In einer Zeit verloren gehender Identifikation mag der eine oder andere auch Inkarnationen des Spießigen als etwas Nostalgisches entdecken. Der Strandkorb in der Sandburg – natürlich ist das für Familien mit Kleinkindern ganz wundervoll, wie der Autor aus eigener Erfahrung bestätigen kann.
Dennoch: Wenn ein Veranstalter seine Veranstaltungsreihe „Strandkorb-Open-Air“ nennt, darf man davon ausgehen, dass hier kein wilder Rave gefeiert wird und auch wohl kaum ein Naked-Woodstock-Feeling mit Schlammrutschbahn aufkommt. Und auch Stiergruß-Wacken dürfte da wohl mindestens zwei Galaxien entfernt sein. Diese Strandkorb-Open-Airs haben also eher etwas zu tun mit einem „Klassik im Park“ in Liegestühlen – und weniger mit einem Event, das sich in der Erinnerung einbrennt als Ereignis mit dem Schauer der Zügellosigkeit welcher entsteht, wenn man etwas Mitreißendes jenseits des Alltags und ohne Handbremse erlebt.
Die Sängerin Nena darf jetzt allerdings vor den Strandkörben nicht mehr mitprickeln, dort, wo schon Helge Schneider an anderem Ort entnervt das Handtuch geworfen hat – aber nicht, um sich einen Platz am Goldstrand zu reservieren, sondern um sich zu verdünnisieren.
Natürlich, was das Marketing betrifft, haben die Jungs vom Strandkorb-Open-Air was drauf. Nachdem Helge Schneider mit seinem Strandkorb-Konzertabbruch das Konzept grundsätzlich in Frage gestellt und weitere Kartenverkäufe dieser Reihe gefährdet hat, gehen die Nena-Veranstalter jetzt in die Offensive, trennen sich von der Künstlerin und nehmen so ganz nebenbei via Medienaufmerksamkeit eine Gratiswerbung für ihre verbleibenden Strandkorb-Veranstaltungen mit. Aber ob die Aufkündigung eines der Top-Acts wirklich eine so gute Entscheidung war, darf bezweifelt werden.
Via Facebook teilen die Veranstalter mit: Das Konzert am 13. September in Wetzlar wird abgesagt. Dies sei geschehen im „Einvernehmen mit der Agentur der Künstlerin“. Dennis Bahl, einer der Macher der musischen StrandkorbIdylle kommentierte das so: „Es war uns wichtig und daher auch bereits im Vorfeld vertraglich vereinbart, dass die Konzerte nicht als politische Bühne genutzt werden dürfen.“
Das allerdings lässt aufhorchen. Denn danach hätte auch ein Herbert Grönemeyer in Wetzlar nicht auftreten dürfen und ein Jim Morrison sowieso nicht, aber der ist ja sowieso schon lange bei Elvis am runden Tisch da oben – ohne Henkell trocken zwar, aber mit dem Met der Ewigkeit im Becher.
Nena hatte auf der Berliner Bühne zu Corona-Maßnahmen gesagt: „Die Frage ist nicht, was wir dürfen, sondern die Frage ist, was wir mit uns machen lassen!“
Strandkorb-Veranstalter Bahl macht zwar kein Klassik im Park, dafür freuen sich seine Gäste außerhalb der Corona-Einschränkungen sonst noch auf so Top-Veranstaltungen wie die Marburger Sommernächte, über Künstler wie Götz Alsmann, DJ Bobo und die Prinzen und den Giessener Kultursommer. Bei letzterer Veranstaltungsreihe waren vor allem die „fehlende Planungssicherheit“ sowie die „fehlende Zuversicht“ auf unbeschwerte Konzerte der Grund gewesen, hier zu pausieren.
Ebenfalls dem Hausblatt der Heimatstadt teilte Bahl mit:
„Nenas Einstellung zum Veranstaltungsformat mit den Strandkörben stimmt nicht mit dem Hygiene- und Sicherheitskonzept überein, das eigens für diese Reihe coronakonform konzipiert worden ist. Als Veranstalter distanzieren wir uns daher von den Aussagen und dem Auftreten der Künstlerin. (…) Uns als Veranstalter ist es wichtig, bei allen Konzerten ein größtmögliches Maß an Sicherheit zu gewährleisten, so dass alle Gäste einen unbeschwerten Abend erleben können.“
Allerdings sollte auch erwähnt werden, dass es immer der Veranstalter ist, der dafür sorgen muss, dass die Auflagen erfüllt werden, so idiotisch diese auch sein mögen. Und wer finanziell für so eine Reihe in Vorleistung gehen muss, wer Sponsorengelder annimmt, der muss liefern, der darf auch nervös werden und um sein Geld fürchten.
Der hat sich allerdings in Sachen Strandkorb-Idyll auch von vorneherein auf Konzepte eingelassen, die selbst Bühnenprofis wie Helge Schneider haben verzweifeln lassen, als der jede Professionalität fallen ließ und seine Zuschauer und Fans einfach wie begossene Pudel im Strandkorb sitzen ließ – bei Henkell trocken und Mettbrötchen oder was auch immer dort angereicht wurde vom Catering. Denn auch das gehört dazu: Verträge mit vielen kleineren Unternehmen. So ein Festival muss generalstabsmäßig organisiert werden – Scheitern ist hier immer eine Option, die großen Gewinne aber auch, wenn alles gut geht.
Nena ist also nicht mehr dabei. Irgendwie, irgendwann und irgendwo hat man sich geeinigt, sagen die Veranstalter der Strandkorbreihe irgendwie so ähnlich.
Die Sympathien mögen hier ebenso verteilt sein, wie die Standpunkte der Bürger zu den Corona-Maßnahmen unterschiedlich sind. Der Graben quer durch die Gesellschaft ist auch einer der Haltungen in dieser Frage. Die Verletzungen sind massiv aber ungerecht verteilt. Eine Reihe von Medien haben sich sicher keinen Strandkorbplatz verdient, wie ihre Berichterstattung zu Nenas Cola-Kisten-Konzert gezeigt hat.
Was sich allerdings die linkspopulistische Frankfurter Rundschau jetzt geleistet hat, markiert auf besondere Weise eine tiefe Stelle dieses Grabens. Da treten schon Elemente von Hass und Hetze zutage: Es geht hier um den Rundschau-Kolumnisten (seit 2012) Michael Herl. Der ehemalige Stern-Journalist war schon an vielen Orten auch investigativ unterwegs, war undercover in der Psychiatrie oder in Brennpunkten in Asien am Gange.
Dann ließ Herl es ruhiger angehen als Kolumnist. Sei es ihm gegönnt. Was man ihm allerdings nicht unkommentiert durchgehen lassen darf, ist dieses Stück zu Nenas Einlassungen auf ihrem Konzert in Berlin: Schon in der Headline trommelt er: „Impflicht für alle: auch für Nena“.
Darauf folgt eine entsetzliche Küchenpsychologie wie aus der Medien-Alchemie totalitärer Regime. Das Denken selbst wäre das große Problem der Menschheit, bzw. das Problem Nenas:
Der Mensch würde denken, stellt Herl kühn fest und psychologisiert: „Mit zunehmendem Wachstum seines Gehirns begann er, Überlegungen über Sachverhalte anzustellen, die seine genetische Veranlagung überfordern. Dazu gehörten Blitz und Donner, später Pest und Cholera.“
Und weil man selbst keine Verantwortung übernehmen wolle, so Herl mit Blick auf Nena, „schiebt (man) alles „denen da oben“ in die Schuhe, wer auch immer damit gemeint ist.“
Demokratie, Debatte, Wettstreit der Erkenntnisse: Bei Herl alles unnötiger Unfug. Also schreibt er:
„So nimmt es nicht Wunder, dass in den Augen einiger eine von Wissenschaftlern seit Jahrzehnten exakt vorhergesagte Viruspandemie gar nicht existiert oder ein Teufelswerk „der Politik“ ist oder vom bösen Bill Gates ersonnen. Gleiches geschieht nun beim Klimawandel, logisch begründbares, wissenschaftlich prophezeites und zudem von uns allen verursachtes Ereignis.“
Herl versteigt sich sogar zu der Behauptung: „Nena ruft zur Menschenverachtung auf.“ Und er spricht Nena gleich mal pauschal das Recht ab, am demokratischen Diskurs noch irgendwie teilzunehmen, die Künstlerin müsse zwangsgeimpft werden. Nena sei Mitschuld an angeblichen Beschimpfungen von Hilfsorganisationen durch Querdenker. Und der Kolumnist schmeißt zuletzt noch mit Unrat gegen seiner Meinung nach „asoziale Medien“, die darüber berichten.
Die Sängerin Nena ist für Herl eine Verwirrte, die „öffentlich zur Menschenverachtung durch Ignorieren der Pandemieregeln aufrufen“ würde. Das ist so voller Hass, dass man sich von diesem unsäglich traurigen Menschen mit Fremdschamgefühlen abwendet.
Zuletzt also ganz schnell den Kopf wieder klar machen von dieser beengten Strandkorb-Düsternis und zum Schluss lieber noch ein paar Worte von Nena:
„Lass mich dein Pirat sein – auf allen sieben Meeren“