Ein typischer Dialogfetzen in den sozialen Medien 2020 in Zeiten von Corona: „Man kann doch nicht so tun, als sei Covid-19 nur ein harmloser Schnupfen.“ Aber wer tut das schon? Es gibt doch vielmehr Vergleiche mit der Grippe, also mit Influenza. Und gegen diese wurden ja aufwendig Impfstoffe für Ältere und Risikogruppen nicht deswegen entwickelt, weil ein Schnupfen so unangenehm wäre oder etwa um Taschentücher zu sparen.
Nein, wer Covid-19 mit Influenza vergleicht, spricht nicht von Schnupfen und ist auch kein „Corona-Leugner“. Der Begriff „Corona-Leugner“ wird im Übrigen von immer mehr Medien aufgenommen, als wäre es die beste Umschreibung für Kritiker von Regierungsmaßnahmen und nicht etwa eine vollkommen geschichtsvergessene wie gedankenlose Assoziation zum Holocaust-Leugner. Daher kommt nämlich die Wucht, die auch den Begriff Klima-Leugner so entsetzlich falsch und überfrachtet klingen lässt.
Unter anderem der Tagesspiegel und die taz berichten aktuell, dass auch die Chefs von Landesverfassungsschutzbehörden mittlerweile von „Corona-Leugnern“ sprechen und diese für gefährlich halten. Sachsen-Anhalts Innenminister Stahlknecht, so der Tagesspiegel, glaubt nicht an einen schnellen Erfolg im Kampf gegen die Verschwörungstheorien. Der Politiker scheut sich hier nicht einmal, Dietrich Bonhoeffer zu zitieren beziehungsweise zu instrumentalisieren gegen Kritik an den Maßnahmen gegen Corona: „Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit“.
Holocaust-Leugnung steht in Deutschland aus gutem Grund unter Strafe. Und für den Begriff Leugnung besteht daher in Deutschland eine besondere Sensibilität. Wer hier aber mit den Vorwürfen Klima- bzw. jetzt Corona-Leugnung direkt andocken will, der muss sich darüber klar sein, dass er sich dem Vorwurf aussetzt, damit implizit den Holocaust zu relativieren und zu verharmlosen. Das ist keine Frage einer plötzlich gesteigerten Verantwortung für Sprache, sondern es bedarf dafür lediglich eines Mindestmaßes an Geschichtsbewusstsein, welches Journalisten und Politiker schon mitbringen sollten. Nein, eigentlich sogar jeder Schüler einer weiterführenden Schule.
Zurück zu eingangs erwähnten Dialogteil: „Man kann doch nicht so tun, als sei Covid-19 nur ein harmloser Schnupfen.“ Wer „so“ tut, verharmlost selbstverständlich die Gefährlichkeit von Covid. Aber das tun glücklicherweise eben nur wenige Menschen. Ist es nicht vielmehr so, dass ein Vergleich mit der Grippe viel häufiger ist und dass die meisten Kritiker der Regierungsmaßnahmen gegen die Ausbreitung das Virus nicht in Frage stellen, dass es dieses Virus gibt? Das zu tun ist selbstverständlich abwegig.
Über die wenigen wirklichen Leugner muss man sich nicht streiten. Aber: Verharmlost jemand, der den Vergleich zur Grippe wagt, die Gefahren, die Wissenschaftler beispielsweise vom Robert Koch-Institut in Covid-19 ermittelt haben?
Nein, die Grippe ist alles andere als harmlos und kein Schnupfen, sondern allenfalls mal von einem solchen begleitet. Wissenschaftliche Untersuchungen legen mittlerweile sogar nahe, dass eine Grippe, selbst dann, wenn man sie überwunden hat, auch Folgeschäden mit sich bringt. So stellten Biologen 2018 fest, dass einige Grippeviren Atemwegszellen, bestimmte Immunzellen und vermutlich auch Gehirnzellen zerstören – zumindest bei Mäusen. Es wird weiter vermutet, dass ältere Menschen, die sich bereits von einer Infektion erholt haben, anschließend desorientierter und vergesslicher sind. Untersuchungen dazu haben nicht etwa obskure Aluhutträger durchgeführt, sondern Forscher der TU in Braunschweig. Professor Martin Korte kam damals zu folgender Vermutung: Der Erholungsprozess nach einer Grippe würde einige Jahre dauern.
Im Tierversuch mit Grippeviren konnte an getöteten Tieren sogar hirnstrukturelle Veränderungen festgestellt werden. „Besonders die veränderte Zahl an Synapsen und Dichte der Mikrogliazellen fiel auf.“ Und diese Mikrogliazellen spielen eine bedeutende Rolle: Es sind die Immunzellen des Gehirns. „Im Falle von Infektionen können sie zu Soldaten werden, die den Feind bekämpfen, dabei aber in einer Art Überreaktion auch Nervenzellen schädigen.“ Die Forscher vermuten hier, dass bestimmte Immunreaktionen, auch wenn sie gar nicht im Gehirn stattfinden, über Botenstoffe bis ins Gehirn schwappen und dort eine überschießende Aktivität dieser Mikrogliazellen auslösen können.
Kann nun eine Grippeschutzimpfung so eine Immunattacke verhindern? Oder umgekehrt: Besteht gar ein Risiko, dass durch so eine Impfung so eine Attacke womöglich beim gesunden Menschen ausgelöst wird? Auch das erforschen die Wissenschaftler. Hier muss man also bescheinigen, das es Weißräume oder gar Bedenken gibt, die Skepsis gegen Impfungen wenigstens erklären.
Impfgegner werden aktuell allerdings von vielen Medien und Politikern ebenfalls zur Fraktion der Aluhutträger sortiert. Bei einigen kann das zutreffen. Aber auch hier sollte man feststellen: Es gibt es eine viel größere Zahl von Impfskeptikern, die gar keine Impfgegner im eigentlichen Sinne sind. Also von Menschen, die ihre Kinder zwar impfen lassen, aber eben auch nicht jede von der Pharma-Industrie empfohlene Impfung nicht zu jedem Zeitpunkt oder gar gleich in einem Mehrfachpaket von Impfungen zur selben Zeit für ihre Kinder wollen. Viele Menschen sorgen sich einfach, wie es sich für Eltern gehört, um das Wohl ihrer Kinder, versuchen sich deshalb intensiv zu informieren und durchlaufen einen langen Abwägungsprozess, der sicher nicht mit Hüten aus Aluminium zu tun hat.
Nein, die wenigsten Kritiker der Maßnahmen der Bundesregierung gegen das Covid-19-Virus halten dieses für einen Schnupfen. Aber ein paar mehr vergleichen Covid-19 mit der Grippe, also mit einer für bestimmte Bevölkerungsgruppen durchaus schwerwiegenden Viruserkrankung. Diese schwerwiegenden Erkrankungsverläufe bis hin zum Tode betreffen vorwiegend ältere Menschen über 60 Jahre, Säuglinge und Kleinkinder, schreibt beispielsweise die Internetseite HNO-Ärzte im Netz. Auch von der Gefahr von bakteriellen Superinfektionen ist die Rede, wenn geschädigte Atemwegsschleimhäute in Folge einer Grippe zum Nährboden für Bakterien werden. Der SWR schreibt im April 2020: „Die Grippe ist alles andere als harmlos.“
Das Robert Koch-Institut mag aktuell auch in der Kritik stehen. Richtig fleißig war das Institut 2017/18, als man dort mutmaßlich wegen Grippe bis zu 10 Millionen zusätzliche Arztbesuche verzeichnete. Der SWR unterscheidet hier noch zwischen „umlaufenden“ und „pandemischen“ Influenzastämmen. Letztere wären „deutlich gefährlicher als die saisonale Grippe“. Diese Grippeviren hätten „neue, bisher unbekannte Oberflächenmerkmale“ und es gäbe gegen diese Grippeviren „keine Grundimmunität“.
Bedeutet das also, dass die staatlichen Einschränkungen aufgrund von Covid-19 nach einem möglichen Abklingen von Covid-19 und also der Infektionsraten jederzeit auch wegen dieser neuartigen Grippeviren in Kraft treten könnten? Mit welchem Argument eigentlich würde man gegenüber diesen Viren dann weniger vorsichtig agieren – und was bedeutet das für die Zukunft?
Halten wir also fest: Die wenigsten Kritiker halten Covid-19 nur für ein Schnupfen. Wer Kritikern so etwas unterstellt, will offensichtlich nur eines: Diese Kritik von Regierungsmaßnahmen diskreditieren. Stellen wir weiter fest, dass der Anwurf, „Corona-Leugner“ zu sein, nicht nur diffamierend, sondern zudem unterschwellig auf abstoßende Art und Weise geschichtsvergessen ist. Und schließen wir damit, dass die Grippe alles andere als nur eine harmlose Viruserkrankung ist. Covid-19 mit der Influenza zu vergleichen ist also etwas ganz anderes, als Covid-19 nur für einen Schnupfen zu halten.