Oliver Decker hat sich wieder einmal die Zuwendung der gewerkschaftsnahen Otto Brenner Stiftung (OBS) gesichert. Decker wer? Genau, wir hatten im Juni des letzten Jahres seine Studie „Die enthemmte Mitte“ gelesen und massive methodische Mängel festgestellt. Besagte Studie wurde damals ebenfalls gefördert von der Otto Brenner Stiftung wie von der Rosa Luxemburg und Heinrich Böll Stiftung. Also wie man sich denken kann, eine denkbar „sinnstiftende“ Zusammenkunft. Oliver Decker verantwortet das „Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung Universität Leipzig“. Da greift OBS gerne unter die Arme, wenn Neues angeboten wird. Die Linkliste des selbsternannten Kompetenzzentrums führt – na klar – an erster Stelle die Amadeu-Antonio-Stiftung. Es findet hier zusammen, was zusammengehört.
Aber so „renommiert“ dann wohl doch nicht, hielt es doch die Otto Brenner Stiftung noch bei Deckers „Mitte-Studie“ für nötig, eine Sammlung auch von kritischen Stimmen zur Arbeit Deckers zu veröffentlichen. Hier finden sich dann Links nicht nur zu TE, sondern beispielsweise auch zur Frankfurter Allgemeinen, die damals zur Studie Deckers befand, nicht die Mitte sei enthemmt, sondern mindestens auch Oliver Decker und Co. Originalton FAZ: „Leipziger Forscher sehen die deutsche Gesellschaft alle zwei Jahre am Rande des Faschismus. Auch jetzt haben sie eine „enthemmte Mitte“ ausgerufen. Dabei ist es vor allem eine Gruppe, die enthemmt ist: sie selbst.“
Nichtsdestotrotz fördert OBS erneut das „Team Decker“ und stellt ihn uns als renommierten Autoren vor. Nun denn. Lesen wir einmal hinein in die aktuelle Arbeit Deckers für die OBS. Woher kommt das „Medienmisstrauen“ laut Decker?
Das Fazit steht am Anfang des Arbeitspapiers: Die Ergebnisse von Deckers Untersuchung sollen bestätigen, dass „das Vertrauen in Parteien, Parlament, Regierung und Justiz (…) eng an das Medienvertrauen gekoppelt (ist). Entsprechend verschärfen sich beide Problematiken gegenseitig.“ Die gesellschaftlichen Verwerfungen, der Graben durch die Mitte der Gesellschaft wird hier auf die gleiche Weise gezogen, wie schon in Deckers „Mitte-Studie“: Die nämlich hätte bereits festgestellt, „dass die demokratischen Milieus unserer Gesellschaft wachsen, während sich ihre autoritären Pendants radikalisieren“.
Hier die Folgsamen also und dort die Kritischen. Die Bösen. Hier die Demokraten, dort die Autoritären. So funktioniert die einfache Welt des Oliver Decker. Und er gibt vor, es zu beweisen.
Decker beginnt in seiner Einleitung mit dem Hinweis auf die Pegida-Märsche 2014. Schon damals wäre die Presse massiv angegriffen worden. Nun will Decker gar nicht so genau nicht wissen, was zuerst war: Das Huhn oder das Ei? Provozierten die Berichte über Pegida Begriffe wie „Lügenpresse“? Oder anders herum? Die AfD hätte diese Verunsicherung für sich genutzt. Die AfD wäre es doch erst gewesen, „die die „korrupten Eliten“ dem „verratenen“, ethnisch homogenen „Volk“ gegenüber“ stellen.
Die AfD also bei Decker schon Scharfmacher in Dresden bei Pegida. Die Presse hätte in diesem schwarz-weißen Weltbild ihren Platz bei den „Eliten“. Nun vergisst Decker leider, dass es die Medien selbst waren, die ihre Rolle später als Schwarzweißmalerei selbstkritisch betrachtet haben. Gerne zitieren wir hier zum wiederholten Mal den ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo: „Wir waren geradezu beseelt von der historischen Aufgabe.“
Anfang 2017 schrieb er, dass es ihn im „zurückliegenden Jahr so sehr gestört hat, dass eine von der Politik der Bundesregierung abweichende Meinung, manchmal auch schon kritische Fragen, unter den Generalverdacht gestellt wurden …“ Das alles weiß auch Decker. Aber es passt nicht in seine Studien und Arbeitspapiere, also findet es nicht statt. Wir wissen es bereits von der „Mitte-Studie“: So arbeitet man in Leipzig, wenn das gewünschte Ergebnis nicht mit der Faktenlage zusammenpasst. Zwar erkennt Decker, dass die „hohe soziale Nähe zwischen Journalisten und denjenigen, die sie als „vierte Macht“ kontrollieren sollten“, irgendwie zu eng ist, aber das rechtfertige kein über die begründete Kritik hinausgehendes Misstrauen in die Medien.
Eine Studie baut auf der anderen auf, das spart dem Team um Decker Zeit und Arbeit und versteht sich zudem noch als nachgereichte Rechtfertigung einer Schlechtleistung aus Leipzig. Mittel der Wahl ist für Decker die Psychologisierung: Bei ihm basiert Medienkritik auf einem autoritären Charakter. Und solche autoritären Charaktere empfänden nur Wut und Verachtung, Aggression gegenüber Anderen und hegten den „argwöhnische Verdacht, es seien geheime Mächte im Spiel, die die Medien wie auch die Politik dominierten.“ Immerhin stellt Decker richtig fest: „Wer den politischen Instanzen vertraut, neigt auch dazu, den Medien zu glauben. Ist aber erst einmal eine Seite erschüttert, geht auch die andere ihres Kredits verlustig.“ Ja, zumindest dann, wenn man davon ausgeht, dass beide Hand in Hand arbeiten.
Was wiederholt bei den Deckerstudien und – arbeiten auffällt: Die Interpretation seiner Ergebnisse nehmen den größten Raum ein. Hier will einer Transzendenz schaffen und so individuellen Lesarten strickt vorbeugen. Die von ihm angesprochenen Journalisten werden das dankbar annehmen.
Auffällig an dieser Studie übrigens ist die Annahme von Echokammern, quasi als Brutstätten des Bösen, allerdings immer aus der eigenen Decker-Echokammer herausgerufen: Umso intensiver sich Decker und Co mit den Echokammern des Gegenüber beschäftigen, desto stärker fundamentiert sich die eigene, legitimiert als so etwas, wie einem neutralen Raum der Wissenschaft.
Immer wieder zitiert das Team Decker aus seiner „Mitte-Studie“. Er war also nicht einmal bereit, einen Neuanfang zurück zu so etwas wie Wissenschaftlichkeit zu wagen. Das muss man ohne Wenn und Aber auch der Otto Brenner Stiftung anlasten. Sie hätte die Reißleine schon 2016 ziehen könne oder sogar müssen. Stattdessen ein neuer Auftrag nach Leipzig.
Bemerkenswert findet die Untersuchung, die 1.917 Westdeutsche und 503 Ostdeutsche befragt haben will, beispielsweise, dass ein Viertel der Westdeutschen das Internet für glaubwürdig halten, aber nur ein Fünftel der Ostdeutschen. Die Benachteiligten sind bei Decker so etwas wie „Deprivations“-Opfer https://de.wikipedia.org/wiki/Deprivation . „(S)ubjektive Deprivationserfahrungen“ lägen bei den Misstrauischen doppelt so häufig vor wie bei Befragten, die die Medien auf breiter Front für glaubwürdig halten. „Bei Menschen, die die Medien für glaubwürdig halten, schätzt nur rund ein Viertel die nationale wirtschaftliche Lage als schlecht ein.“ Was der Kollege uns sagen will, ist in etwa so aufsehenerregend wie die Feststellung: „Wem es gut geht, der ist zufriedener.“ So als würde man den Ärmelkanal durchschwimmen, nur um festzustellen, dass Wasser nass ist. Man fragt sich hier unwillkürlich, wie hoch denn die Glaubwürdigkeit solcher Untersuchungen und Studien aus dem Hause Decker ist. Die Vermutung liegt nahe, dass die vielgescholtenen Medien hier noch besser abschneiden würden.
Für Decker gibt es eine Echokammer des Internet. Eine eigene Echokammer oder eine der so genannten Mainstreammedien mag er aber nicht erkennen. Wohl auch deshalb nicht, weil eben dort seine Kundschaft sitzt. Von dort aus soll die Decker-Untersuchung verbreitet werden entlang – natürlich – der Decker‘schen Ergebnisinterpretation. So sind „deutlich mehr Männer unter den „Bewohner*innen“ der Echokammer, und es finden sich mehr Menschen mit sozialer Deprivation in dieser Gruppe.“, also die Abgehängten.
Und dann folgen nur noch weitere Banalitäten, die sprachlos machen: „Im ressentimentgeladenen Milieu hält nur etwas mehr als jeder Dritte Tageszeitungen und öffentlich-rechtlichen Rundfunk für glaubwürdig. Und dies gilt in diesem Milieu für alle Medien.“ Was Decker dann als „Schlussfolgerung“ anbietet, darf getrost als lahme Ente verstanden werden: „Wer allerdings den Berichterstattungen in Tageszeitungen, privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk Glauben schenkt, der ist auch mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden.“ Decker macht den bösen Bewohnern der Echokammer Internet ein Angebot: „Zur Verfügung stehen neben Meinungsforen ebenso redaktionell betreute Angebote.“ Betreuung ist also Zauberwort. Denn so Decker: „Die Notwendigkeit, Informationen zu gewichten und Komplexität von Debatten und politischen Entwicklungen zu reduzieren, stellt im Alltag und bei der Breite lebensrelevanter Themen eine Herausforderung dar.“
Spätestens hier muss man feststellen, dass diese Decker-Untersuchung, die sich „Arbeitspapier“ nennt, im Ergebnis auf eine Weise banal ist, die erschreckt, wenn nicht sogar schockiert. Unabhängig davon, was deutsche Bürger von ihren Medien halten, wird hier immerhin zweifelfrei aufzeigt, was die gleichen Personen von solchen Studien halten dürfen: Nichts. Oder nicht viel, bedenkt man Aufwand und Kosten solcher Untersuchungen, die nicht mehr erreichen, als die gleichen Macher vorhergehender viel kritisierter Studien weiter im Geschäft zu halten. Eine akademische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, ein Abwehr von Kritik mit akademischen Mitteln, die in Art und Weise geeignet sind ist, auch noch das Vertrauen in den akademischen Stand zu untergraben.