Tichys Einblick
Die Wahrheit ist oft ganz anders

Italien erhöht Druck: EU-Operation „Sophia“ im Mittelmeer eingestellt

Wenn die europäische Marine lediglich ausläuft, um erstversorgte Schlauchboot-Passagiere nahe der libyschen Küste aufzunehmen, ist sie Erfüllungsgehilfe der Nichtregierungsorganisationen.

FEDERICO SCOPPA/AFP/Getty Images

Der europäische Marineverband unter dem sperrigen Namen „EUNAVFOR MED Operation SOPHIA“ ist mit seinem Auftrag auf ganzer Linie gescheitert. Diesen Eindruck könnte man jedenfalls gewinnen, wenn Italien jetzt die Notbremse zieht und der militärischen Operation auf dem Mittelmeer quasi die Grundlage entzieht, indem weitere Anlandungen von Migranten aus Libyen den Marineschiffen ebenso untersagt wurden wie schon zuvor den Nichtregierungsorganisationen.

Versagt, weil der ursprüngliche Auftrag nicht wahrgenommen wurde und die Operation „Sophia“ faktisch zu einer „Seenotrettungsmission” geworden ist. Die NGO-Boote vor der Küste Libyens melden und erstversorgen die Schlauchboote der Migranten und die Seenotleitzentrale in Rom beordert anschließend solche Schiffe dorthin, die in der Nähe sind und entsprechende Aufnahmekapazitäten haben – immer öfter waren das Schiffe der EU-Mission. Das führte sogar dazu, das zeitweilig diese Marine-Schiffe größeren Abstand suchten zur libyschen Küste, was wiederum dazu führte, dass sich Reedereien beschwerten, die dann aus Rom angefunkt und zur Abholung der von den NGO-Booten ausgemachten Schlauchboot-Insassen beordert wurden. Denn mitnichten fuhren die NGO-Boote grundsätzlich die Route Libyen-Italien, das machten sie nur, wenn die Seenot-Leitstelle in Rom kein anderes Schiff fand, die Migranten aufzunehmen.

Nun war die Operation Sophia zunächst auch keine Operation Sophia, sondern einfach die Operation „UNAVFOR MED“ (Abkürzung für European Union Naval Force – Mediterranean). Und sie hatte einen klaren Auftrag, der bis heute auf der entsprechenden Website der beteiligten Bundeswehr definiert ist: „Gegen Schleusernetzwerke – Der Einsatz im Mittelmeer“.

Völlig unmissverständlich heißt es dort: „Seit Juni 2015 beteiligt sich Deutschland durchgehend an der EUNAVFOR MED Operation Sophia. Kernauftrag der Einheiten des Verbands ist, zur Aufklärung von Schleusernetzwerken auf der Zentralen Mittelmeerroute beizutragen. Sie dürfen dazu seit Beginn der Phase 2i des Einsatzes am 7. Oktober 2015 auf Hoher See gegen Boote vorgehen, die von Schleppern genutzt werden.“ Nachsatz: „Die Soldaten haben außerdem Tausende Menschen aus Seenot gerettet.“

Seit Mai 2016 zielt die EU-Mission auch auf den Aufbau einer wirksamen libyschen Küstenwache. So zumindest will es die EU nach außen aussehend kommuniziert wissen. Das Magazin der Spiegel zitiert nun allerdings – in einem ansonsten auf verstörende Weise zusammengeschusterten Artikel – den Chef der libyschen Zentralregierung, dem auch die libysche Küstenwache untersteht. Jener Küstenwache, die zu unterstützen sich nicht nur die EU, sondern auch die nationalen Regierungen Europas auf die Fahnen geschrieben haben, wie zuletzt Angela Merkel in der Regierungserklärung.

Libyens Zentralregierungschef Fayez Sarraj (Fajis al-Sarradsch) sagte gegenüber der Bild-Zeitung (Spiegel zitiert), derzeit bestehe seine Küstenwache „aus vier alten Patrouillenbooten, die eigentlich gar nicht für die Rettung Schiffbrüchiger ausgelegt sind.“ Trotzdem hätten die Libyer seit Jahresbeginn knapp 12.000 Bootsflüchtlinge gestoppt. Zum Vergleich: Etwa 17.000 Migranten gelangten in dieser Zeit nach Italien. Fazit des Spiegel: „Die libysche Marine leistet also mehr und mehr das, was die EU von ihr erwartet.“

Vier alte Patrouillenboote sind also laut Spiegel die libysche Marine? So etwas quasi in einem Satz als Spiegel-Autor zusammenzubasteln, dokumentiert ein weiteres Dilemma, das man „Desinformation“ nennen könnte, das aber hinreichend beschrieben ist mit dem Begriff „Schlechtleistung“.

Nichts ist klar
Gespräch mit dem UNHCR: Wie ist die Lage Libyen?
Wenn die EU eine Mission unter Beteiligung mehrer europäischer Marine-Einheiten ins Mittelmeer entsendet, die dann auch noch den Namen einer Neugeborenen von Schiffbrüchigen bekommt, wenn diese Mission den Auftrag hat Schleusernetzwerke zu zerstören und die libysche Marine aufzubauen, und wenn das Ergebnis dieser Bemühungen tatsächlich vier marode Boote sein soll, dann kann man mit einiger Sicherheit sagen, das hier etwas gründlich schief läuft. Italien hat nun die Schiffe der Operation in die italienischen Häfen zurückbeordert.

Wenn die europäische Marine in Mission lediglich noch ausläuft, um die von NGO-Booten gesichteten und erstversorgten Schlauchboot-Passagiere nahe der libyschen Küste aufzunehmen, dann sind die Marineeinheiten der europäischen Staaten Erfüllungsgehilfen der Nichtregierungsorganisationen geworden. Operation Sophia kommt ihrem eigentlichen Auftrag nicht nach, Italien macht nicht mehr mit. Italien schließt seine Häfen für derartige Migratentransfers.

Wie sehr das alles aus dem Ruder gelaufen ist, dokumentiert nun ausreichend auch die aktuelle, die so falsche Headline des Tagesspiegels: „EU-Staaten wollen „Sophia“-Seenotrettung im Mittelmeer reformieren“.

„“Sophia“-Seenotrettung“? So eine Mission gibt es nicht. Es gibt die Pflicht von Schiffen auf dem Meer Menschen aufzunehmen, die in Seenot sind. Eine unter Seeleuten nicht verhandelbare Hilfestellung. Die libysche Küstenwache leistet hier nach Angaben ihres Regierungschefs fast ebenso viel wie die Marine der EU. Und die Libyer machen es mit vier alten Patrouillenbooten. Was wäre erst, wenn die EU endlich tut, was sie behauptet, längst zu erledigen? Wenn sie, wie es auch die deutsche Kanzlerin erklärt hat: Die libysche Küstenwache ausbildet? Wenn endlich auch die Seenotleitstelle von Rom nach Libyen verlegt wird? Aber was macht Europa? Private Organisationen machen in deutschen Städten mobil mit diversen Seebrücken-Aktionen. Ihre Helfer skandieren auf den Marktplätzen: „Seebrücke statt Seehofer”, Kritiker werden Mörder genannt.

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