Tichys Einblick
Entrückt

Regierungserklärung Angela Merkel: Für wen spricht sie? Deutschland, Europa oder die Welt?

„Ansonsten gelten wir nämlich als moralisch überheblich, das kommt mir entgegen.“ (Großes Gelächter). Und es wäre nicht so komisch, wenn es nicht die Kanzlerin des humanitären Imperativs als Kriegserklärung an Europa gesagt hätte.

Odd Andersen/AFP/Getty Images

Was wird aus dem Brexit?, startet die Kanzlerin nach einer Begrüßung von parlamentarischen Gästen aus Frankreich. „Leider muss ich Ihnen sagen, dass wir auch acht Tage vor dem formalen Ausscheiden Großbritanniens noch keine definitive Antwort auf diese Frage haben.“

Trotz anstehender Europawahl – sie spricht von der EU-Wahl – könne man über eine etwas kürzere Verlängerung reden, so Merkel.

„Ich bin überzeugt, dass das zentrale Problem, dass ja im Grunde im Raume steht, letztendlich zu tun hat mit der Irlandfrage, mit dem Verhältnis der Republik Irland als Teil des Vereinigten Königreiches und Nordirland. Und das es immer wieder um diese schwierige Thematik geht: Wie kann man im Blick auf die zukünftigen Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Großbritannien einerseits die Integrität des Binnenmarktes sichern, wenn es keine Zollunion geben sollte und das hat das britische Parlament so entschieden und gleichzeitig das so genannte  Good-Friday-Agreement erfüllen, bei dem Grenzkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland ausgeschlossen sind.“

Die Zusammenarbeit mit Großbritannien sei in der Nato und den Vereinten Nationen nach wie vor intensiv und das müsse so bleiben. Das selbe gelte für die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Technik. „Die Tür für eine enge Zusammenarbeit in Freundschaft und im gegenseitigem Nutzen steht von unserer Seite weit offen.“ (Applaus).

Personal beim Zoll sei aufgestockt worden sein, um Engpässe zu vermeiden. Wenn es also um den zukünftigen Warenverkehr mit dem Königreich geht, ist für Merkel eine verschärfte und funktionale Grenzsicherung ohne weiteres möglich, wo so eine Sicherung 2015/2016 auf dem Höhepunkt der Massenzuwanderung angeblich unmöglich war?

„So schmerzhaft der Austritt Großbritanniens auch ist, so haben wir trotzdem viel zu tun.“, weiß Merkel.

„Wir erleben, dass der Multilateralismus zunehmend unter Druck gerät. Das System der multilateralen Zusammenarbeit hat uns in den vergangenen Jahrzehnten eine bisher nie da gewesene Epoche des Friedens und des Wohlstands gebracht und es steht für uns nicht zur Disposition. Wir begründen unsere Arbeit weiter auf die multilaterale Zusammenarbeit zum Gewinn aller.“ (Applaus).

Europa verspreche seinen Bürger Sicherheit und Wohlstand, so Merkel. Das Wohlstandsversprechen sei auch ein wichtiges Thema im europäischen Rat. Aber Europa müsse einheitlich auftreten und der Welt zeigen, dass man bereit ist, den Binnenmarkt wirklich zu leben.

Viel zu viele Innovationen kämen aus den Vereinigten Staaten von Amerika und Asien, warnt Merkel. „Da gilt es in einem fairen Wettbewerb aufzuholen.“

Nun bleibt es schwierig, jeweils einzuordnen, für wen und in welcher Funktion Merkel hier überhaupt spricht, ob nun gerade für Deutschland oder doch für die EU. Wahrscheinlich weiß sie es mit unter selbst nicht mehr so genau. Noch konfuser, wenn sie an anderer Stelle darauf hinweist, dass Entscheidungen auf internationaler Ebene sowieso maßgeblich seien für die Arbeit innerhalb der EU.

„Ohne große Player in der Wirtschaft kein funktionierender Mittelstand“, so Merkel weiter. Aber warum schlägt sie dann einen nach dem anderen kaputt mit ihrer umweltpolitischen Regulierungswut? Die Bundeskanzlerin bittet darum, nicht immer reflexartig zu reagieren, wenn es um Industriepolitik und strategische Industriepolitik geht.

„Das heißt mitnichten, dass der Staat an die Stelle der Wirtschaftsunternehmen tritt.“, so Merkel weiter.

„Wenn wir im Bereich der Automobilindustrie eine Vielzahl von ordnungsrechtlichen Reglungen machen, im Bereich insbesondere des Klimaschutzes. Wenn wir vorgeben, das bis 2030 die PKW-Flotten der einzelnen Hersteller um 37,5 Prozent die CO2 Emissionen mindern müssen gegenüber heute, bzw. gegenüber 2020, wenn wir feststellen, wie die LKWs sich entwickeln dürfen, wenn wir (…) festgelegt haben im nicht ETS-Bereich, also in dem Nichtversteigerungsbereich von Zertifikaten, wie die C02-Emission jeden nationalen Staates in der Europäischen Union in den nächsten Jahren bis 2030 aussehen, dann kann man doch nicht blind einfach sagen, das machen wir alles ordnungsrechtlich als Leitplanken, aber um die Frage, wie sich die Mobilität in Europa entwickelt, wie dabei Arbeitsplätze erhalten bleiben, machen wir uns keine Gedanken.“,

sagt die Deutsche Bundeskanzlerin, sagt die Klimakanzlerin, die Kanzlerin der Massenzuwanderung, die Kanzlerin des Endes der deutschen Atomenergie, die Kanzlerin der Abwicklung der Automobilindustrie, ach, die Liste ist länger, als der Platz.

Merkel sagt weiter, sie stimme dem Wirtschaftsminister zu, dass man nicht einfach mit ansehen könne, dass weite Teile der Wertschöpfungskette in Europa nicht mehr angesiedelt wären.

„Das ist doch wichtig, natürlich industrielle Partner zu finden, wenn es um eine Batteriezellenproduktion geht.“

Nun ist das Gejammer also groß, dass nicht funktioniert, was staatliche Regulierung erwürgt und dann Neues blauäugig für die Zukunft vorgesehen hat. „Aber wir können doch nicht zuschauen, wenn uns Jahr für Jahr erklärt wurde, das sei vielleicht nicht so wichtig.“ Aber wer hat’s gesagt? Wer hat erst die Bedingungen so weit verengt, dass wir uns solche Fragen überhaupt stellen müssen? Die Kanzlerin war es und will es, wie wir hier erfahren, nun nicht mehr gewesen sein.

„Zu glauben, Ordnungsrecht sozusagen in einzelnen Bereichen anzusetzen und sich ansonsten über die Gesamtentwicklung keine Meinung zu bilden, das wäre der falsche Weg und deshalb halte ich diese Diskussion über Industriepolitik für ausgesprochen wichtig.“

Erzieht sich hier die Christdemokratin den zukünftigen grünen Koalitionspartner? Dazu passt die direkte Ansprache der grünen Co-Parteichefin an Annalena Baerbock, die sich darüber dann auch freut, wie ein gelobtes, ansonsten unauffälliges Schulkind aus der hinteren Reihe.

Die Bundesregierung fühle sich verpflichtet, Zölle abzubauen. Nun hatte Martin Schulz gerade bei Maischberger eingestanden, warum es das Votum der Briten für den Brexit und also für die Rückkehr der schärfen Zollbestimmungen gegeben hat: Zuwanderung, Zuwanderung, Zuwanderung. Und die bleibt nun mal europaweit mit dem Namen Angela Merkel verbunden.

„Es gehört auch zur Wahrheit, dass wir längst nicht alles erreicht haben“, sagt Angela Merkel zum Themenkomplex Zuwanderungspolitik. Wow.

„Es geht jetzt um die Frage, kann man unter den 27 Mitgliedsstaaten unterschiedliche Formen der Solidarität für das Thema der Bekämpfung der illegalen Migration und für die Einführung einer regulären und legalen Migration übernehmen. Können Mitgliedstaaten unterschiedliche Verantwortung haben? Ich sage eindeutig ja. Aber ich sage auch deutlich, es kann nicht sein, das einzelne Mitgliedstaaten erklären, dass sie sich an der solidarischen Verteilung von Flüchtlingen nicht und gar nicht und überhaupt nicht beteiligen.“

Ein Problem erwähnt Merkel hier allerdings nicht: Ihre Migranten, die sie weiterhin fast stur „Flüchtlinge“ nennt, wollen zu Ihr nach Deutschland und eben nicht nach Transsilvanien oder sonst irgendwo hin in dieser EU.

Merkel erinnert ihre aktuellen Partner und zukünftige Partner einer Unionsgeführten Regierung abschließend daran, dass auch Koalitionsvereinbarungen nicht bindend sein können, wenn es darum ginge, in der europäischen Gemeinschaft Kompromisse einzugehen. Es bräuchte darüber eine grundsätzliche Debatte im Bundestag.

„Ansonsten gelten wir nämlich als moralisch überheblich, das kommt mir entgegen.“ (Großes Gelächter). Und es wäre nicht so komisch, wenn es nicht die Kanzlerin des humanitären Imperativs als Kriegserklärung an Europa gesagt hätte.

„Lohnt es sich für Europa zu kämpfen? Ich sage ja.“, sagt jene Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, die nach ihrer letzten Amtszeit eine in weiten zerstrittene EU ohne Großbritannien hinterlassen wird. Angela Merkel versteht EU-Europa „als Ort, unsere Art zu leben, zu schützen“, sie hat allerdings während ihrer Amtszeiten alles dafür getan, das Leben der Deutschen und Europäer zum Negativen hin zu verändern.

(Es gilt das gesprochene Wort)

p.s.: Sollten Sie in den Zitaten irgendwo meinen, Grammatik oder Satzbau stimmten nicht, es handelt sich um Merkel-Deutsch.

Die mobile Version verlassen