Tichys Einblick
Maritimer Bluff:

Neue Marinemission: Die Absage der EU an Seenotrettung ist fraglich

Viele Wege führen bekanntlich für Zuwanderer nach Deutschland. Möglicherweise haben die EU-Außenminister gerade wieder einen neuen übers Mittelmeer freigeschaufelt - angetrieben vom deutschen Außenminister Heiko Maas.

Iker Pastor/Anadolu Agency/Getty Images

Die EU-Außenminister trafen sich zu einer Sondersitzung in Brüssel. Anlass waren Eskalationen am Golf und in Libyen. Ziel war es, gemeinsame Position zu finden. Nun könnten die Konflikte in dem Raum zwischen Teheran über Damaskus bis Tripolis kaum vielfältiger sein. Und jeder dieser Konfliktherde betrifft in unterschiedlicher Weise und Intensität die Europäische Union, den europäischen Kontinent und seine Menschen, deren Selbstverständnis und ihre Kultur.

Das ist die Ausgangslage, welche die Bedeutung solcher Treffen schon im Vorfeld markiert.

Herausragende Bedeutung für die Zusammenkunft hatte allerdings der sich zuspitzende Konflikt in Libyen, wo zuletzt unter anderem mit dem türkischen Militär ein weiterer schwergewichtiger Player auf der Bühne erscheinen ist. Noch ist unklar ist, wer dieses maritime Einfallstor für Migranten in die EU zukünftig kontrollieren wird, wer also im positiven Sinne für Europa verhindern könnte, dass wieder zehntausende Menschen sich auf den Weg über das Mittelmeer in die Sozialsysteme der europäischen Länder machen.

Bundesinnenminister Seehofer warnte jüngst wieder einmal vor einer erneuten Eskalation der Massenzuwanderung, meinte in diesem Falle aber nicht jene über das zentrale Mittelmeer, sondern über die Balkanroute. Und dieser wiederum war nicht etwa dadurch erklärbar, dass Kampfhandlungen in Syrien neu aufflammen –   Hunderttausende sollen sich ja auf den Weg gemacht haben, während der amerikanische Präsident den Konflikt befeuert und einen möglich erscheinenden Sieg des mit dem russischen Präsidenten verbündeten Assad noch zu verhindern trachtet. Nein, die, die über die Balkanroute kommen, sind vorwiegend Afghanen und Pakistani, die Syrer suchen weiter den Weg über die griechischen Inseln, wo die Katastrophenmeldungen schon zum Tagesgeschäft gehören.

Viele Wege führen also nach Deutschland. Haben die EU-Außenminister gerade wieder einen neuen freigeschaufelt?

Ungarn: Der Migrationsdruck auf die Südgrenze wird immer stärker
Eine komplizierte Ausgangslage für eine europäische Diplomatie, die noch zusätzlich von konkurrierenden innereuropäischen Positionen befeuert wird, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. So war es die deutsche Bundesregierung, die unverhohlen darüber nachdachte, die sich für die frühere Massenzuwanderung als so verheerend herausstellende Marinemission der EU neu aufzulegen. Damals bedeuteteten diese Marineschiffe, indem sie Migranten aufnahmen, einen immensen Pullfaktor.

Als sich bald bis in den hintersten Winkel des afrikanischen Kontinents herumgesprochen hatte, dass man, etwas Geld für Schlepper vorausgesetzt, von eben diesen EU-Schiffen via Seenotleitzentrale in Rom aus maroden Schlauchbooten und Holzkähnen aufgenommen wird und damit die wichtigste Hürde nach Deutschland, Schweden usw. geschafft hat, während beispielsweise in den spanischen Enklaven auf dem nordafrikanischen Festland noch unüberwindbare meterhohe Zäune mit Dornenkrone den Weg nach Europa versperren.

Ein Zwischenruf aus Brüssel von Heiko Maas via Twitter und vorgeblich direkt aus den laufenden Gesprächen ließ zunächst wenig Gutes ahnen. Der Außenminister erweckte den Eindruck, die Deutschen hätten sich gegen die besonnenen Stimmen beispielsweise der Österreicher oder Ungarn durchgesetzt als Maas twitterte: „Wir werden jetzt die Details der neuen Mission erarbeiten, die auch eine maritime Komponente haben wird.“ Das sei ein großer Schritt für den Berliner Prozess, schrieb er weiter.

Hatte sich der deutsche Ungeist noch weiter über Europa gelegt? Nach der sich ergebnislos nur in Willensbekunungen auslaufenden Libyen-Konferenz in Berlin also ein erstes als dringlich apostrophiertes Arbeitstreffen in Brüssel – ein seiner Twitter-Meldung beigelegtes Foto zeigte die Fehlbesetzung des Amtes, wenn Heiko Maas sich mit dieser Aufnahme als Großdiplomat präsentieren wollte im Mittelpunkt einer Reihe hochkarätiger Kollegen. So einen Moment muss man erst einmal abpassen. Aber seine Entourage hatte aufgepasst und abgedrückt. Ein egozentrierter  Nebenkriegsschauplatz.

In Berlin wurde lose eine Kontrolle des Waffenembargos für Libyen verabredet. Brüssel sollte nun Nägel mit Köpfen machen. Im Ergebnis wahrte die Bundesregierung jetzt ihr Gesicht und bekam tatsächlich die erwünschte Schlagzeile, die heute durchgehend lautete: „Neue Marinemission der EU im Mittelmeer.“ Für die, die nicht weiterlasen war das der Gau, ein Signal für wieder noch mehr illegale  Zuwanderung – bzw. die militärische Variante der ideologischen Mission eines Heinrich Bedford-Strohm, der zuletzt sogar aus den eigenen Reihen heraus ermahnt werden müsste, sein Bootsbau-Engagement bitte herunterzufahren.

Verwirrspiel für das Wunschergebnis
Der nächste große Bluff: "Zuwanderer entlasten Krankenkassen"
Zwischenzeitlich konnte gegenüber den Kritikern so einer militärischen EU-Mission im Mittelmeer Entwarnung gegeben werden. Täuschung oder Wahrheit? Zunächst soll zwar darum gerungen worden sein, ob möglicherweise eine Luft- und Satellitengestütze Aufklärung ausreichend wäre. Dann kam aber die Meldung von Heiko Maas wie unter anderem von der Saabrücker Zeitung berichtet: „Wir waren uns einig, dass auch Schiffe dazu gehören, wenn wir ein Komplettbild der Lage haben wollen.“ Die kommenden Wochen sollen dazu dienen, die Details auszuarbeiten und diese dann mit den vereinten Nationen abzustimmen. Alleine dieser UN-Passus dürfte wiederum bei Kritikern der UN-Migrationspakte für neue Unruhe sorgen.

Beispielsweise ZDF-Heute zeigt eine Karte mit einem großflächig gestrichelten möglichem Einsatzgebiet der neuen Marinemission im östlichen Teil des Mittelmeeres und weit ab von der libyschen Küste. Hier stellte sich die Frage, welche neuen Schlepperrouten damit von welchen neuen Küsten aus generiert werden könnten.

Der österreichische Außenamtschef Alexander Schallenberg hatte es im Vorfeld des Treffens bereits unmissverständlich für sein Land klar gemacht: Über alles könne geredet werden, nicht aber über eine Wiederaufnahme der so genannten „Mission Sophia“. Was dann wiederum den deutschen Außenminister zu der schon im Ansatz irgendwie verdrehten Aussage bewegte, dass diejenigen, die in erster Linie an Migrationsfragen denken würden, wissen sollten, „dass man das Migrationsproblem auch nur lösen kann, wenn Libyen kein „Failed State“ bleibt.“ Heißt aber nun was?

Ungarn, Polen, Italien und weitere EU-Staaten sollen trotzdem den Ton angegeben haben, als sie einen Rettungseinsatz für verunglückte Schlepperboote ablehnten. Das allerdings war auch zuvor nie Auftrag der EU-Missionen. Es gehörte nur immer zum Selbstverständnis der Seefahrt, ob nun privat oder militärisch unterwegs, Schiffsbrüchige zu retten.

Vom EU-Vertreter bis hinüber zum österreichischen Bundeskanzler: Noch nie wurde es in den letzten Jahren dieser ätzenden Schuldzuweisungen und Unterstellungen gegen Kritiker dieser Mission so deutlich revidiert, wie es Sebastian Kurz jetzt von Wien aus für Brüssel formulierte, „Sophia“ hätte zweifellos einen Pullfaktor gehabt, die Hilfesuchenden wären geradezu „angezogen“ geworden. Der EU-Beauftragte Josep Borell sprach ebenfalls unmissverständlich und vor laufendem Kameras von so einem „Pullfaktor“, den auszusprechen eine lange Zeit dazu geführt hatte, in eine Reihe mit Menschenfeinden oder gar Nazis zu geraten.

Halten wir also fest: Operation Sophia sollte Schleppern das Handwerk legen und wurde zu einer Mission der Massenzuwanderung via Seenotrettung und die neue Mission soll nun ein Waffenembargo sichern, das den libyischen Konfkiktparteien weiteres Tötungsgerät vorenthalten soll. Alleine der Gedanke, dass so etwas lückenlos funktionieren könnte scheint abwegig, aber möglicherweise wird das Töten so mindestens erschwert. Heiko Maas hatte erklärt, es ginge darum, die Bürgerkriegsparteien von ihren Unterstützern zu trennen.

Besagte Illustration im heute-journal soll beruhigen, wenn dort das von den Außenministern so großzügig am Kartentisch schraffierte Einsatzgebiet erstmals abgebildet wird, das von Kreta bis zum östlichen Libyen reicht und von der Westspitze Zyperns bis zum Suezkanal. Ein Einsatzgebiet, ungefähr so groß wie Syrien, Jordanien, Israel und der Sinai zusammengenommen.

Österreichs DerStandard meldete bereits ernsthafte Zweifel an und titelte: „EU-Mission kann sich Seenotrettung nicht entziehen.“ Weiter heißt es da, dass, sollte es doch zu solchen Rettungen kommen, Schiffe möglicherweise abgezogen werden würden. Die Mission soll keine humanitäre, sondern eine militärische sein. Das allerdings war „Sophia“ auch schon, eine rein militärische. Die schon seit Frühjahr 2019 nicht mehr mit Schiffen ausgestattete Mission soll nun am 20. März auch hochoffiziell enden.

Wie vage die Idee von einem Erfolg so einer neuen Mission für die zusammentreffenden EU-Außenminister tatsächlich ist, mag belegen, dass man sich offenhält, bei einem Anstieg der Schleppertätigkeit, die Schiffe wieder abzuziehen. Und was überhaupt kein Thema gewesen zu sein scheint: Weitere private Schiffe sind vor Libyen unterwegs, die europäischen Nichtregierungsorganisationen und die Kirchen setzen ihre Arbeit unbeeindruckt von solchen Planspielen in Brüssel fort.

Sollte sich allerdings herausstellen, dass die ursprünglichen Befürworter einer Fortführung der gewesenen Seenotrettungsmissionen auch diese neue Mission dafür missbrauchen sollten, dann wird man sich daran erinnern müssen, was Heiko Maas heute äußert – sein Sprache von Twitter bis hin zu seinen Verlautbarungen in Brüssel ist nämlich alles andere als eindeutig.

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