Polnische Regionalparlamente, Kreistage und Magistrate verabschieden zu Dutzenden autonome Entscheidungen mit großer Außenwirkung. Annährend einhundert polnische Gebietskörperschaften haben sich als schwulenfrei erklärt. Präziser: via Resolution „LGBT-freie” Zonen ausgerufen, in denen Lesben, Bisexuelle, Schwule, Transgender und Intersexuelle sprichwörtlich den Mund zu halten haben, wenn ihnen an ihrem Wohlergehen liegt. Zwar geht es zunächst nur um LGBT-Ideologie und der Absicht, sie aus den Schulen und Kindergärten fern zu halten; aber die Ablehnung droht in einer Radikalisierung auf die betroffenen Personen überzugreifen.
Den Anfang machte der Kreistag in Świdnik Ende März 2019, berichtete der Mitteldeutsche Rundfunk im Herbst 2019: „Der Landkreis werde „frei von LGBT-Ideologie“ bleiben, heißt es in dem Beschluss. Radikale Aktivisten würden eine „Kulturrevolution“ in Polen anstreben und den Wert der Familie in Frage stellen. Die Kreisverwaltung werde die Bürger aber davor schützen, ebenso wie vor der „Frühsexualisierung von Kindern“ durch Aufklärungsunterricht an Schulen und einer überzogenen politischen Korrektheit – soweit die Versprechen der Volksvertreter.“
Diese Aktionen finden statt, wo die PiS-Partei ihre Hochburgern hat wie in vier der insgesamt sechzehn Woiwodschaften (Verwaltungsbezirken). Diese katholisch geprägte Entwicklung gegen Minderheiten ist alles andere als eine Randerscheinung irgendwelcher hintlerwäldlerischer polnischer Dorfgemeinschaften, wenn Homophobie in Polen Wahlen gewinnen helfen kann. Die Art und Weise der Rechtfertigung ist inakzeptabel, während Kritik an einem Sexualkundeunterricht in der Früherziehung ebenso wie an der Auswahl externer Anbieter bestimmter Kurse für Minderjährige durchaus berechtigt ist. Das kennen wir auch in Deutschland.
Es schockiert, wenn die überwiegende Mehrheit der Schwulen und Lesben in Polen auf Befragung erklärt, schon einmal oder mehrfach Opfer von Gewalt geworden zu sein einzig auf Grund ihrer sexuellen Orientierung. Selbstmordgedanken sollen sogar die Regel sein und nicht die Ausnahme. Betroffen sind in Polen etwa zwei Millionen Bürger, die sich fürchten müssen vor einem katholisch geprägten gruppenbezogenen Hass in der Mehrheitsgesellschaft.
Schon im Juli vergangenen Jahres legte die große polnische Wochenzeitung „Gazeta Polska“ ihren Lesern einen Sticker bei, der aufgeklebt solch eine schwulenfreie Zone anzeigen sollte: Darauf zu sehen sind die mit schwarzem Balken gleich Knastgitter durchgestrichenen Regenbogenfarben der Homosexuellen-Bewegung nebst eines Schriftzuges: „LGBT-freie Zone“. Da nützt es dann wenig, wenn der Chefredakteur gegenüber der Neuen Züricher Zeitung erklärte, seine Aktion sich doch gar nicht gegen einzelne Schwule, Lesben oder Transgender gerichtet, sondern gegen eine „totalitäre LGBT-Ideologie“.
Der österreichische Kurier berichtete vor wenigen Tagen, was der Erzbischof von Krakau zum Thema sagte, als er die Arbeit von Schwulengruppen mit dem Kommunismus verglich, der das freie Polen nicht hätte in die Knie zwingen können: „Die neue Bedrohung ist nicht rot, sondern der Regenbogen.“ Der Bischof sprach von einer „Seuche“ in den Farben des Regenbogens – selten noch war eine Parallelität der Haltungen von Islam und katholischer Kirche so offensichtlich.
Ein polnisches Gericht hat die Verteilung der schwulenfeindlichen Aufkleber zwischenzeitlich untersagt. Die Kritik an dieser Welle von Homophobie würde den Polen in ihrer Gesamtheit allerdings nicht gerecht, denn noch handelt es sich um eine Minderheit von Gebietskörperschaften, die sich für quasi schwulenfrei erklärt haben.