Seehofer stellte nun am Dienstag um 10 Uhr in einer Pressekonferenz im Innenministerium endlich seinen Migrationsplan vor. Vier Wochen später als geplant. Noch ist nichts passiert, nichts in die Tat umgesetzt, noch verharrt die Exekutive im Theoretischen. Warum so spät, ist ausreichend dokumentiert, muss hier nicht erneut erzählt werden.
Nun also die Präsentation des „Masterplan für die Neuordnung der Migration“ genannten Papiers – auch von Merkels Gnaden? Die öffentliche Debatte über dieses Papier musste ausbleiben, weil es nicht veröffentlicht wurde. Nun also eine intern in der Union und in der großen Koalition mit der SPD debattierte und letztlich vorgestellte Auflage. Wie die ursprüngliche(n) Ausgabe(n) ausgesehen haben mag/mögen: unbekannt.
Seehofer lächelt entspannt. Der Innenminister wirkt ausgeschlafen und aufgeräumt. Vor ihm auf dem Tisch zwei Hotelbar-Versionen Saft, eine kleine Flasche Wasser und ein umgedrehtes Glas auf Stoffserviette. Links neben Horst Seehofer nimmt Dr. Helmut Teichmann Platz. Der Staatssekretär im Bundesministerium trägt einen Stapel Akten mit in den Saal. Seehofer startet mit Multivitaminsaft. Nicht kleckern, sondern klotzen: Glas voll, Flasche leer. Pressesprecherin Eleonore Petermann kommt auf den letzten Drücker, nimmt rechts von Seehofer Platz. Es wird live berichtet.
„Masterplan Migration Stand 4. Juli“, eröffnet Seehofer, „das war der Tag meines Geburtstages.“ Seehofer betont, dass es sich um den Masterplans des Bundesinnenministers handelt, „alles was in Umsetzung des Masterplans stattfindet, wird jetzt hier nicht fortgeschrieben, sodass auch der Beschluss der Koalition vom 5. Juli hier jetzt nicht Eingang gefunden hat. Es ist ja kein Masterplan der Koalition, sondern ein Masterplan dieses Hauses.“
Der Masterplan enthält laut Seehofer eine Präambel, welche die Haltung hinter dem Plan beschreibt. „Das Leitmotiv ist die Schaffung von Ordnung und die Gewährleistung von Humanität. Wir brauchen in Deutschland eine Balance zwischen Hilfsbereitschaft einerseits und den tatsächlichen Möglichkeiten unseres Landes andererseits.“
Es folgt ein Bekenntnis Seehofers zu Europa, so europäischen Lösungen, er meint natürlich die EU wie alle die europäisch sagen. „Es besteht überhaupt kein Unterschied zwischen nationalen und europäischen Überlegungen. Hat es auch bei mir im Hause nie gegeben. Ich bekräftige deshalb hier und heute noch mal, dass auch wir europäische Lösungen bevorzugen in allen Bereichen.“ Nationale Maßnahmen würden deshalb aber nicht entbehrlich werden.
Gleich zu Beginn der Pressekonferenz also der maximale Spagat Richtung Kanzleramt und Brüssel? Nein, denn der Nachsatz geht so: „Je weniger Europa leisten kann, desto mehr gewinnen nationale Maßnahmen an Bedeutung.“ Der tröstende wie Kraft spendende Vitaminsaft vor Seehofer auf dem Tisch kann also noch unberührt bleiben.
Seehofer setzt auf Frontex an den Außengrenzen, dafür bräuchte es die eine oder andere Rechtsänderung auf EU-Ebene und die operativen Einsatztruppen müssten weiter aufgebaut werden. Der Schutz der Außengrenzen sei auch der Schwerpunkt der österreichischen Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli begonnen hat.
„Wenn wir Schengen in Europa erhalten wollen“, so Seehofer, dann bräuchten wir ein funktionierendes EU-Asylsystem GEAS, „da laufen die Arbeiten auf Hochtouren.“ Seehofer betont weiter: „Bündelung ist Trumpf im gesamten Asylverfahren. Von seinem Beginn über den Abschluss bis zu einer möglichen Rückführung. Deswegen haben wir in der Koalition die Ankerzentren verabredet.“
Der Masterplan, darauf weist der Innenminister explizit hin, sei keine Bündelung von Einzelmaßnahmen, er könne nur im Zusammenspiel aller aufgeführten Einzelmaßnahmen funktionieren. „Deshalb ist der Masterplan als Gesamtkonzept zu verstehen“, so Seehofer. „Dieser Masterplan ist ein Bestandteil der Asylwende für Deutschland, die dringend erforderlich ist.“ Seehofer erinnert dran, dass der Koalitionsvertrag damit begänne, ein „Weiter so“ nicht mehr fortzuführen, „deshalb ist es wichtig, dass wir auch unsere Migrationspolitik ändern.“
Seehofer betont, dass er es in seiner langen politischen Laufbahn noch nie erlebt hätte, dass die EU-Gremien innerhalb weniger Tage vergleichbar „gute Beschlüsse“ gefasst hätten. Es gäbe nun auch eine große Bereitschaft der EU-Kollegen, zu Vereinbarungen zu kommen, hätte Seehofer in „pausenlosen Gesprächen“ erkennen können. Vorläufiger Schlusssatz Seehofers: „Der Masterplan liegt nun auf dem Tisch, es ist höchste Zeit, dass wir ihn Schritt für Schritt umsetzen.“ Einen sparsamen Schluck Vitaminsaft zur Belohnung verabreicht sich Seehofer selbst.
Die Gespräche mit Griechenland und Italien würden im Monat Juli abgeschlossen sein, dann wäre jedenfalls Klarheit darüber entstanden, ob es Abkommen geben werde „oder eben nicht.“
Auf die Frage, wo denn die im Masterplan erwähnte Humanität stattfinden soll, wenn nur Verschärfungen aufgeführt seien, antwortet Seehofer: „Die wird praktiziert parteiübergreifend in der Bundesrepublik Deutschland und mit vielen, vielen Organisationen und der gesamten Bevölkerung.“
Die NGOs wird diese Aussage freuen. Aber ob Seehofer umfassend gemeint hat, was er hier antwortet? Die organisierten privaten Seenotretter auf dem Mittelmeer jedenfalls wird er nicht gemeint haben. Seehofer betont, stolz zu sein auf die humanitäre Leistung, die von der Bevölkerung eingebracht wurde, die von ihr gelebt würde.
Im Gespräch mit dem sächsischen Ministerpräsidenten hätte Seehofer zur Schleierfahndung überlegt, die ja auf den Bereich dreißig Kilometer hinter der Grenze beschränkt sein sollte, diese noch auszuweiten, um auch „Straßen in den Blick zu nehmen, die bedeutsame internationale Verbindungen darstellen, z.B. Autobahnen von Sachsen nach Polen oder nach Tschechien oder aber auch überörtliche Straßen wie die Bundesstraßen.“ Seehofer hält die Idee für gut, diese Straßen „gemeinsam zu kontrollieren“. Also wohl durch Bundes- und Landespolizei. Temporäre Grenzkontrollen müssten aber weiterhin möglich sein, wenn beispielsweise in Sachsen „zu viele Traktoren“ verschwinden würden.
Was die Einführung von Sachleistungen angeht, würden die Haltungen einiger Länder noch von der von Seehofer abweichen. Da müsse man in Ruhe abwarten, welche Ergebnisse die Gespräche mit den Ländern erbringen. Das Argument der Mehrkosten durch Sachleistungen sei durch die Ankerzentren jedenfalls – so Seehofer – nicht mehr gegeben.
Die Häufigkeit der Kontrollen hänge im Übrigen „vom weiteren Geschehen in der Kriminalität ab. Ich gehe davon aus, dass es spürbar für die Rechtsbrecher wird, aber nicht für die allgemeine Bevölkerung.“
Da das aber nun bei einigen Punkten so sei, beispielsweise bei den sicheren Herkunftsstaaten, würde Seehofer irgendwann Ende des Jahres „mal ein Paket machen über die Umsetzung des Migrationsplans.“ Ob dann wohl das inter-koalitionäre Theater um Formulierungen und Deutungen weiter geht, wie schon in den vergangenen Wochen?
Seehofers Pressesprecherin drückt immer zu früh das Mikrofonknöpfchen: „Sie nehmen mir immer den Saft weg“, beschwert sich daraufhin Seehofer grinsend.
Und so wurde viel erzählt, aber nicht alles gesagt. Im Grunde genommen liegt nun ein Papier vor, dessen Wirkmacht unbewiesen, dessen Einfluss nach wie vor von der Zustimmung anderer abhängig ist, sowohl national wie EU-europäisch und sogar darüber hinaus, wenn es um die außereuropäischen Zentren geht.
Selten noch bespielte die Arbeit eines bundesdeutschen Innenministers so einen Radius, klar ist hier allenfalls, dass mit der Ausweitung des Radius‘ im Verhältnis dazu auch die Einflussnahme eines deutschen Innenministers reduziert wird.
Keine guten Voraussetzungen für Horst Seehofer – umso erstaunlicher seine durchweg gute Laune, mal von ein paar amüsierten Spitzen gegen weibliche Fragestellerinnen abgesehen. Der alte Wolf kann eben nicht aus seiner Haut. Nur irgendwann in naher Zukunft wird es bedeutsam werden, neben dem Knurren auch einmal die freigestellten Zähne zuschnappen zu lassen. Die verbleibenden Monate des Jahres dürften aus dem Blickwinkel des Innenministeriums jedenfalls spannend bleiben.
Fußnote: Zahlen gab es auch. Von Januar bis Juni entschied das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über die Anträge von 125.190 Personen. Bei den meisten darunter handelte es sich nicht um Schutzberechtigte. Flüchtlinge im Rechtssinne waren laut BAMF lediglich 15,5 Prozent.