Sie werden sich vielleicht erinnern, im Juni dieses Jahres kam man tagelang in den Medien kaum an einer Studie vorbei, die eine zunehmende Rechtsradikalisierung der Deutschen nebst einem gefährlichen Hang zu Nazi-Gedankengut herausgefunden haben wollte.
Wir konnten schnell aufzeigen, was wirklich dran war an dieser mit massiven Mängeln belegten Analyse aus dem Hause eines „Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung an der Universität Leipzig“ in Kooperation mit der Heinrich Böll, Rosa Luxemburg und Otto Brenner Stiftung.
Nun hat die beteiligte Otto-Brenner-Stiftung einen Ruf zu verlieren. Immerhin kam aus ihrem Hause 2010 eine Studie, welche die Berichterstattung der Medien über die Finanzkrise ab 2007 untersucht hatte und ein „eklatantes journalistisches Versagen“ festgestellt haben wollte. Wer so austeilt, legt Wert darauf, mit einer weißen Weste herumzulaufen. Also versuchte man schnell nach Erscheinen der fundamentalen Kritik an der Studie bei Tichy und FAZ, gut Wetter zu machen und veröffentlichte eine Art Nachlese, die sich nun allerdings bei aller Kryptik wie eine Beichte des Versagens der Partner aus Leipzig liest.
Existenzsichernder Nonsens
Dort wurde nun in einer Art Chronologie der Ereignisse die Kritik an der „Mitte-Studie“ (man sagt nun „Mitte-Studie“, weil der ursprüngliche Titel der Studie, „Die enthemmte Mitte“ von Decker, wohl bereits zu sehr vom eigenen Unvermögen der Studierten kontaminiert ist) zusammengestellt, ebenso wie man – Achtung, jetzt wird’s lustig: – die Rubrik: „Stellungnahmen und Kritik der Kritik“ einfügte. Also kurz gesagt: Der Abbitte nebst Rechtfertigungsblog Raum bot.
Und dort findet sich nun, fast verschüttet zwischen einer Kippe aus Links und Kommentaren, ein bemerkenswert leutseliges, wie larmoyantes, wie entlarvendes, der Kritik bei Tichys Einblick nachgeschobenes Papier dieses Oliver Deckers. Na klar, da sind Hunderttausende an Euro verbrannt worden nicht nur der Mittel der Universität, sondern eben auch Gelder der Kooperationspartner. Geld, das indirekt auch bei Deckers zu Hause die Butter aufs Brot schmiert? Und klar, wenn’s an die eigenen Pfründe geht, geht auch so ein engagierter Kämpfer für das Gute mal auf die Knie. Geht er wirklich? Nein, in der berechtigten Hoffnung, dass die mediale Aufmerksamkeit quasi beim verschämten „Rückruf“ seiner Studie deutlich geringer ausfällt, bleibt es bei unernster Larmoyanz.
Wir könnten es nun kurz machen. Ein Absatz dieser Abbitte reicht völlig aus, zu dechiffrieren, was heute von medienschwangeren Anti-Rechts-Studien dieser Machart zu halten ist:
„Der Anteil an Menschen, bei denen sich rechtsextreme Ideologie in der Einstellung wiederfindet, ist seit 2014 nicht gewachsen. Seit 2006 ist er sogar gesunken. Gleichzeitig aber findet in den autoritär-rechtsextremen Milieus eine Radikalisierung statt. Das ist Grund für den Titel der Studie ‚Die enthemmte Mitte‘.“
Weil „in den autoritär-rechtsextremen Milieus eine Radikalisierung statt(findet)“, ist die Mitte enthemmt?
Komfortabel querfinanzierte Wissenschaftler
Ist das nicht tolldreist? Immerhin titelte der Spiegel damals auf Basis der Decker-Studie: „Deutschlands hässliche Fratze“ und schrieb in Vertrauen auf die Arbeit der Uni-Leipzig und wohl ohne den ganzen Quatsch dort mit der gebotenen Sorgfalt gelesen zu haben: „Viele Bürger denken völkisch (…) sie vertreten zunehmend antidemokratische Positionen“. Und na klar, der Forscher der Leipziger Bildungseinrichtung sieht laut Spiegel natürlich „vor allem Bildungseinrichtungen in der Pflicht, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken: ‚Das Fundament der demokratischen Gesellschaft muss immer erneuert werden.’“ Also durch ihn und seine Leute! Eine Jobmaschine, die sich immer wieder selbst Arbeit generiert. Ein Perpetuum mobile des Guten.
Die Tagesschau folgerte aus der Studie: „Der hässliche Deutsche wohnt nicht nur im Osten“ und Decker himself erklärte den – huch! – erschrockenen Zuschauern damals auf die bereits an die Studie anknüpfende Frage der Tagesschau: „Warum verlieren Menschen immer häufiger jegliche Hemmungen?“: „Eine wichtige Rolle spielt dabei das Umfeld der Täter. Die meisten der Menschen, die nun Gewalt anwenden, sind vorher nie auffällig geworden.“ Na klar, „Die enthemmte Mitte“ eben, Titel der Studie.
Das alles ist zunächst einmal auf eines ausgelegt: Nämlich auf die unbedingte materielle Fortexistenz des Mahners: des mahnenden Herrn Deckers und seiner tendenziösen Mahnstudien. Der komfortabel querfinanzierte Wissenschaftler als Seismograf des Guten, des Gerechten, der Menschenfreundlichkeit.
Man kann nur ahnen, wie übellaunig dieser gute Mensch nun wohl gezwungener Maßen den Rückzug antreten und aus dem Links-zwo-drei-vier-Galopp in den Oh-Je-Krebsgang zurückwechseln musste, als der so kompetente Herr seine inkompetente Studie im Nachgang zu rechtfertigen hatte. So klingt das dann auch.
Ein Highlight in der Abbitte des Beleidigten: „Konkurrierend war die These, dass sich nicht mehr Rechtsextreme finden lassen, diese sich dafür aber deutlicher artikulieren und nicht mehr nur antidemokratisch denken …“ Mist aber auch, dass die Empirie der These nicht folgen will. Ah ja, also auch das ein nachgerechter Beleg dafür, das man eine „enthemmte Mitte“ annehmen soll? Nachsatz in Deckers Abbitte: „Die Ergebnisse unserer Untersuchung sind eindeutig: Es ist 2016 keine Zunahme rechtsextremer Einstellung festzustellen.“ Ähm, ergo auch keine Enthemmung der Mitte? Na klar!
Unwissenheitsstandort Deutschland
Und wenn wir schon dabei sind, dann dürfen wir – natürlich mit einer unanständigen Portion Zynismus – auch feststellen, was Herr Decker nicht feststellen wollte: Wenn eine zunehmende Gewalt und Kriminalität von Ausländern in Deutschland mit ihrer zunehmenden Zahl zu relativieren ist, dann könnte man diese Relativierung eben auch auf der gegenüberliegenden Seite anwenden. Dann passt sich die so bezeichnete „Enthemmung der Mitte“ eben bestenfalls den veränderten Realitäten an. Oder: der einzig Enthemmte ist Herr Decker.
Oder wie die ZEIT sich bemüßigt fühlte festzustellen: „Wenn im vergangenen Jahr mehr als eine Million Zuwanderer nach Deutschland kamen, dann verändert sich auch das zahlenmäßige Verhältnis von Deutschen zu Nichtdeutschen. Natürlich begehen auch Flüchtlinge Straftaten in Deutschland. Sie müssen dabei aber nicht krimineller sein als der Durchschnittsdeutsche, um den Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen zu erhöhen.“
Jetzt kommt das Finale: Wenn nun also Decker feststellt, „Der Anteil an Menschen, bei denen sich rechtsextreme Ideologie in der Einstellung wiederfindet, ist seit 2014 nicht gewachsen.“, was bedeutet das dann für rechtsextreme Einstellungen? Ganz einfach, dann ist eine behauptete Enthemmung in Wahrheit sogar eine De-Enthemmung. Eine neue große Hemmschwelle! Und die Studie ist dann im Nachgang samt ihrer nachgereichten Abbitte nicht mehr, als ein teuer bezahlter linkspolitischer Heißluft-Luftballon. Oder wenn Sie so wollen: eine Amtshilfe für die „Wir-schaffen-das“-Bundeskanzlerin im Gewande einer Pseudo-Wissenschaft. Also eine weitere Demontage deutscher Exzellenz hin zum Unwissenheitsstandort Deutschland.