Tichys Einblick
Abgesang

Mesut Özil tritt zurück: das Drama ist zu Ende

Seine dreistufige Abrechnung mit Gott und der Welt lässt Özil auf Englisch schreiben - inklusive eines Rassismus-Vorwurfs an die DFB-Spitze: „I am german, when we win, but I am an immigrant, when we lose.“

BENJAMIN CREMEL/AFP/Getty Images

Der deutsche Nationalspieler Mesut Özil „bricht sein Schweigen” (welch dramatische Wortwahl für so wenig): Er twittert. Via soziale Medien lässt er in einem Englisch, das nicht seines ist, dreistufig auf jeden ballern, der daran Schuld sein soll, dass alles so furchtbar schief lief, bevor er dann in der letzten von drei langen Tweets hinschmeisst. Nicht, ohne sich zuvor noch an DFB-Präsident Grindel abzuarbeiten, an Deutschland und an den bösen Deutschen, wenn er beispielsweise fragt, warum Podolski und Klose ganze Deutsche sein dürften, er aber immer nur Deutsch-Türke. Dann mutmaßt der als Nationalspieler Zurückgetretene, dass es vielleicht daran liegen könnte, dass er Moslem sei.

Seine dreistufige Abrechnung mit Gott und der Welt schreibt er auf Englisch. Eine beispiellose Abrechnung inklusive eines Rassismus-Vorwurfs an die DFB-Spitze: „I am german, when we win, but I am an immigrant, when we lose.“

Mesut Özil gibt zunächst vor, seine Gedanken und Gefühle teilen zu wollen, was seiner Meinung nach passiert ist, nachdem er Erdogan seine Aufwartung gemacht hat samt Trikottausch. Aber mit wem möchte er sie teilen? Mit der Welt? Wem gegenüber glaubt Özil, einen Erklärungsbedarf zu haben?

An wen richtet sich Özil in einem Englisch, das nicht seines ist?

Offensichtlich nicht explizit gegenüber seinen deutschen Fans, dessen Trikot er tragen durfte. Dann nämlich hätte er sich in der Sprache seiner Fans und Kollegen der deutschen Nationalmannschaft geäußert. Die haben sich längst dran gewöhnt, dass Özil die paar Worte Nationalhymne nicht über die Lippen bekommt, haben sich damit abgefunden, dass Özil seine außergewöhnlichen fußballerischen Qualitäten zur WM nicht abrufen konnte. Nun werden sie sich gewöhnen müssen, ohne ihn zu spielen und erst den Google-Übersetzer einzuschalten, wenn Özil zu ihnen spricht.

Was soll so ein Zirkus, werden sich viele fragen. Aber es wird nicht die einzige Frage bleiben. Zwei Herzen schlügen in seiner Brust, erklärt Mesut Özil, ein deutsches und ein türkisches. Offensichtlich schlägt nun beim Arsenal-Spieler noch ein drittes. Und es macht bumm-bumm in der Muttersprache seiner dritten Wahlheimat. Aber wird es seine Londoner Fans überhaupt interessieren, was er da erzählt? Schließlich vergeigte Özil nicht das Weiterkommen der Elf der Engländer, die haben attraktiv aufgespielt, sondern gemeinsam mit seinen Fußballer-Kollegen das der deutschen Elf. Die Enttäuschung der Fans war eine deutschsprachige: Was also bitte soll solch viel zu spät nachgereichter Firlefanz („frippery“)?

Firlefanz

Aber nicht jeder reagiert mit Unverständnis auf Özils Abrechnung. Der Spiegel-Kolumnist Georg Diez twittert als einer der ersten Vertreter der Medien in beispiellos schriller Lautstärke:

Özils endet im dritten Teil seiner Twitter-Trilogie mit dem Satz: „I was born and educated in Germany, so why don’t people accept, that I am German?“

Zuvor erfuhr der Leser, dass Özil alles noch einmal genauso gemacht hätte: Er steht zu seinem Auftritt mit Erdogan (übersetzt ins Deutsche):

„Ich verstehe, dass es vielleicht schwer nachzuvollziehen ist, da in einigen Kulturen ein politischer Führer nicht getrennt von der Person betrachtet werden kann. Was auch immer das Ergebnis der letzten Wahl gewesen wäre, oder der Wahl davor, ich hätte das Bild trotzdem gemacht. (…) Für mich ging es bei einem Foto mit Präsident Erdogan nicht um Politik oder um Wahlen, sondern darum, das höchste Amt des Landes meiner Familie zu respektieren.“

DFB-Präsident Reinhard Grindel hatte vor zwei Wochen im „Kicker“ wiederholt, dass Fans der Nationalmannschaft zu Recht Antworten erwarten würden und welche von Özil bekommen sollten. Nun muss der google-Übersetzer ran, um zu verstehen, dass Özil auf seine Fans und auf das Land pfeift, für das er spielt. Özil beschwert sich bitter, dass ihm durch die Berichterstattung einiger deutscher Medien ein paar gute Werbedeals flöten gegangen wären. Und Grindel teilt er abschließend mit, dass er als Ausrede für dessen Inkompetenz nicht mehr zur Verfügung stehe.

Er schreibt, es ginge ihm beim so scharf kritisierten Treffen mit Erdogan doch nur darum, „das höchste Amt des Landes meiner Familie zu respektieren.“ Wenn dem aber wirklich so wäre, dann hätte er seinen Respekt vor diesem Amt in aller Deutlichkeit zeigen können, indem er solche Termine öffentlich abgesagt hätte, solange Erdogan dieses Amt innehat.

Wir erfahren weiter, dass Erdogan selbst in seiner Jugend Fußballer war. Aber welchen deutschen Fan interessiert das? Und deutsche Journalisten interessiert viel mehr, wie es einigen kritischen türkischen Kollegen aktuell geht, die auf dem Bolzplatz im türkischen Knast vielleicht ein paar Runden kicken dürfen, dann, wenn es ihnen einmal gestattet wird.

Die Queen, Theresa May und Özil treffen Erdogan eben

Und Mesut Özil holt sich Schützenhilfe für seine Generalabrechnung ausgerechnet in seiner neuen Wahlheimat England, wenn er schreibt: „Respekt vor einem politischen Amt zu haben, ist eine Auffassung, die sicher auch die Queen und Premierministerin Theresa May vertreten haben, als sie Erdogan in London ebenfalls getroffen haben.“

Nun sind diese beiden prominenten Damen sicher nicht durch ihre Qualitäten am Ball bekannt, sie sind politische Akteure. Anstatt dass Mesut Özil nun in der Sprache, die er in der Schule gelernt hat, endlich ein paar Sätze des Bedauerns an seine enttäuschten Fans richtet, stellt er sich auf eine Stufe mit der Queen und der Premierministerin. Was soll das sein, wenn nicht Größenwahn?

Als seine Fans eine Erklärung hätten erwarten können, interessierte sich Özil nicht dafür. Jetzt, wo ihm die Sponsoren abspringen, beißt Özil um sich, keilt gegen jeden und alle und schmeißt hin, was sowieso nicht mehr zu reparieren war. Aber wer das lesen soll, an wen sich Özil damit wenden wollte, weiß er offensichtlich selber nicht so genau.

Seine Fans interessieren ihn nicht, seine Sponsoren sehr wohl

Für die einen ist Özils Verhalten ein großes Rätsel, viele andere interessiert es schon nicht mehr – der deutsche Fußball hat viele Talente. Und große Turniere wurden immer mit großem Mannschaftsgeist gewonnen, nicht unter der Schirmherrschaft der englischen Queen und auch nicht auf der Basis von Respekt vor irgendeinem politischen Amt, dass durch seinen Inhaber so furchtbar entwertet wurde.

Özil lobt Adidas und zwei weitere Sponsoren, die ihm gegenüber „extremely loyal“ geblieben wären. Bei diesen Sponsoren bedankt sich Özil freundschaftlich: „They rise above the nonsense created by the german press and media.“ Sie stehen über dem Unsinn der deutschen Medien.

But what a nonsense created by a turkish-german-english Weltbürgerfußballer is that?

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