dann an der grenznahen Raststätte Inntal Ost anzukommen oder beispielswiese an der Kontrollstelle Schwarzbach, wo sie dann womöglich von ein paar dutzend deutschen Bundespolizisten erwartet werden, stellt sich doch zunächst die notwendige Frage, warum diese Personen überhaupt irgendwo völlig unbehelligt die Grenze nach Österreich überschreiten durften, um dann seelenruhig durch die Alpenrepublik Richtung deutsche Grenze zu fahren bzw. von Österreich noch gefahren zu werden!

Wie kann das sein, was für ein Faustpfand gegen Deutschland ist das denn, wenn die Regierung Kurz zwar einen schärferen Anti-Migrationskurs fährt, Handys einsammeln und auslesen lassen will und sogar überlegt, Sachleistungen statt Bargeld einzuführen, aber Ausländer unbehelligt durch das Land ziehen lässt, wenn sie nur auf direktem Wege nach Deutschland einreisen? Sogar mitgeführtes Bargeld soll in Österreich eingesammelt werden. Allerdings nur von Zuwanderern, die direkt an Ort und Stelle einen Asylantrag gestellt haben. Alle anderen ziehen einfach weiter nach Deutschland?

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Geradezu widersinnig erscheint es doch, wenn sowohl Seehofer wie Merkel Asylantragstellern zunächst die Einreise gestatten wollen, um dann hier erst zwei Dinge zu prüfen: Die Asylberechtigung, ebenso wie die Frage, ob schon in Österreich (bzw. in dem Land, aus dem die deutsche Grenze überschritten wurde) ein Asylantrag gestellt wurde. Aber wie wird das überprüft? Schließlich tragen die Ankommenden keinen Stempel auf der Stirn und in vielen Fällen fehlen einfach die Pässe bzw. die Dokumente der Erstantragsstellung in Österreich sind auf wundersame Weise verschwunden.

Wie viele nach Österreich Einreisende werden denn automatisch in der Fingerabdruckdatei Eurodac registriert? Auch scheinen gemeinsame Kontrollen von italienischen, deutschen und Beamten aus Österreich beispielweise am Bahnhof Verona – tatsächlich soll es so eine Zusammenarbeit geben oder gegeben haben – allenfalls Stichprobencharakter zu haben. Selbst das ZDF merkt schon kritisch an, dass beim G-20-Gipfel eine quasi lückenlose Grenzkontrolle problemlos möglich gewesen sei. Damals wären täglich 3.500 Bundespolizisten im Einsatz gewesen, die „917 Menschen zurückgewiesen und 744 per Haftbefehl gesuchte Straftäter festgenommen“ haben.

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Wenn das aber ausbleibt und nur im Sonderfall (G-20) angewandt wird, dann gehört schon Glück und das Prinzip Zufall dazu, überhaupt festzustellen, dass schon anderswo ein Asylantrag gestellt wurde, um umgehend eine Rücknahme zu veranlassen. Aber selbst das funktioniert nicht: Der Asylbewerber wird während des laufenden Rücknahmeantrags weder festgesetzt noch sonst irgendwie überwacht oder ortsgebunden untergebracht. Ist er weg, dann ist er eben weg. Untergetaucht. Erschwerend kommt hinzu: Schafft es die Bundesrepublik nicht, innerhalb von sechs Monaten nachzuweisen, dass bereits anderswo Asyl beantragt wurde, ist Deutschland automatisch für den Asylantrag zuständig.

Am Beispiel Österreich wird deutlich, dass verschärfte Regeln im Umgang mit Asylbewerbern sogar zu noch mehr Grenzübertritten führen könnten. So kann Bundeskanzler Kurz noch so vollmundig einen härteren Kurs in seinem Land ankündigen, solange er seine Außengrenzen zu Italien, Slowenien, Ungarn und der Slowakei nicht mit lückenlosen Grenzkontrollen belegt bzw. im Landesinneren die Routen nach Deutschland kontrolliert und Menschen zurückweist, ist Deutschland auf Gedeih und Verderb davon abhängig, wen Österreich durchwinkt und wen nicht.

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Merkel möchte deshalb bilaterale Verhandlungen mit den Anrainerstaaten führen. Also Deals vereinbaren, die jeder für sich neue Verpflichtungen mit sich bringen, wie der Türkei-Deal, der zwar eine unkontrollierte Migration stoppen sollte, aber beinhaltet, dass für jeden Migranten, der zurück in die Türkei gebracht wird, die Türkei und einen „regulären“ aus den türkischen Auffanglagern nach Europa schicken kann. Es werden also auch hier nicht weniger Migranten, wir müssen nur zusätzlich noch die Reisekosten Türkei-Deutschland übernommen werden.

Schon Mitte 2017 wurde deutlich, dass die EU fünf Mal so viele Flüchtlinge aufnahm, als es laut Deal vereinbart war. Und wenn hier von der EU die Rede ist, ist anzunehmen, dass damit überwiegend Deutschland gemeint ist. Laut ZEIT wurden auf jeden Griechenland-Rückkehrer „fünf Türkei-Flüchtlinge in die EU umgesiedelt“, die größten Kontingente gingen nach Deutschland.

Betrachten wir also die Forderungen von Horst Seehofer, um die gerade so intensiv gestritten wird, und nehmen wir nun noch das „Angebot“ der Kanzlerin, dann halten wir nichts in den Händen, dass geeignet wäre, unrechtmäßige Asylantragstellungen bzw. Grenzübertritte wirkungsvoll zu beenden. Es ist bei Lichte betrachtet erschreckend, wie minimal die Forderung Seehofers eigentlich ist, die allenfalls als erster kleiner Schritt auf einem langen Weg verstanden werden kann.

Möglicherweise ist es ja völlig naiv, den einfachsten Weg zu denken: Deutschland schützt seine Grenzen – notfalls gegen EU-Verordnungen – und lehnt die Einreise von Asylbewerbern zunächst kategorisch ab. Geografisch muss ja jeder Einzelne bereits ein sicheres EU-Land durchreist haben, wo dann zwingend der Antrag hätte gestellt werden müssen.

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Sind diese EU-Länder, aus denen bisher Migranten an die deutsche Grenze kamen, selbst nicht in der Lage ihre Außengrenzen zu schützen oder mit dem Ansturm einfach überfordert, dann bleibt es diesen Länder überlassen, darum zu bitten, mit Deutschland bilaterale Gespräche zu führen. Das muss doch die Position der Bundeskanzlerin sein. Nicht andersherum.

Was sollen das auch für Ausgangsvoraussetzungen sein, wenn Österreich oder andere Anrainerstaaten die Migranten einfach durchreichen und Deutschland bittet dann in bilateralen Gesprächen um Lösungen, die immer mit Gegenleistungen verbunden sind?

Nein, wer so verhandelt, der muss sich nicht wundern, wenn Lösungen ausbleiben. Denn zu einer partnerschaftlichen EU-europäischen Zusammenarbeit muss auch Verlässlichkeit gehören dahin gehend, dass mit Deutschland nicht alles zu machen ist. Wenn die Deutschen die Deppen und Goldesel Europas sein wollen, hätten sie die Kanzlerin damit beauftragt. Aber so ein Auftrag existiert nicht. Das ist es, was Seehofer der Kanzlerin möglicherweise mitteilen wollte. Auf jeden Fall ist es das, was er ihr mitzuteilen hat. Alles andere ist Flickschusterei.

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