Tichys Einblick
Polizeigewerkschaftschef im TE-Interview

Rainer Wendt über Rigaer 94: „Mit Rechtsbrechern darf man keine Verträge schließen.“

Polizisten seien "fassungslos", dass die Politik in Hamburg und Berlin Hausbesetzer gewähren lässt und mit Rechtsbrechern Verträge schließt, sagt Polizeigewerkschaftschef Rainer Wendt. Andere Bundesländer zeigten, wie es besser geht.

Polizeibeamte in der Rigaer Straße am 16.6.2021

IMAGO / Stefan Zeitz

Anlässlich der Gewalttaten linksextremer Hausbesetzer in der Rigaer Straße 94 in Berlin, die sich einer routinemäßigen Brandschutzuntersuchung widersetzen, sprach Alexander Wallasch mit Rainer Wendt, seit 2007 Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, über die Belastung der Polizei im Allgemeinen und den Dauerkonflikt mit Hausbesetzern im Speziellen.

TE: Der Berliner Oberstaatsanwalt Ralph Knispel schlägt in seinem Buch „Rechtsstaat am Ende“ Alarm auch was die Polizeiarbeit angeht – über eine Million Überstunden wären angelaufen, aber wie ist denn so etwas überhaupt möglich?

Rainer Wendt: Die Berliner Polizeibehörde hat rund 26.500 Beschäftigte. Da sind ganz viele Tarifbeschäftigte mit dabei. Die Vollzugskräfte, das müssen so 18.000 sein, ja, die machen Überstunden. Überstunden sind aber grundsätzlich nichts polizeifremdes. Polizei ist ja nun mal eine Behörde und Polizistinnen und Polizisten üben einen Beruf aus, von dem sie wissen: Man kann nicht nach acht Stunden die Griffel fallen lassen. Aber viele dieser Überstunden sind ja strukturell entstanden. Das heißt tatsächlich wegen des Personalmangels.

TE: Jetzt sagt ein Berliner Oberstaatsanwalt, dass das über die Jahre auch mehr geworden wäre. Und solche Beamte am Limit schickt man dann in die Rigaer Straße? Sind solche Überstunden für Sie als Gewerkschafter nicht alarmierend?

Überstunden gehören zum Polizeiberuf dazu. Man muss halt Gelegenheit bekommen, Sie auch mal wieder abzubauen. Die Lage in den letzten Jahren war allerdings nicht so, dass man Überstunden in Massen hätte abbauen können. So schleppt man die weiter mit sich herum. Das ist aber nichts Berlin spezifisches sondern das ist fast überall in Deutschland so.

Ein Fazit von Oberstaatsanwalt Knispel lautet, dass aus Personalmangel 185.000 Haftbefehle bundesweit nicht vollstreckt werden konnten. Warum stockt man das Personal hier nicht einfach auf? Das müsste doch die Forderung einer Polizeigewerkschaft sein …

Seit Jahren ist das so, dass man eigentlich mindestens 20.000 Leute mehr bräuchte deutschlandweit. Schon deshalb, weil wir auch vor einer großen Pensionswelle im öffentlichen Dienst insgesamt stehen. Aber so ist Politik nun einmal: Politik denkt nicht über die Legislaturperiode hinaus, sondern immer nur an Projekte, die während der Legislatur für schöne Schlagzeilen sorgen.

Ralph Knispel kritisiert insbesondere auch den Personalaufwand im Zuständigkeitsbereich der Polizei bei so genannten Gefährdern vorrangig aus der islamistischen Szene. Die dort eingesetzten Kräfte würden für das Tagesgeschäft nicht mehr zur Verfügung stehen.

So ist das! Und das sind erhebliche Zahlen. Und je nach dem, wie man die Leute beobachten muss – verdeckt oder offen – da sind dann sehr, sehr schnell für eine einzige Person 30-40 Leute eingebunden. In der Großstadt ist das naturgemäß noch extremer. Auf dem Land stellen sie an die Zufahrtstraße ein Auto und die warten dann, dass der mal rauskommt. Da sind also viele Polizisten eingebunden, auch übrigens, weil wir viele Gefährder nicht abschieben können. Da haben wir auch politische Hemmungen, deshalb müssen solche Leute dann mit dem entsprechenden Aufwand beobachtet werden.

Knispel spricht alleine für Berlin von fast 6000 unerledigten Haftbefehlen gegen politische Extremisten, davon alleine 4500 religiös motivierte Taten. Und das sind keine Katholiken, die da extremistisch geworden sind. Währenddessen verkünden in Berlin der Bundesinnenminister und der Chef des Verfassungsschutzes, dass Rechtsextremismus heute die größte Gefahr sei …

Na ja, rechter, linker, islamistischer Extremismus – den Opfern von Extremismus ist es relativ wurscht, wo die Motivation der Täter herkommt. Deshalb schenkt die Polizei allen die gleiche Aufmerksamkeit im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Die politische Bewertung überlassen wir da auch anderen. Die Polizei macht einfach ihren Job nach Recht und Gesetz und lässt sich dafür dann auch noch regelmäßig beschimpfen.

Konkret zu den Ausschreitungen in Berlin, Rigaer Straße und zu mehr als fünfzig verletzten Polizisten. Haben die zu viel Rauch von den brennenden Autoreifen in die Lunge bekommen? Was ist da nach Ihrem aktuellen Wissensstand passiert?

Es wird berichtet, dass alle ihren Dienst fortsetzen konnten und keiner ins Krankenhaus gekommen ist. Es wurden Verletzungen unterschiedlicher Art gemeldet, aber keine schwereren Verletzungen durch Steinwürfe. Und das hat nichts damit zu tun, dass die Chaoten besonders sanft mit der Polizei umgehen. Sondern das hat etwas mit der Erfahrung der Einsatzkräfte zu tun.

Wenn man so lange mit der Rigaer Straße zu tun hat, warum kommt es dann immer wieder zu solchen Ausschreitungen? Ist das politische Zögerlichkeit, was speziell diese Hausbesetzerklientel angeht? Teile der Berliner Regierungsparteien scheinen ja zu glauben, diese Zustände würden zur Berliner Kultur dazugehören …

Der Fehler ist vor vielen Jahren gemacht worden, als man angefangen hat, diese Hausbesetzungen zu dulden. Und als man angefangen hat, mit Rechtsbrechern Verhandlungen zu führen und Verträge abzuschließen. So, jetzt haben die alle Mietverträge. Es wird ja immer gefragt, warum geht die Polizei da nicht einmal rein und räumt auf?

Nein, darf sie nicht, da sind Leute drin, die haben Mietverträge. Und dann gibt es Gerichte, die sprechen hier von Unverletzlichkeit der Wohnung, dazu gibt es Gerichtsentscheidungen. Die sagen beispielsweise jetzt bei dieser Brandschutzbegehung Rigaer Straße, der Hausbesitzer müsse nicht ins Haus, der sei für die Brandschutzbegehung nicht erforderlich. Für jede kleine Aktion werden hier die Verwaltungsgerichte bemüht. Der Rechtsstaat ist dann manchmal schwer auszuhalten. Aber die eigentlichen Fehler sind viel früher, vor vielen Jahren gemacht worden, als man angefangen hat mit Hausbesetzern zu verhandeln und mit denen Verträge zu schließen.

Nun verstehen Grüne und Linke diese Hausbesetzerszene als Teil ihrer DNA …

Irgendwann muss man sich dann natürlich entscheiden: Will man Rechtsstaatspartei sein oder Hausbesetzerpartei? Beides zusammen geht nun mal nicht. Deshalb sind auch die Krokodilstränen der SPD ziemlich unglaubwürdig, wenn sie sich am nächsten Tag mit den Linksextremisten wieder ins Koalitionsbett legen.

Nun gab es auch parlamentarische politische Beobachter vor Ort wie beispielsweise eine linke Bundestagsabgeordnete, aber da kam anschließend nicht viel an Verurteilungen der Gewalt der Hausbesetzer – kaum negative Kommentare von der Seite dazu …

Das wundert mich überhaupt nicht. Die beobachten doch nicht, um das kriminelle Verhalten der Hausbesetzer zu kommentieren. Am Ende wird doch beobachtet, um irgendwann mal festzustellen, dass die Polizei irgendwo den Wasserwerfer falsch geparkt hat. Hätte der Wasserwerfer beim Abbiegen nicht geblinkt, dann wäre das Geschrei schon losgegangen.

Wie ist denn die Stimmung innerhalb der Polizei auch speziell in Berlin?

Das ist wie beispielsweise in Hamburg bei der Schanze auch: Da haben Polizistinnen und Polizisten eine solide rechtsstaatliche und staatsbürgerliche Ausbildung. Und die schauen natürlich einigermaßen fassungslos seit Jahren zu, wie die Politik diese Leute da gewähren lässt, wie ständig verharmlost wird und wie man mit ihnen Verträge schließt. Anders beispielsweise in Bayern, wo es eine andere Linie gibt.

Was Hausbesetzungen angeht?

Was Hausbesetzungen angeht, gibt es seit zehn Jahren in Bayern die Linie, dass kein Haus länger als 24 Stunden besetzt bleibt.

Diese Hausbesetzungen haben ja eine lange Tradition …

Das verbindet man immer mit bestimmten Parteien, die ihrer Klientel gegenüber hier viel Entgegenkommen zeigen. Und zum Schluss sind diejenigen, die das auszubaden haben, die, die bei Gericht Titel erwirken und mit der Polizei da reingehen müssen, weil eben feste Strukturen da geschaffen wurden, die nie hätten entstehen dürfen.

Besetze Häuser stehen auch in dem Ruf, Rückzugsorte für Linksextremisten zu sein …

Natürlich ist das Linksextremismus. Und wir haben es ja beim G-20 Gipfel in Hamburg auch erlebt, dass da von den Dächern Steine und andere Gegenstände auf die Einsatzkräfte flogen. Da ist nichts spontan, das ist immer vorbereitet. Und deshalb haben auch in Berlin die Einsatzkräfte sich die umliegenden Häuser angeguckt und Steinvorräte beseitigt. Das gehört zum täglichen Geschäft der Einsatzkräfte.

Auf einer der großen Querdenker-Demonstration im August 2020 waren auf der Straße des 17-Juni allerdings städtische Baumaßnahmen mit jeder Menge Pflasterstein-Material. Passiert ist nichts. Die wurden nicht weggeräumt, es wurde nicht damit geworfen. Warum wurden die wohl nicht prophylaktisch geräumt? War die Polizei da sehr sorglos?

Nein, die Lageeinschätzung ist immer eine besondere. Dann sagt die Einsatzleitung, können wir machen oder nicht. Insofern ist das nicht sorglos, sondern dann war die Lagebeurteilung eben so.

Die kann auch mal daneben liegen?

Wir haben keine Glaskugel …

Was ist Ihre Prognose für die Zukunft der Rigaer Straße?

Ich glaube – egal, wer in Berlin regiert – diese Projekt wird uns noch Jahre begleiten.

Warum?

Weil die vergangene Politik diese Strukturen verfestigt hat. Strukturen, die jetzt von den Gerichten beachtet werden müssen. Denn wer einen Mietvertrag hat, der ist durch das Grundgesetz geschützt. Der Fehler liegt im Mietvertrag. Mit Rechtsbrechern darf man keine Verträge schließen. So einfach ist das. Die Polizei macht immer ihren Job. Die Polizei ist nicht links oder rechts. Und Politik kann auch nicht in das taktische Einsatzgeschehen eingreifen. Der Innensenator ist nicht der Einsatzleiter, sondern er führt die Polizei politisch. Illegale Hausbesetzungen muss man am Besten sofort beenden. Ansonsten hat man jahrelange und jahrzehntelange Probleme.

Wobei wir „illegale“ auch streichen könnten.

Genau, denn legale Hausbesetzung nennt man Miete. (lacht)

Danke Ihnen für das Gespräch.

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