Tichys Einblick
Wenn der Rechtsstaat sich verirrt hat

Kommandoaktion „Abschiebung“ gescheitert: Bin Ladens Leibwächter soll zurück nach Deutschland

Der Fall reicht bis ins Kanzleramt, wenn Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung explizit den Aufenthalt des Bin-Laden-Leibwächters in Deutschland als untragbar bezeichnet hat.

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Einer der Leibwächter Osama Bin Ladens, ein von deutschen Sicherheitsbehörden als ausreisepflichtiger Gefährder eingestufter Islamist, wurde nach Tunesien abgeschoben. Sami A. war am Freitag früh in Begleitung von vier Bundespolizisten mit einer Chartermaschine von Düsseldorf nach Tunesien ausgeflogen worden. Allerdings „grob rechtswidrig“, wie nun ein deutsches Gericht feststellte und die Rücküberführung von Sami A. anordnete, wie immer das auch möglich gemacht werden könne.

Es brodelt im Pott: Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen rebelliert gegen das NRW-Flüchtlingsministerium unter der Regierung von Armin Laschet (CDU). Ausgerechnet einer der größten Widersacher innerhalb der Union gegen Seehofers Asyl-Masterplan wird zudem von Flüchtlingshelferorganisationen angegriffen, er gefährde mit Abschiebungen das Grundrecht auf Asyl.

Nun versteht sich das Verwaltungsgericht sicher nicht als Fluchthelferorganisation, aber es demonstriert am Bespiel des ehemaligen Leibwächters Bin Ladens exemplarisch, wo es in der aktuellen Debatte um Migration und Abschiebungen krankt: Wenn beispielsweise Alexander Dobrindt (CSU) eine „Anti-Abschiebe-Industrie“ erkannt haben will, dann wird er zukünftig das deutsche Rechtssystem mit einbeziehen müssen. Dann besteht Handlungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber. Dann müssen hier dringend ein paar Gesetze der aktuellen Gefährdungslage angepasst werden.

Das Verwaltungsgericht hatte sein Abschiebeverbot mit fehlender Sicherheit für Sami A. vor Folter in Tunesien begründet. Diese Entscheidung ist noch aus einem ganz anderen Grund bemerkenswert, denn Tunesien gilt für Europa seit längerem schon als hoffnungsvoller Partner, die Migrationsbewegung einzudämmen. „Im Kampf gegen die Flüchtlingskrise will die Europäische Union künftig stärker mit Tunesien zusammenarbeiten.“ Nun wird also Tunesien offiziell von einem deutschen Gericht als Folterstaat beschrieben. Und das ausgerechnet in dem Moment, wenn es um die Rechte eines Al-Kaida- Leibwächters Bin Ladens in Deutschland geht.

„Die Abschiebung von A. stelle sich als „grob rechtswidrig dar und verletzt grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien“, teilte das Gericht mit.“

Nun ist die Abschiebung an sich durchgesetzt. Aber Sami A. soll zurückgeholt werden, weil in seinem speziellen Fall eine Abschiebung richterlich ausgesetzt wurde und NRW dennoch abgeschoben hatte – angeblich in Unkenntnis dieser Anordnung. Wie brisant dieser Fall tatsächlich ist, reicht bis hinauf ins Kanzleramt, wenn Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag explizit den Aufenthalt des Bin-Laden-Leibwächters in Deutschland als untragbar bezeichnet hat. Der eine oder andere wird sich sogar noch an die Glückwünsche der Kanzlerin an den damaligen US-Präsidenten Obama erinnern, als dieser per Killfahndung den einstigen Arbeitgeber von Sami A. liquidieren ließ. Hier noch einmal im Wortlaut:

„Meine Damen und Herren, unseren amerikanischen Freunden ist heute Nacht mit der Tötung von Osama Bin Laden ein wichtiger Schlag gegen den internationalen Terrorismus gelungen. Ich habe dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama meinen und unseren Respekt für diesen Erfolg und für diese gelungene Kommandoaktion mitgeteilt.“, so Angela Merkel 2011.

Damals allerdings gab es auch gewichtige Stimmen, die diese Nacht-und-Nebel-Kill-Aktion als Verstoß gegen das Völkerecht scharf kritisierten.

Armin Schuster (CDU) plädiert nun dafür, den überlebenden Leibwächter Bin Ladens vorerst nicht nach Deutschland zurückzuholen. Zunächst sollte die nächste Instanz entscheiden, sagte er der „Mitteldeutschen Zeitung“. Der Vorsitzende des Amri-Untersuchungsausschusses des Bundestags befürchtet also, dass diese Rückholaktion eines ausreisepflichtigen Gefährders mit Al-Kaida-Ausbildung schnell gehen könnte?

Nun ist das deutsche Rechtssystem einer der Garanten einer Demokratie, die in der Welt selten geworden scheint. Und zweifellos muss man den Richtern des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen ein hohes Maß an Rückgrat bescheinigen, entschieden zu haben, was entschieden wurde. Streng nach der gültigen Gesetzeslage. Die Süddeutsche Zeitung fasst es so zusammen: „Der Fall ist ein Lehrstück dafür, was passiert, wenn Politik sich einer Stimmung beugt und glaubt, den Rechtsstaat im Sinne eines gesunden Volksempfindens übergehen zu können.“

Besonders pikant ist in dieser Angelegenheit sicher auch der Informationsfluss zwischen Gericht und den für die Abschiebung verantwortlichen Institutionen. Entweder schauen wir hier auf eine brutale Digitalisierungslücke im System oder auf eine fragwürdige interne Absprache, wenn das Gericht die Behörden am nächsten Morgen über das Abschiebeverbot informiert, als es bereits zu spät war. Die Süddeutsche unterstellt der Regierung in NRW sogar indirekt: „Wer von sich behaupten kann, ihn außer Landes geschafft zu haben, könnte auf ein paar ebenso schöne wie billige Punkte in der Popularität hoffen.“ Dieser Schuss ging nach offensichtlich nach hinten los.

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