Tichys Einblick
Corona-Osterbotschaft des Bundespräsidenten

Mit dem Moment der großen Wahrheit hat Steinmeier recht, aber nicht, wie er denkt

Weshalb wir auch diese Corona-Krise überwinden werden, hat viel mit den Werten zu tun, die die Menschen in diesem Land nach wie vor hochhalten und leben. Nicht wegen Personen wie Steinmeier und Co, sondern trotz solcher selbsternannter Weltverbesserer.

imago images / Rüdiger Wölk

Was machen wir mit der Rede des Bundespräsidenten, der nun auch wie Angela Merkel zuletzt außerplanmäßig zum Volk sprach?

Ostern war ja bisher das Geschäft der Baisereierhersteller und der Kirchen. Nun also zusätzlich zur Weihnachtsansprache Steinmeiers eine zu Corona-Ostern.

Gleich vorweg genommen: Es hätte noch deutlich schlimmer kommen können. Frank-Walter Steinmeier hat den Umbau der Gesellschaft, hat die Große Transformation als verbindlichen Gesellschaftsvertrag ein bisschen schamvoll in seinem Corona-Osternest versteckt. Also suchen wir mal.

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Ist der pastorale Ton bei Steinmeier eigentlich neu oder nur dem Osterfest geschuldet? Die Predigt eines Sozialdemokraten als Gottesdienstersatz ist gewöhnungsbedürftig. Auch das einnehmen wollende „Wir“ unangenehm. Trotzdem der Bundespräsident Sohn eines ehrenwerten Tischlers und Nachfahre von stolzen deutschen Landwirten ist, will hier leider keine rechte Kumpanei aufkommen.

Steinmeier – das muss man hier erklären – gehört der reformierten Bethlehemsgemeinde an. Die bietet online zu Ostern gerade einen Sofagottesdienst an samt musikalischer Tonspur zum „gemeinsam“ hören: Heinrich Scheidemann, „Praeludium in D“ und Händels „Fantasia in C“ – das ist eine schöne Idee, sollte man so etwas vermissen. Und tatsächlich mag man sich nach Lektüre der Steinmeierrede wünschen, er hätte es sich stattdessen lieber zu den Spinettklänge in seiner steuerfinanzierten hoch aufgehängten Hängmatte bequem gemacht. Aber Weihnachten war gestern, Ostern ist kein Wunschkonzert, da muss man Geschenke eben suchen.

Eines fällt gleich auf: Steinmeier malt mit am Bild einer Corona-Apokalypse, aber diese ist noch gar nicht recht bei den Leuten eingetroffen. Faktisch gibt es beispielsweise noch keine materiellen Entbehrungen. Die Folgen des Stillstandes sind noch längst nicht in jedem Geldbeutel und Supermarktregal angekommen. Man könnte fast sagen, viel mehr Bürger genießen gerade die freien Tage auf besagtem Sofa, als dass schon die Furcht in den österlich geschmückten Stuben der Deutschen Einkehr gehalten hätte.

Wenn Steinmeier die Einsamkeit der Alten beklagt, dann ist das sicher eine Wahrheit, aber eine andere geht so: Auf diese neue Distanz genießen viele Alte aktuell eine größere Aufmerksamkeit, als sie ihnen jemals zu Teil wurde, als Verwandte und Bekannte sie hätten theoretisch noch besuchen können. Tatsächlich ist der Kontakt, sind die Telefonate und die Gespräche über den Balkon hinweg für viele Alte zu einer neuen Kontakterfahrung geworden. Die Einsamkeit ist ja keine Erfindung von Corona, sie wurde bereits im Koalitionsvertrag als Aufgabe festgeschrieben, die es zu bekämpfen gilt, ohne dass da nennenswert etwas passiert wäre.

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Erinnern wir uns: Die alten Systeme des Zusammenhaltes und der Gemeinschaft schöpfen ihre Kraft aus den Familien. Nicht Corona hat diese abrufbare Notfall-Energie entladen, es war der Zeitgeist und die zerstörerische Kraft der Ideologien derjenigen, die diese Welt noch zu ihren Lebzeiten so radikal umformen und verändern wollen, dass diese brachiale Destruktivität ihnen das Gefühl gibt, etwas von Bedeutung in ihrem ansonsten bedeutungslosen einsamen Leben hinterlassen zu haben. So betrachtet, ist der Bundespräsident auch Genosse im Geiste der Grünen Katrin Göring-Eckardt, die dankbarerweise öfter geschwätzig ist und eins ums andere mal über die Beweggründe dieser Weltverbesserer-Clique plaudert:

„Dieses Land wird sich verändern. Und es wird sich ziemlich drastisch verändern. Und es wir ein schwerer Weg sein, aber dann glaube ich, können wir wirklich ein besseres Land sein. Und daran zu arbeiten, das mit Begeisterung zu machen, die Leute mitzunehmen, auch die, die Angst haben (..) das ist eigentlich die historische Chance in der wir sind. Das ist wahrscheinlich sogar noch mehr als die deutsche Einheit, was wir da erreichen können. Was die Kanzlerin gemacht hat, ist eine große Idee davon, was es heißt, dieses Land neu zu denken. (…) Die Arbeitgeber scharren längst mit den Füßen und sagen: Wir brauchen diese Leute. (..)“

In Steinmeiers Osterbotschaft klingt das ganz verwandtschaftlich:

„Nein, die Welt danach wird eine andere sein. Wie sie wird? Das liegt an uns! Lernen wir doch aus den Erfahrungen, den guten wie den schlechten, die wir alle, jeden Tag, in dieser Krise machen. Ich glaube: Wir stehen jetzt an einer Wegscheide.“

Aufgepumpte Sätze ohne nachhaltigeren Wert:
„Es ist gut, dass der Staat jetzt kraftvoll handelt – in einer Krise, für die es kein Drehbuch gab.“

Eben das bemängeln heute ja viele, wenn man beispielsweise Drehbuch mit Notfallplan übersetzen würde. Und kraftvoll wird längst von vielen Enttäuschten als Kraftmeierei übersetzt, als klar wurde, dass das Füllhorn, welches Olaf Scholz und Peter Altmeier bei Anne Will ausgegossen, eine feuchte Papiertüte war.

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Als von den aufgeregten Herren behauptet wurde, das Milch und Honig in Deutschland niemals aufhören würden zu fließen. Viele Betriebe, die sofort ihren Antrag stellten, warten nach wie vor auf Hilfe. Und zur Wahrheit gehört eben auch dazu, dass diese linksgrün-ideologische Ego-Mentalität der Selbstbedienung längst tief eingesickert ist vom Management der großen Betriebe bis hinunter zu vielen linksbewegten Kulturfreischaffenden, die sich bisher von Praktikum zu Praktikum und von subventionierter Tätigkeit zu Tätigkeit hangelten und die sich nun gegenseitig übertreffen an Raffinesse im Antrags- und Zuteilungswesen.

Schon wenige Stunden nach Eröffnung der Antragsmöglichkeiten wurden Webseiten hochgeladen, wo pfiffige Neuunternehmer anbieten, anderen dabei zu helfen, die vermeintlich pralle deutsche Kuh zu melken. Kriegsgewinnler, die über sich hinauswachsen. Immerhin sie bekommen eine Grußbotschaft vom Bundespräsidenten: „So viele von Ihnen wachsen jetzt über sich selbst hinaus. Ich danke Ihnen dafür.“

Steinmeier feuert ein ganzes Bündel an Fragen ab, die wir ihm hier gerne im Anschluss beantwortet wollen.

„Oder bleibt das neu erwachte Engagement für den anderen und für die Gesellschaft? Bleibt die geradezu explodierende Kreativität und Hilfsbereitschaft? Bleiben wir mit dem älteren Nachbarn, dem wir beim Einkauf geholfen haben, in Kontakt? Schenken wir der Kassiererin, dem Paketboten auch weiterhin die Wertschätzung, die sie verdienen? Mehr noch: Erinnern wir uns auch nach der Krise noch, was unverzichtbare Arbeit – in der Pflege, in der Versorgung, in sozialen Berufen, in Kitas und Schulen – uns wirklich wert sein muss? Helfen die, die es wirtschaftlich gut durch die Krise schaffen, denen wieder auf die Beine, die besonders hart gefallen sind?“

Steinmeier will wissen, ob das „neu erwachte Engagement für den anderen und für die Gesellschaft“ bleibt. Da können wir ihn zu den Klängen von Händels Fantasie in C hinweg beruhigen: Dieses Engagement ist so stark wie nie. Aber es hat nur bedingt etwas mit Corona zu tun, es wurde schon vor Jahren geweckt, als der Angriff auf Staat und Nation von Polit-Personen wie Steinmeier und Göring-Eckardt über die persönliche Bereicherung noch hinaus ging und dieses bis dahin leidlich funktionierende und wohlständische Land auf eine Weise verändern werden sollte, wie es eigentlich niemandem recht sein kann, der noch bei Verstand ist, der den Wert einer großen Gemeinschaft noch ermessen kann.

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Steinmeier spricht von den Alten, die gerade einsam sterben, aber sie starben oft schon davor einsam und erkannten auch bei vollem Verstand das Land nicht wieder, das sie ihren Kinder und Enkeln übergeben hatten, um Freiheit, Sicherheit und Wohlstand wiederum für deren Kinder und Enkel zu mehren. Kein Land der Welt war so attraktiv für Glücksritter, bis die Führer dieses Landes diesem Begehren auf selbstzerstörerische Weise nachgaben. Auch dieser Bundespräsident hat das massiv befördert und uns damit manches bunte Ei ins gemachte Nest gelegt, das jetzt zum Kuckucksei wurde.

Der Bundespräsident schreibt: „Suchen wir auf der Welt gemeinsam nach dem Ausweg oder fallen wir zurück in Abschottung und Alleingänge?“ Das sagt sich auch viel einfacher, wenn es um europäische Zusammenarbeit geht, einen Impfstoff gegen Corona zu entwickeln. Aber es klingt hier bewusst oder unbewusst auch etwas ganz anderes dissonant mit, nämlich der Wunsch, auch sonst keine Opposition mehr ertragen zu müssen.

Die letzten Jahre haben eindrucksvoll wie erdrückend gezeigt, was von den Steinmeiers dieses Landes zu erwarten ist und mit welcher Haltung sie den Menschen im Land begegnen: Entweder du bist für uns oder gegen uns. Entweder du willst Teil der großen Transformation in allen Lebensbereichen sein, oder du bist Feind der Demokratie. Also dessen, was diese von ihrer Mission beseelten Politiker für Demokratie halten, während sie ihre Begeisterung für das chinesische Gesellschaftsmodell kaum mehr zurückhalten können.

Steinmeier schließt ab mit folgenden Worten:

„Die Solidarität, die Sie jetzt jeden Tag beweisen, die brauchen wir in Zukunft umso mehr! Wir werden nach dieser Krise eine andere Gesellschaft sein. Wir wollen keine ängstliche, keine misstrauische Gesellschaft werden. Sondern wir können eine Gesellschaft sein mit mehr Vertrauen, mit mehr Rücksicht und mehr Zuversicht.“

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Der Moment der großen Wahrheit. Ja, er hat Recht. Ohne Gefolgschaft sind diese Weltverbesserer verloren. Aber er hat vergessen, dass diese Gesellschaft längst schon vor Corona eine andere geworden ist. Warum? Weil seinesgleichen eine Keil der Hetze und des Hasses zwischen die Bürger getrieben hat ausgerechnet damit, dass sie Widerspruch mit Hasse und Hetze belegt haben. Aber Corona hin oder her: Widerspruch bleibt das Herz der Demokratie, nicht der pseudosolidarische Zwangsschulterschluss nach chinesischem oder DDR-Modell. Viele Bürger wissen ganz genau, wann diese Gesellschaft eine misstrauische und ängstliche wurde. Mit Corona hat auch das nichts zu tun.

Im Gegenteil: Weshalb wir auch diese Corona-Krise überwinden werden, hat viel mit den Werten zu tun, die die Menschen in diesem Land nach wie vor hochhalten und leben. Nicht wegen Personen wie Steinmeier und Co, sondern trotz solcher selbsternannter Weltverbesserer. Das ist doch, was zu Ostern hoffnungsvoll machen darf. Bleiben Sie kritisch. Und kündigen Sie den Steinmeiers dieses Landes lautstark Ihre Solidarität auf, dann wird’s – Corona hin oder her – schon werden.

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