Neue Alarmmeldungen aus Berlin. Dort kollabiert das Berliner Verwaltungsgericht unter der Last unter Klagen von Asylbewerbern gegen ablehnende Asylbescheide. Statistisch gesehen geht dort alle zwei Stunden eine Klage ein und das rund um die Uhr. Allein in der Hauptstadt sind fast fünfzig Prozent aller Klagen vor dem Verwaltungsgericht solche von abgelehnten Asylbewerbern, berichtet der Justizsenat auf eine Kleine Anfrage hin.
Nun ist das Berliner Verwaltungsgericht alles andere als eine Institution, die ausschließlich für solche Verfahren geschaffen wurde. Folgerichtig werden alle anderen Verfahren entsprechend in die Länge gezogen.
Für das gesamte Bundesgebiet gerechnet gab es beispielsweise 2017 über 300.000 Klagen gegen Asylbescheide. 2019 waren es immer noch mehr als 90.000. Damit lag die Klagequote 2019 bei annähernd 50 Prozent bezogen auf die Gesamtzahl der ablehnenden Bescheide. Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt: „2015 und 2016 ging die Zahl der Klagen aufgrund der hohen Anerkennungsquote (…) zurück.“ Also nur deshalb.
Nun weiß man allerdings, dass nur die wenigsten Asylverfahren mit einem positiven Asylbescheid ausgehen. Zwar bekommen heute rund 40 Prozent einen Aufenthaltstitel. Aber davon gibt es mittlerweile über 50 verschiedene Variationen. Es ist also theoretisch für jeden etwas dabei, der kein klassisches Asyl bekommt.
Mitarbeiter der Arbeitsagentur können heute aus einer Liste von über fünfzig Aufenthaltstiteln auswählen, wenn es darum geht, Ausländern Arbeitslosengeld II zu genehmigen. Oder anderes gesagt: So jemand muss sich schon besonders dumm anstellen, wenn es ihm nicht gelingt, für sich glaubwürdig eine dieser über fünfzig attraktiven Eintrittskarten in das deutsche Rundumsorglospaket zu lösen.
Ausgerechnet das Neue Deutschland, ehemaliges Zentralorgan der SED, also der heutigen Partei die Linke, schrieb schon 2017 davon, dass Asylklageverfahren von zweihundertfünfzigtausend Personen vor deutschen Gerichten anhängig wären. Die zuständigen Verwaltungsgerichte ständen kurz vor dem Kollaps – „Irgendwann bricht alles zusammen“. Die Warnung kam damals direkt von Robert Seegmüller, dem Vorsitzenden des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter. Die aktuelle Meldung aus Berlin zeigt, dass sich daran über die Jahre nichts geändert hat außer vielleicht, dass die Ankündigung eines Kollaps zur Regel geworden ist. Oder präziser, dass die Systeme regelmäßig kolabieren, wo auch andere außer Asylklageverfahren wegen Überlastung immer wieder verschoben werden.
Nun sind nicht alle Klagen erfolgreich. Die Erfolge sind sogar in der Minderheit. Die Caritas berichete, dass Prozesskostenhilfe für die Klage den Asylbewerbern meistens mangels Erfolgsaussichten verwehrt wird. Aber es wird Zeit gewonnen. Zeit, die auf jenes Konto des Klagenden einzahlt, das nach Ablauf von fünf oder weniger Jahren automatisch ein Bleiberecht erwirkt.
Hier noch ein Einblick in die Ansichten der Anwaltschaft zum Klageweg für abgelehnte Asylbewerber, wie beispielsweise auf anwalt.de, einem der größten deutschen Anwaltsportale. Dort heißt es unter „Rechtstipps“, einsehbar für Kollegen und Ratsuchende:
„Das Bundesamt hat die Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylbewerbers in Zweifel gestellt. Oftmals liegt dies daran, dass der Übersetzer den Asylbewerber nicht richtig verstanden hat und die Aussagen nicht richtig wiedergegeben hat. Oftmals versteht auch der Asylbewerber den Dolmetscher nicht richtig. Dies sollte dem Gericht dann deutlich gemacht werden. Die Fluchtgründe sind nicht hinreichend bewiesen. Beweise können durch Angehörige im Herkunftsland beschafft werden. Sofern der Asylbewerber sehr krank ist (auch psychische Erkrankungen) können auch in Deutschland ärztliche Atteste eingeholt werden. Es muss dann dargelegt werden, dass eine Behandlung im Herkunftsland nicht möglich ist.
Der Asylbewerber war in der Anhörung vor dem BAMF aufgeregt, traumatisiert oder sehr müde. Auch dies sollte dem Gericht mitgeteilt werden.“
Und das ist dann erst die Empfehlung für die erste Instanz. Bei einer ablehnenden Entscheidung kann noch die Zulassung der Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht beantragt werden. „Dies hat Aussicht auf Erfolg, wenn es um Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung geht oder wenn die Gerichte in einer Sache unterschiedlich entscheiden.“
Nun kann man nicht sagen, wie repräsentativ die Ausage dieses Anwalts war, gesichert ist, dass trotz mehrheitlich fehlender Prozesskostenhilfe Anwälte zu ihrem Geld kommen, notfalls springen auch Nichtregierungsorganisationen ein. Gesichert ist ebenfalls, dass sich hier eine Welcome-Klagepraxis etabliert hat, die Entscheidungen des Bundesamtes proaktiv in Frage stellt. Das Berliner Verwaltungsgericht kollabiert gerade daran. Doch der Kollaps der Institutionen ist jedenfalls in Berlin keine besonders aufregende Nachricht mehr. Aber sieht es anderswo in Deutschland besser aus?