Eine kleine Anfrage der Linkspartei, samt Antwort der Bundesregierung zu Angriffen auf Zuwanderer, brachte die Leitmedien auf den Plan. So berichtete die ZEIT von „Fremdenhass, Schon mehr als 700 Angriffe auf Flüchtlinge“ und die WELT ebenso wie der Stern wollten indes aus genannter Antwort der Bundesregierung herausgelesen haben, dass die Zahl der „flüchtlingsfeindlichen Angriffe zurückgegangen“ sei.
Nun ist die Antwort der Bundesregierung bis zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht veröffentlicht worden. Also berichtete beispielsweise die ZEIT, ihre Informationen gingen aus „einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die den Zeitungen der Funke Mediengruppe vorliegt.“
Über eine irgendwie geartete investigative Tätigkeit in den Redaktionen erzählt das wenig. So baten wir einfach den wissenschaftlichen Berater im Büro Ulla Jelpke um Zusendung der noch unveröffentlichten Antwort, die der Bundestagsabgeordneten bereits vorliegt und bekamen sie innerhalb von zehn Minuten mit dem Angebot eines angefügten Zitates von Frau Jelpke (dazu gleich mehr) zugeschickt. Die Kollegen leisten dort also gute Arbeit.
Kleine Anfragen also als willkommene Themenlieferanten für die berichtenden Medien. Entsprechend aufbereitet werden Anfragen und Antworten von den Parteien präsentiert. Die Linke stellt dafür ebenso ein Portal zur Verfügung wie die AfD und beispielsweise die Bremer Grünen auf Landesebene, denn auch in den Landtagen ist dieses Instrument viel genutzt.
Nun aber zur Anfrage, von der Bundesregierung beantwortet am 07. August 2018 unter dem etwas sperrigen Titel: „Proteste gegen und Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im zweiten Quartal 2018, BT-Drucksache 19/3539“. Nick Brauns aus dem Büro Jelpke kommentiert die Antworten in einem kurzen Begleittext dahingehend, dass er befindet, dass sich ein „grassierender Alltagsrassismus (…) häufig gewalttätig niederschlägt.“ Er glaubt auch zu wissen, woran das liegt: „Ohne Zweifel wird der von der AfD betriebene Angst- und Bedrohungsdiskurs und die nicht mehr nur im Abseits (militante Naziszene) sondern im Bundestag und Talkshows betriebene Hetze gegen Geflüchtete weitere Gewalttaten und anderen Anfeindungen anheizen.“ Bemerkenswert findet er das „große Missverhältnis der Gewalttaten zwischen Ost und West. Im ersten Quartal lag dieses Verhältnis bei 60:18, im zweiten Quartal bei 59:10.“
Nun leistet sich die Linkspartei sogar einen eigenen Referenten für Rechtsextremismus und Antifaschismus, man ist also in der Sache aufgestellt. Interessant in dem Kontext, dass es die Abgeordnete Jelpke war, die laut Auskunft ihres Büros als erste Politikerin ein Verbot des IS in Deutschland forderte. Sie war 2014 bei Kurden vor Ort in Syrien, als die Situation dort eskalierte, inklusive der Angriffe des IS auf die Jesiden. Jelpke war, um noch ein weiteres Beispiele anzuführen, ebenfalls die erste, die auf die Machenschaften der mittlerweile vom Innenministerium verbotenen Rockergang „Osmanen Germania“ hinwies.
Warum sich Ulla Jelpke nicht im selben Maße für Gewalttäter unter Zuwanderern interessiert, könnte nun eine weitere Frage sein. Und wir stellen sie ihrem Büro. Dort antwortet uns wieder Dr. Brauns, er ist der wissenschaftliche Mitarbeiter der Abgeordneten und befindet dazu:
„Jede Vergewaltigung ist ein schlimmes Verbrechen. Doch eine Vergewaltigung mit einem Flüchtling als Vergewaltiger ist ja nicht politisch oder religiös motiviert, er macht das, um seinen Sexualtrieb zu befriedigen, so wie ein deutscher Vergewaltiger auch. Wir fragen auch nicht allgemein nach Straftaten von Deutschen gegen Ausländer, wenn diese nicht ideologisch oder politisch motoviert oder auf Hasskriminalität basieren.“
In der Detailbetrachtung fällt zunächst neben den physischen Angriffen auf Unterkünfte und Asylbewerbern die hohe Zahl bestimmter explizit ausgewiesener Vergehen auf wie der Straftatbestand „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“, „Volksverhetzung § 130 StGB“ und „Beleidigung §303 StGB“ ebenso, wie eine Reihe von Sachbeschädigungsdelikten.
Was genau steckt hinter solchen Vergehen, wenn da beispielsweise die „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen § 86a StGB“ in Holzgerlingen am 17.02.2018 mit dem Täterprofil „PMK-Rechts“ ausgewiesen wird oder in Sanitz nahe Rostock eine „Volksverhetzung §130 StGB“ verfolgt wurde bzw. in Velbert am 05.04.2018 eine „Körperverletzung“ und in der Lutherstadt Wittenberg eine „gefährliche Körperverletzung“ aufgeführt wird.
Die Bundesregierung stellt der Beantwortung der Anfrage voran: „Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind und in Deutschland Schutz suchen, können zu Recht erwarten, dass sie sicher untergebracht sind.“ Dem Bundeskriminalamt, so die Antwort, würden „jene Straftaten gemeldet, „die seitens der zuständigen Landespolizei als politisch motiviert bewertet wurden.“ In den angefügten Tabellen seien „jene ausgewiesen, die erkennbar im Zusammenhang mit der Asylthematik stehen.“
Zunächst fragte Ulla Jelpke in Frage 1 nach Orten in Deutschland, an denen es Demonstrationen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen gegeben hätte und bittet um Auflistung nach Bundesländern, Orten, Datum, Anzahl der Teilnehmer, „auch wenn diese geringer als 20 sind“. Antwort der Bundesregierung: „Im zweiten Quartal 2018 hat es nach Kenntnis der Bundesregierung keine rechtsextremistischen Demonstrationen bzw. Kundgebungen gegeben, die konkret gegen eine geplante oder bereits bestehende Asylbewerber- bzw. Flüchtlingsunterkunft gerichtet waren.“ Damit ist auch eine weitere Frage beantwortet, die daraus resultierende Straftaten gezählt haben will, da ja keine bekannt geworden sind.
Weiter wird von der Bundesregierung beantwortet, dass es im zweiten Quartal 2018 dreiunddreißig Straftaten aus dem „Phänomenbereich PMK –rechts –“ gab, bei denen die Unterkunft selbst Tatort oder direktes Angriffsziel war. Weitere zwölf Straftaten mit der gleichen vermuteten Tätergruppe hätten sich gegen „Hilfsorganisationen bzw. ehrenamtliche/freiwillige Helfer“ gerichtet.
Gegenüber 77 „Straftaten gegen Asylunterkünfte“ werden 284 politisch motivierten Delikte aufgeführt, die sich gegen Asylbewerber/Flüchtlinge außerhalb von Asylunterkünften richten. Insgesamt verletzt wurden dabei 57 Personen, eine davon bei Straftaten gegen Asylunterkünfte. Unter den 75 Verletzten befanden sich drei Kinder.
Das Bundeskriminalamt kann der Bundesregierung allerdings keine Angaben machen zum Stand bzw. Ausgang der Strafverfahren, weil die Bundesländer nicht verpflichtet seien, über Verfahrensausgänge zu informieren.
Jelpke will weiter wissen, mit wie vielen Fällen sich das „Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ)“ – eine Kooperation zwischen Verfassungsschutz und Polizei – beschäftigt hätte. Die Bundesregierung antwortet, dass es in keinem der aufgeführten Fälle zu einer Zusammenarbeit kam.
Weiter fragte Jelpke, in wie weit sich das „Referat Rechtsextremismus beim Generalbundesanwalt“ mit den oder einem der Fälle befasst hätte. Hierzu antwortet die Bundesregierung, der Generalbundesanwalt hätte in keinem Falle Ermittlungsverfahren eingeleitet oder übernommen, da u.a. ein „Vorliegen „der besonderen Staatsschutzqualität der Taten fehlte“.
Ulla Jelpke will wissen, in wie vielen Fällen Sicherheitspersonal in den Unterkünften übergriffig gegenüber Asylbewerbern geworden sei. Die Bundesregierung teilt ihr mit, keine Kenntnisse über solche Tätlichkeiten zu haben.
Weiter will die Abgeordnete der Linkspartei wissen, wie oft es seit 2015 zum „Schusswaffeneinsatz von Polizeibeamten gegen Flüchtlinge“ kam, hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.
Der Spiegel übernimmt eine dpa-Meldung, die schreibt, insgesamt betrachtet sei die Zahl der Angriffe gegen Zuwanderer im Vergleich zum Vorjahr leicht zurückgegangen und beruft sich dabei auf die der Funke Mediengruppe vorliegende Antwort der Bundesregierung, anstatt selbst einmal zu recherchieren, sprich, im Büro Jelpke anzurufen und nach der noch nicht veröffentlichten Antwort der Bundesregierung zu fragen, die Abgeordneten in der Regel einige Tage vor der Veröffentlichung durch die Bundesregierung selbst vorliegt.
Kein uneigennütziger Vorgang und eine interessante exklusive Zusammenarbeit zwischen Politik und Medien, die man so sicher am wenigsten bei der Linkspartei vermutet hätte.