Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche, antwortete in einem am 4. Januar 2020 veröffentlichten Interview gegenüber der Augsburger Allgemeinen Zeitung auf die Frage nach Morddrohungen gegen ihn: „Ja, das war der Fall. Vor allem im Zusammenhang mit meinem Engagement in der Seenotrettung von Flüchtlingen habe ich recht konkrete Drohungen erhalten.“ Im Nachsatz ergänzt Bedford-Strohm auf eine unbestimmte Weise beschwichtigend, er selbst würde diese Drohungen nicht sehr ernst nehmen.
Wie man aber grundsätzlich mit solchen Drohungen umzugehen hat, weiß Bedford-Strohm genau, wenn er im Falle von Morddrohungen gegen WDR-Mitarbeiter (in Sachen „Umweltsau“-Kinderchor) betont, dass solche Morddrohungen „in keinem Fall hinnehmbar“ seien. Und er weiß, was zu tun ist:
„Daher ist es auch so wichtig, dass solche Drohungen von der Polizei verfolgt werden, selbst wenn vieles nicht zu Ergebnissen führen sollte.“
Wir halten also zunächst fest, dass der Ratsvorsitzende im Zusammenhang mit seinem Engagement für Seenotrettung nach Selbstbekunden konkrete Morddrohungen erhalten hat. Und dass es wichtig ist, solche Drohungen polizeilich verfolgen zu lassen. So ergebnisoffen solche Ermittlungen auch sein mögen und – könnte man hinzufügen – so sehr man als prominenter politischer Mensch heute leider auch mit solchem verbrecherischen Irrsinn rechnen muss.
Allerdings: Nach Auskunft der Pressestelle des Polizeipräsidiums München (hier hat der Landesbischof seinen Amtssitz) vom 20. Januar 2020 gab es keinerlei Ermittlungsvorgänge wegen einer Morddrohung gegen Bedford-Strohm. Und also auch keine, die in irgendeinem Zusammenhang mit einem Engagement in Sachen Seenotrettung stünde. Nicht aktuell und nicht im gesamten Jahr 2019, also in jenem Jahr, als der EKD-Chef bekannt gab, wie es evangelisch.de am 13.09.2019 berichtete: „Die evangelische Kirche will ein eigenes Schiff ins Mittelmeer schicken.“
Die Pressestelle der Münchner Polizei schaute auf Anfrage von TE in ihren Akten nach und geht sogar noch weiter: Es gebe keinerlei Vorgänge in Sachen Morddrohungen gegen Bedford-Strohm. Das gelte nicht nur in München, sondern gleich für ganz Bayern. Für alle anderen Bundesländer könne man dazu allerdings keine Aussage treffen. Ja, es hätte einen Fall 2019 gegeben, der aber nicht explizit Bedford-Strohm meinte, der keine Morddrohung gewesen sei und im weitesten Sinne etwas mit Graffiti-Schmierereien zu tun gehabt hätte.
Bedford-Strohm war ja selbst davon überrascht, wieviel Aufmerksamkeit diese „konkrete“ Morddrohung in den Medien bekommen hatte und meldete sich dazu aus seinem Winterurlaub, wie beispielsweise das Neue Deutschland berichtete: „Bedford-Strohm reagierte daraufhin aus dem Urlaub, was er normalerweise nicht tut, wie er in den sozialen Medien erklärte.“ Warum er sich meldete? Um mitzuteilen, dass ihn das Echo überrascht hätte: Die Frage nach den Morddrohungen sei doch nur eine unter vielen gewesen.
Aber da war seine Antwort schon in der Welt und zog Kreise bis hinauf an die Spitze des Außenministeriums, Außenminister Heiko Maas twittert: „Wir müssen uns an die Seite aller stellen, die bedroht und verhetzt werden, weil sie sich für unsere Gesellschaft engagieren.“ Zunächst einmal allerdings muss eine ernstzunehmende, eine „konkrete“ Morddrohung – zitieren wir den EKD-Chef: – „von der Polizei verfolgt werden, selbst wenn vieles nicht zu Ergebnissen führen sollte.“
Bestätigt wird Bedford-Strohms Antwort vom Kirchenamt der EKD selbst, von der Verwaltungszentrale aus Hannover, wenn es von dort und gegenüber dem evangelischen Pressedienst hieß, es hätte mehrere Drohungen gegeben u.a. einen Brief, der am 17. September im Kirchenamt der EKD eingegangen war und ein zunächst unbekanntes weißes Pulver enthielt.
Die polizeilichen Ermittlungen dazu waren umfangreich bis hin zur Analyse des sich letztlich als harmlos erweisenden Pulvers. Unter anderem der NDR berichtete im September 2019, die Ermittler würden auch prüfen, „ob es einen Zusammenhang mit dem Engagement der Kirche für Flüchtlinge gibt.“
Zum genauen Inhalt des Schreibens allerdings wollte die Polizei keine Angaben machen. Die Hannoverische Allgemeine war sich trotzdem sicher und titelte: „Wegen Flüchtlingshilfe: Evangelische Kirche erhält Drohbrief mit Pulver.“ Aber auch hier kein konkreter Hinweis zu Bedford-Strohm – den liefert uns jetzt auf Nachfrage ein EKD-Sprecher, den wir in Hannover erreichen und der auf Nachfrage erklärt, dass konkret Bedford-Strohm und seine Seenotrettung in diesem Brief bedroht worden seien.
Auch das wollen wir genauer wissen und fragen also bei der Pressestelle der Polizei Hannover nach, gegen wen konkret sich die Morddrohung im Zusammenhang mit besagtem Brief mit weißem Pulver gerichtet hätte und wie es damit weiterging. Die Ermittlungen dazu seien abgeschlossen, der Fall liege aber bei der Staatsanwaltschaft Hannover, an die wir uns bitte wenden sollen.
Dort ist der Fall allerdings mittlerweile eingestellt, da kein Täter oder sonst ein Anhaltspunkt für weitere Ermittlungen gefunden wurden. Zum Inhalt des Briefes teilt ein Oberstaatsanwalt mit, dieser wäre konkret an Bedford-Strohm gerichtet gewesen. Dort soll gestanden haben, „wenn noch weitere Asylanten ins Land gelassen würden, dann …“, aber eine konkrete Morddrohung wäre nicht ausgesprochen worden. Dieses „dann“ blieb also auch für die Ermittler im Unklaren. Dem sich später nach Analyse als ungefährlich herausgestellten weißen Pulver hätte das Hauptaugenmerk der polizeilichen Ermittlungen gegolten. Auf dieses Pulver sei im Brief aber nicht näher eingegangen worden.
Wenn jetzt Heinrich Bedford-Strohm den Eindruck erweckt hat, dass er konkret im direkten zeitlichen Zusammenhang mit seinem Interview Morddrohungen erhalten hätte, dann hat er diese jedenfalls nicht polizeilich gemeldet, so wie er es dem WDR empfohlen hat. Auch hat es der bayrische Landesbischof wohl hingenommen, dass beinahe alle relevanten Medien und eine Reihe namenhafter Politiker und Prominente davon ausgegangen sind, der Bischof hätte ganz konkret und aktuell Morddrohungen erhalten. Dazu allerdings ist bei der Polizei und Staatsanwaltschaft, mit der wir sprechen, nichts bekannt. Nein, nicht einmal der Brief mit dem weißen Pulver sei hier konkret geworden, das Verfahren schon nach Monaten eingestellt.
Aktuell gibt es übrigens einen weiteren Fall von Morddrohungen, mit denen die Bedrohte an die Öffentlichkeit gegangen ist: Danni Büchner ist Dschungelcamp-Teilnehmerin und bekannt geworden als Ehefrau des verstorbenen TV-Auswanderers Jens Büchner. Frau Büchner wird von einer Managerin betreut, die gegenüber der Presse jetzt mitteilte, diese hätte über das soziale Netzwerk Instagram mehrere Morddrohungen erhalten wie „Ich bring dich um“ und „Wenn ich dich sehe, kriege ich Mordgelüste.“ Nicht nur für ihr Management ist das eine Grenzüberschreitung. Büchners Managerin schrieb auf Instagram öffentlich gegen Unbekannt: „Ich werde hier jeden an den Pranger stellen, der solche Äußerungen von sich gibt. Ich hoffe, ihr könnt am Ende mit den Konsequenzen leben!“
Morddrohungen sind in den allermeisten Fällen ernst zu nehmen. Und sie sind mit dem Aufkommen der sozialen Medien offensichtlich inflationär geworden. Also viel Arbeit für die Ermittlungsbehörden. Ebenso inflationär ist es allerdings auch geworden, wenn der Bedrohte selbst oder Prominente und Politiker die sich mit diesem solidarisieren, in diesem Zusammenhang glauben, einen Bann aussprechen zu dürfen gegen Kritiker der Arbeit des Bedrohten. Im Fall Bedford-Strohm wurden kritische Artikel über das Engagement Bedford-Strohms in Sachen Seenotrettung sogar als Initial für solche Morddrohungen behauptet. Diese Falschbehauptung wurde samt falscher Schuldzuweisung wiederum über die sozialen Medien verbreitet – ausgerechnet von einer Journalistin der Bild am Sonntag, die eigentlich erfahren genug sein müsste, um zu wissen: Kritik ist die Aufgabe von Journalisten. Sie stillzulegen mit dem Verweis darauf, dass ein halbes Jahr später eine angebliche Morddrohung eingegangen sei, zeigt erstaunliche Unprofessionalität. So macht man Stimmung gegen Kollegen. Ein Anruf bei der Münchner Polizei hätte dem übereifrigen Twitter-Troll Einsicht verschafft – aber die Story zerstört.
Auch gegen solche Instrumentalisierung sollte entschieden vorgegangen werden. Und spätestens hier hätte Bedford-Strohm selbst die sich mit ihm solidarisch zeigenden Personen, die so über das Ziel hinausgeschossen sind, in ihre Schranken weisen müssen. An der Stelle schweigt der sonst so redselige Kirchenfürst.
Ohnehin ist die von ihm propagierte „Seenotrettung“ im Mittelmeer höchst umstritten und wird vielfach in Frage gestellt. Damit würden nur noch mehr Boote der Schlepper mit Migranten auf das Meer gelockt und damit in Gefahr gebracht. Der Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen beispielsweise, Dr. Joachim Stamp, kritisiert aktuell die bevorzugte Aufnahmezusage diverser Städte und Gemeinden was „Bootsflüchtlinge” angeht, wenn er sagt: „Wer Bootsflüchtlinge bevorzugt aufnimmt, provoziert, dass sich noch mehr Menschen in Hoffnung auf ein besseres Leben auf die Lotterie um Leben und Tod im Mittelmeer einlassen.“
Solche Kritik an „Seenotrettungen” sind für Bedford-Strohm eine „Kriminalisierung“ der „Seenotretter”. Wegen ähnlicher Kritik hat er mit dafür gesorgt, dass AfD-Politiker nicht auf seinem Kirchentag sprechen dürfen. Bischof Markus Dröge, ein Berliner Amts-Kollege von Bedford-Strohm, bezichtigt Christen in der AfD dabei der Gotteslästerung.
Übrigens: Morddrohungen gegen AfD-Politiker sind Legion. Und es wird folglich nur eine Frage der Zeit sein, bis via soziale Netzwerke auch welche gegen den FDP-Integrationsminister aus NRW und seine Gotteslästerei ausgesprochen werden. Schließlich kann Kritik formuliert werden, wie sie will, es wird immer Idioten geben, die Freude daran haben, Menschen, deren Auftreten oder Haltung ihnen nicht passt, in Angst und Schrecken zu versetzen. Ja, es gibt sogar Fälle, wo aus der Drohung der Mordversuch und aus dem Mordversuch der Mord selbst wird, wie beim Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Das verpflichtet dazu, jede Drohung ernst zu nehmen.
Hier aber einen Zusammenhang zwischen Drohung und legitimer Kritik herzustellen und quasi die Gelegenheit zu nutzen, diese legitime Kritik zu diffamieren, ist falsch. Im Gegenteil: Morddrohungen müssen verurteilt werden, ganz egal ob sie gegen einen Bischof, gegen einen „Seenotretter”, gegen einen „seenotrettenden” Bischof, gegen einen FDP-Minister oder einen AfD-Politiker ausgesprochen werden. Und um das zu betonen, muss die inhaltliche Kritik noch schärfer werden, geradezu herausgefordert werden, auch vom Kritisierten selbst.
Denn auch damit kann Kriminellen, die über die sozialen Medien oder ganz altmodisch per Post Morddrohungen aussprechen, der Wind aus den Segeln genommen werden. Ein im Zusammenhang mit einer Morddrohung hochgezogener Schutzwall gegenüber jedweder Kritik ist der falsche Weg.
Wir brauchen Verfolgung solcher Drohungen mit allen Mitteln, unbesehen von Person und Position der Bedrohten.
Und wer in der öffentlichen Debatte von Schande spricht, wer versucht, Andersdenkende zu kriminalisieren, wer den Austausch von Argumenten negativ emotionalisiert, wer Bürger ausgrenzt, ausschließt und ihnen ihre Stimme aberkennt, diese Stimme gar gottlos nennt, um sie so von der Debatte fernzuhalten, wer so jede Debatte unterdrückt, der macht sich leider gemein mit der fortschreitenden Verrohung. Mäßigung ist das Gebot der Stunde, und das gilt auch für Bischöfe, erst recht, weil Bürger ihnen noch besondere Glaubwürdigkeit und moralische Integrität zuschreiben.
Nein, Morddrohungen machen vor keiner politischen Meinungsäußerung halt. Es ist höchste Zeit, sich jenseits eines Lagerdenkens gemeinsam dagegenzustemmen. Nur so kann man Kriminellen den Wind aus den Segeln nehmen.