Tichys Einblick
Innenministerkonferenz

Muslimischer Antisemitismus in Deutschland wird endlich auch in der Statistik erfasst

Nicht aufgeklärte antisemitische Straftaten wurden bislang pauschal dem Rechtsextremismus zugeordnet. Das soll sich jetzt nach Beschluss der Innenministerkonferenz ändern. Ein Schritt der längst überfällig ist.

Demonstration unter dem Motto "Solidarität mit Israel Gegen jeden Antisemitismus" vor dem Brandenburger Tor in Berlin am 20. 5. 2021

IMAGO / IPON

Endlich haben sich die deutschen Innenminister darauf geeinigt, die Erfassung antisemitischer Straftaten genauer zu erfassen. „Eine zielgerichtete Bekämpfung erfordert eine bundesweit einheitliche, präzisere Erfassung und Zuordnung der Motivationslage“, heißt es in dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom vergangenen Freitag. Bislang werden antisemitische Straftaten in der Kriminalstatistik als „Phänomenbereich Rechts“ erfasst. Demnächst soll zwischen Tatverdächtigen aus der rechtsextremen, linksextremen oder islamistischen Szene unterschieden werden.

Jahrelang hat diese statistische Verzerrung mit dazu beigetragen, dass der Antisemitismus aus der Mitte der islamischen Gemeinden weitgehend in Medien und Politik ignoriert wurde, während zugleich dieser zugewanderte Antisemitismus immer unübersehbarer wurde: Zuletzt durch die beschämenden Bilder von Demonstranten vor jüdischen Synagogen in Deutschland, die „Scheiß Juden“ in Sprechchören skandierten. Das änderte auch die Medienaufmerksamkeit. Beispielsweise die WAZ schrieb entsetzt: „Durch die City zieht ein hasserfüllter, antisemtischer Mob und bedroht jüdische Mitbürger.“ Und die Süddeutsche Zeitung am 15. Mai 2021: „Zu der Demo in Dortmund kamen mehr als 500 Menschen. Viele skandierten: „Kindermörder Israel“. Nicht nur palästinensische, auch viele türkische Flaggen waren dabei, tunesische, algerische, marokkanische.“

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Noch im April 2019 hatte allerdings dieselbe Zeitung den Projektleiter der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) ungeprüft und unwidersprochen erzählen lassen: „Den Vorwurf, etwa von der AfD, muslimische Zuwanderer importierten Antisemitismus, wies Projektleiter Steinitz zurück. „Wir können das auf Grundlage der von uns registrierten Vorfälle nicht abbilden.“ Es gebe auch entsprechende Vorfälle mit Flüchtlingen, ihr Anteil sei aber gering.“

Zu dem Zeitpunkt hätte aber auch SZ-Redakteuren längst bekannt sein müssen, was beispielsweise TE schon im September 2017 berichtete: Schon damals kam es zu offen antisemitischen Vorfällen von Muslimen beispielsweise vor dem Brandenburger Tor. Immerhin der Tagesspiegel hatte sogar schon im Juli 2016 unter der Überschrift: „Am Al-Quds-Tag ist Hetze gegen Juden normal“ darüber berichtet, dass Hass auf Juden unter Muslimen kein Randphänomen sei: Die „Verunglimpfung des Judenstaates als „Kindermörder“ oder „rassistisches Gebilde“ gehört seit vielen Jahren zum festen Repertoire der Demonstranten.“

Aber es dauerte dann noch einmal über fünf Jahre, bis öffentlich debattiert wurde, was längst viele wussten aber nur wenige berichteten: Antisemitische Vorfälle, die von der Polizei nicht konkreten Personen zugeordnet werden, landen automatisch auf dem Konto des Rechtsextremismus. Das Ergebnis kam dann denjenigen zu Gute, die sich wegdrehen, wo Muslime in großer Zahl antisemitische Straftaten begehen.

Kaum zu fassen ist , was der aus dem Iran stammende Jude Arye Sharuz Shalicar in seinem Buch „Der neu-deutsche Antisemit. Gehören Juden heute zu Deutschland? Eine persönliche Analyse“ (Hentrich & Hentrich Verlag Berlin, 2018) über sein Leben als Jude in Berlin berichtete, über das der Cicero im September 2018 schrieb:

„Dort begann für ihn ein Leben in der Hölle. Wenn er erzählt, wie das war, als sich mitten in Deutschland ein islamisch getriebener Judenhass in ganzen Stadtvierteln ausbreitete.“

Der Präsident des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, erklärte dann endlich Anfang 2020, dass Antisemitismus „von praktisch allen nennenswerten islamistischen Organisationen vertreten (werde), die in Deutschland aktiv sind“. Von Hamas, Muslimbruderschaft, Millî-Görüş, Hisbollah oder gar dem Islamischen Staat wird kaum jemand etwas anderes erwarten. Doch der Antisemitismus grassiert eben auch mitten in den muslimischen Gemeinden.

Aber was tat Haldenwang, das zu beenden? Gegenüber der Süddeutschen gestand der Verfassungsschutzpräsident ein, dass ein weiteres gravierendes Problem immer noch in der Welt ist: „Die Statistik ist ungenau, da die meisten Fälle von Antisemitismus als rechte Taten gezählt werden.“

Das alles ist seit Jahren bekannt. Und dennoch hatte sich bis zur jüngsten Innenministerkonferenz nichts geändert. Das Geschäft erst, nachdem  mittlerweile nicht mehr nur TE und einige wenige andere, sondern immer mehr Medien gefordert haben, was jetzt endlich umgesetzt wird: „Antisemitische Straftaten müssen endlich genauer zugeordnet werden.

Im Giftschrank beim Verfassungsschutz:
Antisemitismus auch in der Mitte der islamischen Gemeinden
Warum? Neun von zehn antisemitische Straftaten werden bisher dem Bereich der „politisch motivierten Kriminalität rechts“ zugeordnet. Das veranlasste die Welt im Sommer 2021 festzustellen: „Seit mehreren Jahren wird diese Erfassung als irreführend kritisiert. Zu Recht: Wird eine Tat nicht aufgeklärt oder ergeben sich aus den Tatumständen keine gegenteiligen Anhaltspunkte, wird sie automatisch als rechtsmotiviert gewertet.“ Und im Mai 2021 forderte Redakteur Till-Reimer Stoldt: „Beschreibt die Straftäter differenzierter!“

Die Faktenlage über weitverbreitete antisemitische Straftaten mitten aus den muslimischen Gemeinden hatten den Kanzlerkandidaten der Union und nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet nicht davon abgehalten, vor dem Düsseldorfer Landtag weiter zu behaupten, in NRW würden „90 Prozent der antisemitischen Straftaten von Rechtsradikalen begangen“ – und nur zehn Prozent von Islamisten, Linksextremen und Sonstigen.

Till-Reimer Stoldt schrieb zum Auftritt von Laschet in der Welt: „Und tatsächlich lautet eine Vorgabe, auf die sich die Innenminister in Bund und Ländern 2001 geeinigt haben, so: „Antisemitische Straftaten sind dem Phänomenbereich ‚PMK rechts‘ zuzuordnen, wenn keine gegenteiligen Tatsachen zur Tätermotivation vorliegen.“ Das bedeutet: Bleibt das Motiv eines antisemitischen Delikts unklar, unterstellt die Polizei ein rechtsradikales – anstatt die Tat in der Rubrik „nicht zuzuordnen“ einzusortieren. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden also Delikte als „rechts motiviert“ deklariert, die es nicht sind.“

Bezeichnend ist der Standpunkt der Amadeu Antonio Stiftung: „Eine differenziertere Erfassung von Antisemitismus ist sinnvoll, löst allein aber kein Problem“, heißt es auf der Internetseite der Stiftung. Die Devise scheint zu lauten: Ihr habt ja Recht, erwischt, aber ohne Rechtsradikalismus müssen wir doch um unsere Fördertöpfe im Kampf dagegen bangen. Der Stiftung gelingt es dann tatsächlich noch den Spieß umzudrehen und auch noch aus dem Antisemitismus von Muslimen in Deutschland eine deutsche Ausländerfeindlichkeit zu stricken: „Kommen die Straftaten aus muslimischen Milieus, werden sie teilweise als Ausländerkriminalität gezählt, ganz so als wären Muslim:innen per Definition keine Deutschen.“

Um es zu wiederholen: Was hier im Juni 2021 debattiert wird, ist schon seit Jahren ein Thema. Mit welchen Ergebnis? Der Tagesschau-Faktenfinder beispielsweise vermerkte 2018 zum Ende eines Artikels, dass da schon einige Zugewanderte zum Antisemitismus neigen würden – und weil das alles so hilflos klingt, noch dazu für einen selbsternannten Faktenfinder, unterfüttert die Tagesschau dies mit einer Erinnerung an den Holocaust :

„Klar ist: Im Schnitt mindestens vier Mal am Tag kommt es in Deutschland zu einem antisemitischen Vorfall, die Dunkelziffer dürfte weit darüber liegen. Der Antisemitismus musste keinesfalls erst nach Deutschland „importiert“ werden, sondern ist seit Jahrhunderten virulent – mit dem Menschheitsverbrechen der Ermordung von sechs Millionen europäischen Jüdinnen und Juden als traurigem Höhepunkt. Doch einige der neu zugewanderten Gruppen zeigen laut Untersuchungen eine erhebliche Neigung zu Antisemitismus und antisemitischer Gewalt.“

Antisemitismus sei nicht in Deutschland erfunden worden, sagte die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden, die Holocaust-Überlebende Charlotte Knobloch dem Merkur, es gebe ihn überall in Europa. „Er ist nie besiegt worden, das war klar. Aber ich habe nie geglaubt, dass Antisemitismus in dieser Form wieder auftritt und bei Demonstrationen der Hass gegen jüdische Menschen und den Staat Israel unter großem Beifall der Anwesenden hinausgeschrien wird.“

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