Für die fotografische Solidaritätsadresse der beiden deutsch-türkischen Spieler der Deutschen Fußballnationalmannschaft an Erdoğan kann es nur zwei Erklärungen geben: Entweder Mesut Özil und İlkay Gündoğan sind entsetzlich dämlich oder sie haben beim Fototermin in London mit Vorsatz Wahlkampfhilfe für den türkischen Präsidenten geleistet. Um niemanden zu beleidigen, gehen wir von letzterem aus. Von einem misslungenen Versuch, einmal zu schauen, wie weit man gehen darf mit diesen Deutschen. Was alles möglich ist für die beiden Champions League Vereinsspieler bei Arsenal (Özil) und Manchester (Gündoğan). Aus der emotionalen Warte betrachtet, zeigt Mesut Özils Grinsen schon mal auf ziemlich eindeutige Weise, wie man diesen Vorstoß bewerten darf.
DFB-Präsident Reinhard Grindel allerdings vertritt lieber die These von der entsetzlichen Dämlichkeit der beiden Spieler, wenn er etwa beschwichtigend davon ausgeht, sie hätten sich „missbrauchen lassen“.
Nein, natürlich nicht. Denn der bei Liverpool unter Vertrag stehende Emre Can lehnte die Einladung Erdogans zum Fotostelldichein aus gutem Grund ab. Aber Erdogan konnte offensichtlich gut auf ihn verzichten, denn Can wurde für die kommende Weltmeisterschaft von Yogi Löw nicht ins deutsche Kader geholt. Ist Can deshalb respektlos, weil er dem Präsidenten des Landes seiner Eltern nicht die Hand schüttelt, wie es Özil und Gündogan unter anderem als Begründung für ihre Teilnahme erklärten? Oder sind gar die Familien der Fußballer in Gefahr, wenn sie auf den Handschlag mit Foto verzichtet hätten? Hat Can keine Familie in der Türkei?
Mesut Özil und İlkay Gündoğan haben in der Deutschen Nationalmannschaft nichts mehr verloren. Sie haben sich mit ihrem Erdogan-Auftritt deutlich ins Abseits gestellt. Dass Özil öffentlich bekundete, während der Hymne lieber zu seinem Gott zu beten, ist da nur noch eine Randnotiz. Diese noch unter Beckenbauer als Pflichtveranstaltung verstandene Sangeseinlage mit Freiheitsbezug war für Joachim „Jogi“ Löw nur noch die Freiheit, nicht singen zu müssen – seine Spieler würden sich „total mit der Nationalmannschaft und Deutschland“ identifizieren.
Nein, der DfB hat hier lediglich Werte zu proklamieren wie Leistungsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein, Teamgeist, Disziplin und Fairness. Die Werte der Nation, für welche die Nationalmannschaft nun einmal explizit antritt, können nicht irgendein beliebiger Zusatz sein, sie sind im Gegenteil das Fundament für solche Werte, die sich der DfB, Siemens oder Volkswagen geben können, wenn sie mögen. Oder es einfach bleiben lassen und einfach so einen Fußball zeigen, der sich sehen lassen kann.
Dafür gehören sie ohne wenn und aber aus dem Kader ausgeschlossen.
Natürlich kann man es auch so rein nostalgisch sehen, wie es der Berliner Veranstalter Herman Vieljans im Interview mit TE formulierte:
„Zu meiner ganz persönlichen Wahrheit gehört ja noch etwas anderes, viel älteres: Meine Helden der Jugend mit dem Adler auf der Brust hießen Meier, Schwarzenberg, Beckenbauer, Voigt und Horst Höttges. So what? Denn was soll ich tun? Diese Gänsehaut an der Hand meines Vaters – ich trug das Nationaltrikot in Baumwolle – sie kommt nicht mehr wieder. Und ist doch immer dabei.“
Dann allerdings ist es völlig wurscht, wer nun mit wem posiert, wenn am Ende, wie es Vieljans formulierte, sowieso nicht Deutschland – Brasilien auf dem Platz spielt, sondern „Man City gegen Man City antreten“.
Ist es vielleicht tatsächlich so, dass dieses Baumwollgefühl nur noch regional wirkt, dann beispielsweise, wenn Torsten Lieberknecht in seinen letzten Stunden als Trainer der in die dritte Liga abgestiegenen Eintracht Braunschweig weinend auf dem Platz Trost sucht in den Armen eines Fans? Reiner Lokalpatriotismus versus einer nationalen Identifikation mit der Mannschaft?
Wenn nun Özil und Gündoğan Erdogan unterstützen, wenn Gündoğan ihn herzlich als „meinen Präsidenten“ bezeichnet, dann ist das auch ein klares Statement gegen Yücel. Wie schrieb noch der Chefredakteur der Welt, Ulf Poschardt zum Fall Yücel? „Auch in Deutschland muss die Freiheit verteidigt werden.“ Poschardt posierte nicht mit Erdogan, er bescheinigte ihm stattdessen, Herrscher eines unterdrückerischen, widerwärtigen Regimes in der Türkei zu sein.
Poschardt bedankte sich auch bei Cem Özdemir für dessen Engagement in Sachen Yücel. Der selbe Özdemir, der jetzt den Auftritt der beiden Noch-Nationalspieler so kommentierte: „Der Bundespräsident eines deutschen Nationalspielers heißt Frank-Walter Steinmeier, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und das Parlament heißt Deutscher Bundestag. Es sitzt in Berlin, nicht in Ankara.“
So hat dieses unsägliche Foto auch sein gutes: Es zwingt den Dachverband der Fußballverbände in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Akt der Klarheit. Und die muss schnellstmöglich erfolgen. Leider hat der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes mit der Pressekonferenz zum Erdogan-Fotoshooting die erste Gelegenheit zu so einer Klarheit bereits verpasst, als er meinte, erklären zu müssen, Integration sei wichtige Richtschnur des DFB und als er Integration zu einer Schlüsselaufgabe seines Verbandes erklärte. Diese Aufgabe übernehmen allerdings die vielen ehrenamtlichen Trainer vor Ort. Die ihren nicht unerheblichen Teil dazu leisten, dass Integration nicht in einer halbherzigen Doppelstaatsbürgerschaft mündet, sondern in einem klaren Bekenntnis zu den Werten dieses Staates. In einem Bekenntnis zu einer Gemeinschaft der Deutschen, die beispielsweise im Fußball Leistungsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein, Teamgeist, Disziplin und Fairness hochschätzen. Aber das tun andere Fußballbegeisterte auch. In einer Nationalmannschaft für die Nation antreten zu dürfen bedeutet noch wesentlich mehr als das.