Der Konfliktforscher Andreas Zick, die Uni Bielefeld und die Friedrich-Ebert-Stiftung der geschrumpften Sozialdemokratie haben sich erneut auf die Suche nach dem ultimativen Supergau in der Mitte der deutschen Gesellschaft gemacht – Rechtsextreme im bürgerlichen Tarngewand. Das Ergebnis ist die jüngste „Mitte-Studie“.
Dass diese Suche kein einfaches Geschäft ist, wird auf vielen der 371 Seiten überdeutlich. Grundlage dieser alle zwei Jahre durchgeführten Studie sind telefonische Befragungen Anfang des Jahres 2021 von exakt 1750 Teilnehmern (keiner davon divers!). Zu den Problemen dieser Interviews und des verwendeten Fragebogens kommen wir gleich noch. Vorweg: Diese Publikation ist erneut nur in Anteilen eine echte Analyse und Zusammenfassung der Ergebnisse der Telefoninterviews: Es dominieren die links-tendenziösen Interpretationen der Autoren.
Zuletzt behauptete Zick 2019 eine „Verlorene Mitte“ und sorgte damit für Proteste bis tief in die letztlich über die Stiftung die Studie beauftragende SPD hinein. Da hatte sich die politische Bewegtheit der Macher dieser Studie in eine Publikumsbeschimpfung entwickelt, so dass Sigmar Gabriel seinerseits eine vernichtende Kritik der Studie öffentlich machte: „Was aus den Ergebnissen der „Mitte“-Studie gemacht wird, ist verantwortungslos.“
Gabriel fasste es im März 2019 im Tagesspiegel ziemlich treffend zusammen, woran diese Zick-Studien kranken, und warum es so gefährlich ist, solche Studien turnusmäßig zu finanzieren und Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft zu einer eskalierenden Pflichtbehauptung hin zu programmieren: „Es ist doch erstaunlich, wie sehr Politik und manche Medien anscheinend ein krisenhaftes Bild unserer Gesellschaft brauchen, um ihre Daseinsberechtigung zu legitimieren.“
Knapper und präziser kann man die Gruppe unter den Studienmachern und Dutzende im Projekt integrierte Helfer und ihre gemeinschaftliche Motivation kaum beschreiben.
TE nahm gestern an einer nichtöffentlichen, virtuellen Pressekonferenz der Stiftung teil und stellte eine Reihe von Fragen an Zick und Co. Ein Kollege vom Redaktionsnetzwerk (RND) wollte von Zick wissen: „Können Sie sagen, wie stark Zustimmung zu Verschwörungsmythen mit der Wahl der AfD korreliert?“ Solche Fragen wünscht man sich natürlich in Bielefeld.
Ein Kollege vom Deutschlandfunk will wissen: „Ist es kein Widerspruch, dass rechtsextreme Einstellungen zurückgehen, aber rechtsextremistische Gewalttaten weiter zunehmen oder auf einem hohen Niveau verbleiben?“ Das ist ungewollt eine perfekte Zusammenfassung und ein großes Dilemma für die Studienmacher um Zick: Einerseits ist ein starker Rechtsextremismus bzw. Rechtspopulismus die Muttermilch diese Studie, andererseits zeigt die Auswertung der Befragung einen Rückgang rechtsextremistischer Bestrebungen.
Rechtfertigungsdruck? Die Studienmacher bemühen die „Grauzonen“ der Antworten der Befragung, argumentieren mit der Schwammigkeit der „teils/teils“ Antworten. Die seien nicht neutral, da seien eben weitere Strömungen verborgen – so in etwa jedenfalls sollen es die Presseteilnehmer der virtuellen Konferenz am 22. Juni ab 11 Uhr verstehen, wünscht sich Andreas Zick.
In einem Papier zur Umfragetechnik selbst heißt es da allerdings: „Schließlich bleibt unklar, ob die Mittelkategorie, die mit „teils/teils“ beschriftet ist, aus Gründen der teilweisen Zustimmung oder Ablehnung gewählt wird oder aus wirklicher Unentschiedenheit.“
Wie unsicher so eine Telefonbefragung ist, war den Studienmachern im Vorfeld klar. Eine Reihe der angerufenen Personen fielen schon deshalb aus, weil es Sprachbarrieren gab. Nur etwas mehr als elf Prozent der Angerufenen waren am Ende überhaupt bereit, die Befragung bis zum Ende durchzuführen – anzunehmen ist auch hier eine bestimmte Klientel, die überhaupt zu solchen über 30 Minuten andauernden Selbstbespiegelungen bereit ist. Viel Raum für Verzerrungen.
Steile Klippen finden sich auch in den Formulierungen der Telefonumfrage selbst: So soll der Befragte beispielsweise bestimmten Aussagen zustimmen oder diese ablehnen. Aber was soll/will man antworten, wo eine Aussage so formuliert ist, wie sich die Studienmacher wohl einen rechten Deppen vorstellen: „Wenn sich andere bei uns breit machen, muss man Ihnen unter Umständen unter Anwendung von Gewalt zeigen, wer Herr im Hause ist.“
Das scheint dann, als hätte man es direkt darauf angelegt, rechtsextremistische oder rechtspopulistische Haltungen in der Mitte gleich ganz zu verneinen.
Entsprechend betonen die Herausgeber der Studie in der Pressekonferenz auch unermüdlich, dass die Demokratiemaßnahmen wirken! Die rechtsextremistischen Tendenzen der Mitte seien zurückgegangen.
Soll das eine Art Selbstlegitimation für das eigene Tun sein? Der Beleg dafür, dass die Studien der Vergangenheit zu einem neuen Bewusstsein geführt hätten? Es scheint nicht nur so, Zick und Co behaupten es sogar.
An einer Stelle des Fragebogens lautet eine Aussage zu der der Befragte Stellung beziehen soll: „Frauen sollten sich wieder auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen“. Im Anschluss daran gibt es die Anweisung für den Interviewer: „Nicht an Muslime (Filter setzen), Muslime bitte weiter zu asy01.“
Stellung bezogen werden soll auch zu der Aussage: „Die AfD ist eine Partei wie jede andere auch.“ Vergleichbare Fragen finden sich aber zu keiner anderen Partei. Und bei der Frage, was man wählen würde, folgt die AfD als letztes noch hinter der NPD, die NPD trennt also im Fragebogen zur Mitte-Studie sorgsam die etablierten Parteien von der AfD.
Ach, da gäbe es noch etliches mehr zu kritisieren. Wer so ein Buch in der ausufernden Länge vorlegt, der hat seine eigentliche Befragung für die Rezensenten bewusst verschleiert. Der setzt am Ende vermutlich darauf, dass nur die Pressemitteilung (Eine Pressemitteilung mit Sperrfrist zur Veröffentlichung!) gelesen wird – also noch einmal ein Extrakt der massiven Interpretation einer sehr dünnen telefonischen Befragung mit fehlender Genauigkeit.
Nachdem die Mitte der Gesellschaft 2019 als „Verlorene Mitte“ verdammt wurde und Andreas Zick dafür gescholten wurde, hat man sich nun als Legitimation des eigenen Tuns also eine Erfolgsgeschichte ausgedacht: „Deutlich wird: Der Großteil der Mitte versteht sich demokratisch und betrachtet Rechtsextremismus als bedeutsamste Bedrohung für die Gesellschaft.“
Die Mitte hat es, so muss man wohl folgern, zwischen 2019 und 2021 endlich kapiert. Danke Bielefeld, danke Andreas Zick, danke Friedrich-Ebert-Stiftung!
„Insgesamt sind rechtsextreme Einstellungen rückläufig, was sich besonders deutlich bei der Fremdenfeindlichkeit zeigt.“ Andererseits aber hat doch gerade Bundesinnenminister Seehofer den Rechtsextremismus zur größten Gefahr erklärt. Tja, so ein Kuddelmuddel eben herauskommen, wenn ein inflationär gewalttätiger Linksextremismus partout unter den Teppich gekehrt werden soll.
Natürlich gibt Bielefeld aber noch lange keine Entwarnung (sonst würde man ja überflüssig): „Zugleich ist die Mitte in Teilen offen für antidemokratische Positionen, vertritt selbst bei deutlich rechtsextremen Aussagen bisweilen uneindeutige Meinungen.“ Und das, obwohl die Stimmenenthaltungen (teils/teils) eigentlich den Verdacht nahelegen, dass die Menschen lieber den Mund halten und in die innere Migration gehen.
Aber womöglich nennt Zick die Mitte eben deswegen „gefordert“. Der Rückzug ins Private ist ihr nicht mehr gestattet!