Zum Tag der deutschen Einheit sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Mainzer Rheingoldhalle. Nach einer viel zu lang geratenen Grußbotschaft an die deutsche Jugend folgt eine Warnung vor dem Nationalismus. Es dürfe keinen „Rückweg in den Nationalismus“ geben. Was zunächst seltsam klingt an so einem deutschen Nationalfeiertag. Aber Nationalismus und Nation sind eben zwei paar Stiefel, will uns der sozialdemokratische Präsident aller Deutschen sagen. Er erinnert an die Wahlen am 24. September. „Das freie und gleiche Wahlrecht verbindet uns“, ermuntert Steinmeier seine deutschen Landsleuten im Westen und Osten.
Aber die präsidiale Ermunterung am Nationalfeiertag ist getrübt, da muss etwas Furchtbares passiert sein bei diesen Wahlen: «Ich halte ganz und gar nichts von düsteren Abstiegsszenarien, aber ich finde, auch an einem Feiertag dürfen wir nicht so tun, als sei da nichts geschehen: „Abhaken und weiter so!“»
Es ist also etwas geschehen. Na klar, auch wenn sie mit keinem Wort erwähnt wird, aber die AfD ist in den Bundestag eingezogen. Das ist geschehen. Und das sei ein Signal an alle Deutschen, was geschehen ist, dürfe nicht nur „bei Parteien, Fraktionen und Koalitionsverhandlungen“ abgeladen werden. Der Bundespräsident als Apokalyptiker? Die Mauer sei zwar weg, aber am Wahltag sei eine neue entstanden: «Es sind andere Mauern entstanden, weniger sichtbare, ohne Stacheldraht und Todesstreifen – aber Mauern, die unserem gemeinsamen „Wir“ im Wege stehen.“»
Die AfD steht also dem gemeinsamen „Wir“ in der Bundesrepublik Deutschland im Wege. Was für einen Kampfansage von einem, der offensichtlich seine Rolle als Bundespräsident völlig falsch versteht. Und so dahergeschwafelt am Nationalfeiertag, als hätte es vorher keine politischen Entscheidungen gegeben, die den Erfolg der Alternative für Deutschland begünstigt hätten, an denen ein Frank-Walter Steinmeier noch in Regierungsverantwortung aktiv beteiligt war.
Demokratie in ihrer Umkehrung. Der politische Gegner steht im Wege, er muss weg. Nicht im politischen Diskurs, in der Debatte im Bundestag, nein, das Volk soll diese Störung hinwegfegen in einer außerparlamentarischen Kraftanstrengung – aufgerufen von einem „Signal an alle Deutschen“.
Der Präsident als oberster Herr über die Volksempfänger. Der selbe Präsident, der „seinem“ öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach den Wahlen die Leviten gelesen, ihnen eine Mitschuld am Einzug der AfD in den Bundestag zugewiesen hatte. Selten noch war der Wunsch nach Gleichschaltung der Medien so deutlich zu hören. In den Echokammern der anderen würde Misstrauen geschürt werden, sagt der Präsident. «„Misstrauen (…) gegenüber der Demokratie und ihren Repräsentanten, dem sogenannten „Establishment“.»
Nun kommt Misstrauen nicht von ungefähr. Misstrauen ist sogar wesentliches Element einer funktionierenden Demokratie. Denn Misstrauen fordert Transparenz heraus. Für Frank-Walter Steinmeier gilt das nicht: Wer der Regierung misstraut, wendet sich ab, sagt er. „Nicht alle, die sich abwenden, sind deshalb gleich Feinde der Demokratie. Aber sie alle fehlen der Demokratie.“
Bigotter geht es kaum: „Aber worauf es ankommt: Aus unseren Differenzen dürfen keine Feindschaften werden – und aus Unterschied keine Unversöhnlichkeit.“ Zunächst also grenzt der Bundespräsident die misstrauischen Teile der Bevölkerung aus dem demokratischen Diskurs aus, um ihnen dann zuzurufen, dass dürfe nun aber nicht als Feindschaft verstanden werden. In der selben Steinmeier-Kanzelpredigt-Dramatik ausgedrückt könnte man schreiben: Das ist die verlogene Sprache der Inquisition. Der regierungstreue Baseballschläger umwickelt mit präsidialem Purpur.
Der SPDler im Präsidentenamt, dessen Partei sich gerade aus der Verantwortung in die Opposition gestohlen hat, ruft die, die nun Jamaika machen sollen, auf, zu beweisen, dass durch den Tabubruch (…) kein einziges Problem gelöst ist. Und Steinmeier ist überzeugt: „Sie werden beweisen, dass Argumente weiter tragen als die Parolen der Empörung.“
Nach dem Baseballschläger, dem gewählten Parlamentarier übergezogen, indem man ihnen ihre Legitimation abspricht, folgt mal nicht die Sprache der Nächstenliebe, sondern eine, die an die Vernunft appelliert: Wir müssten die „Unterscheidung darüber zurückgewinnen, wer politisch verfolgt und wer auf der Flucht vor wirtschaftlicher Not ist. Wir müssen uns ehrlich machen – in zweifacher Weise.“
Nein, Herr Bundespräsident, ehrlich sein kann man nur auf eine Weise: Kampfansage oder Diskurszusage. Demokrat bleiben. So einfach ist es. Sie müssen entweder in den für Sie sauren Apfel beißen oder eben angreifen. Sich mit dem Baseballschläger hinterm Rücken ins Haus zu schleichen ist eines deutschen Bundespräsidenten unwürdig.
Die ganze Wahrheit ist tatsächlich brutal: Das Volk versteht Personen ihres Schlages nicht mehr. Wenige gehen damit offen um, viele noch unter der Hand. Es ist tatsächlich gefährlich, vom goldenen Käfig aus an die Straße zu appellieren, wenn man Bundesgenossen sucht. Der Schrei der Parteien nach mehr Polizei, Kontrolle und Verboten macht da schon mehr Sinn.
Sie enden nun in Ihrer Ansprache zum Nationalfeiertag der Deutschen mit den Worten: „Denn verstehen und verstanden werden – das will jeder – und das braucht jeder, um sein Leben selbstbewusst zu führen. Verstehen und verstanden werden – das ist Heimat.“
Ist das wirklich noch Ihre Heimat? Nein, am Ende Ihrer Rede beschmutzen Sie dann sogar noch den Heimatbegriff. Denn das ist, was den Menschen noch bleibt, wenn sie weit weg von diesem politischen Berlin in Bad Schandau die Angel auswerfen oder sonst wo den Grill anschmeißen und einfach nur in Ruhe gelassen werden wollen. Keine Experimente wollen von Politikern und Staatsvertretern, die ihre Heimat längst aufgegeben haben.