Alexander Wallasch: Sie zeigen in Facebook viel von Ihrem Privatleben bis hin zur Mutterbrust an der Sie als Säugling selig saugen. Andere Bilder zeigen Ihre Eltern zwar im Kontext Tannenbaum und Familie, aber doch auf eine Weise, dass man die beiden durchaus als Hippies bezeichnen könnte – Ihre Mutter ist da zu sehen als klassisch moderne Kurzhaar-Schönheit der 1970er Jahre.
Jan-Heie Erchinger: Finde ich auch: So ein bisschen der Eindruck als würde man Urlaub machen in Paris.
Waren Ihre Eltern Existentialisten?
Nein, aber sie haben sich im Studium kennengelernt und da waren auch ein paar Hippies mit drumherum. Gleichzeitig waren sie ganz normal, haben ihre Berufe gemacht. Aber ich finde, alleine schon, dass sie in den Libanon gegangen sind und dann dort in einem Waisenhaus gearbeitet haben, wo ich dann gezeugt wurde, das ist schon ein bisschen hippiehaft und abgefahren.
Unterhalten wir uns heute auch über solche Verwerfungen in der Welt an denen Ihre Eltern nicht ganz unschuldig sind?
(Lacht) Genau!
Ich habe vorhin jemanden getroffen auf der Straße, der war vollkommen begeistert von Angela Merkel und dem Corona-Management dieser Regierung …
Kritiker der Kritker sagen, die AfD sei ja nur auf das Thema Corona gegangen, weil sie eines brauchten, nachdem die Massenzuwanderung erledigt war …
Ja, das wird gerne so instrumentalisiert, dass man sagen kann: Hier wir, dort die Bösen. Bestimmt sogar gibt es in der AfD Leute, die da strategisch denken und sagen: Wir gehen da mit drauf. Aber letztlich muss man doch sagen, dass die Leute, die Corona-Maßnahmen kritisch gesehen haben, das sind auch sonst kritisch Denkende. Da ist eine Schnittmenge. Ich würde es der AfD überhaupt nicht zum Vorwurf machen, wenn sie bei diesem Thema auch engagiert sind als größte Opposition im Bundestag.
Die größte Schnittmenge ist hier wohl die Opposition gegen Angela Merkel. Also nicht nur gegen die Politik der Industrieabwicklung, des Atomausstiegs, der Massenzuwanderung, sondern jetzt auch noch gegen die Corona-Maßnahmen.
Mir ist wichtig zu erwähnen, ich bin ja Astmatiker und deshalb gerne auch sonst bei den Vorsichtigen. Aber das heißt ja in keinster Weise, dass ich über Leute, die kritisch, also freiheitlich interessiert und sehr sensibel auf dem Gebiet sind, wie beispielsweise auch DDR-Bürger, die damals die Mauer eingerissen haben, dass ich dann über diese Leute hart urteile, nur weil die das nicht so locker sehen. So auch, was da neulich Bundestag beschlossen wurde, wo vermeintlich die Aktivistin Rebecca Sommer irgendwelche schlimmen Sachen gemacht hat, wo wir doch mal neutral und objektiv relativieren müssen: Was ist denn diese kleinste Protestaktion gegen ein Abfackeln von Hamburg bei G-20? Es geht mir darum, die Intoleranz gegenüber Leuten, die das nicht so entspannt gesehen haben mit den Corona-Maßnahmen – und mit den wirklich mannigfaltigen Freiheitseinschränkungen die es da gibt und die ich gar nicht beurteilen will – das ist absolut nachvollziehbar, dass da Leute ein Problem damit haben. Und die dürfen und müssen dagegen demonstrieren dürfen. Aber selbst das Bundesverfassungsgericht hat jüngst eine Demonstration verboten, die sich in Richtung Querdenker usw. formieren wollte.
Lassen Sie uns uns über Ihre persönliche Situation unter den Corona-Maßnahmen sprechen: Sie sind Musiktrainer und Profimusiker …
Ich habe eine kleine private Musikschule, sehe mich aber vor allem als Künstler, ich war jahrelang auf Tour.
Was heißt „Musikschule“, was passiert da?
Ich habe hier fünf Depandancen, eine mit großem Schlagzeugraum und angeschlossenem Tonstudio. Hier wird Klavier, Gitarre, Schlagzeug, Gesang, auch Bands usw. unterrichtet. Ich beschäftige um die zwanzig Mitarbeiter, die helfen und unterrichten. Das Leben als Solo-Selbstständiger kenne ich aber noch bestens, weil ich zuvor jahrelang nur vom Live-Betrieb gelebt habe. Nun bin ich allerdings seit zehn Jahren auch als Familienvater ein bisschen häuslicher geworden.
Nochmal bitte zum Musiker Erchinger …
Was bedeute die Corona-Maßnahmen für Sie konkret? Manchmal muss man ja sogar schon überlegen, wann das eigentlich anfing.
Ich bin ein Künstler, der es durch Glück geschafft hat, etwas unberührter zu bleiben. Ich habe eine verbeamtete Frau, das hilft selbstverständlich unserer Familie immens. So tief kann ich also gar nicht fallen trotz Corona-Maßnahmen.
Nun gab es ja auch früher schon die privaten versus die staatlich subventionierten Künstler bis hoch hinauf zum Staatstheater. Erstere haben echte Probleme bekommen …
Ja, das sind die viel mehr an Freiheit interessierten unabhängigen Geister. Für mich ist das aber geradezu Voraussetzung, um Künstler zu sein. Genau diese Leute ohne doppelten Boden, die quasi wirklich mutig und radikal ihr Ding machen und auch durchziehen müssen um zu leben und ihre Ausgaben zu bestreiten, die haben einen Schlag ins Gesicht bekommen.
In den 1920er Jahren gehörte das Elend zum Künstlerdasein fast zwangsläufig dazu. Heute gibt es Künstlersozialkasse, Sozialhilfe, also auch die Elenden sind auf einem bestimmten Niveau geschützt samt Krankenversicherung usw. Aber es bleibt natürlich dabei: Corona-Maßnahmen sind schlimm für Künstler, aber sind diese Maßnahmen aus Ihrer Sicht denn wenigstens sinnvoll?
Wir beiden erdreisten uns hier einfach darüber zu debattieren. Erdreisten? Nein, es ist das Normalste darüber zu reden! Beispielsweise finde ich es viel zu pauschal zu sagen, alle Restaurants müssen geschlossen werden. Anstatt besser zu sagen: Man könnte doch da mal hingehen und gucken, wer hat denn die Chance, es richtig zu machen, wo stimmen die Hygiene-Konzepte, wie sieht es überhaupt mit Ansteckungen aus, wie kann man das noch präziser untersuchen? Es wurde aber stattddessen mit der Gießkanne verboten. Das schafft große Ungerechtigkeiten. Ich verstehe ja, dass das schwer ist für die da oben. Auch als Astmatiker verstehe ich einmal mehr, dass man möchte, dass es weniger Ansteckungen gibt. Aber als politisch Interessierter sehe ich auch, was da für unterschiedliche Prioritäten gesetzt werden. Und ich fand es auffallend negativ, dass, wo man weniger Kontakte will, die Schulen nicht geschlossen, nicht konsequenter auf Digitalunterricht gesetzt wurde. Das wurde aber nicht gemacht, weil man beispielsweise will – aus der SPD-Ideologie heraus – dass die Alleinerziehenden auf jeden Fall malochen gehen können. Das fand ich mit zweierlei Maß gemessen. Das passte hinten und vorne nicht.
Ist das der angeblichen Ausnahmesituation geschuldet? Hätte das jede andere Regierung am Ende auch vergeigt?
Wir kommen hier ganz schnell in eine Meta-Ebene. Insofern, dass die Leute, die Kritik formulieren aus welchen Gründen auch immer, pauschalisiert als Rechte ausgestoßen werden.
Sie meinen, dass man gar nicht über den einzelnen vorgetragenen Kritikpunkt sprechen muss, sondern schon mal grundsätzlich über das Recht zu kritisieren an sich?
Genau. Viele Kritiker werden doch ganz schnell den Bösen zugerechnet. Da bin ich sensibilisiert beispielweise durch Chemnitz, als Hans-Georg Maaßen entlassen wurde usw., also diese ganze Eskalation „Wir sind mehr“. Da hatte ich das Gefühl, das geht jetzt 1:1 weiter bei Corona-Kritikern. Und das obwohl ich – wie erwähnt – als Astmatiker eher bei den Vorsichtigen bin.
Glauben Sie, dass die Corona-Maßnahmen ohne den Graben durch die Gesellschaft, der ja schon vorher durch eine unterdrückte Debatte zur Massenzuwanderung entstanden ist, glauben Sie, die Corona-Maßnahmen hätten ohne dieses bereits bestehende Verwürfnis noch mehr Akzeptanz gefunden?
Ganz klar: Ohne 2015 wäre alles entspannter gewesen. Da hätten sich wahrscheinlich ganz andere Fraternisierungen ergeben.
Grundsätzlich schützen die Corona-Maßnahmen am meisten die Alten, also die naturgemäß eher konservativ eingestellten Leute. Warum bloß sind es die Konservativen, die jetzt am lautesten opponieren? Dabei ist die Kritik an staatlichen Maßnahmen per se doch eine urlinke Kritik immer da, wo es um Gängelung und Bevormundung geht. Aber selbst die Antifa schreibt auf ihre Plakate: „Impfen ist Liebe“.
Ja, das ist wirklich unglaublich. An dem Tag, als das Bundesverfassungsgericht in Bremen die Querdenken-Demo verboten hat, sind in Hamburg 2000 Leute von der Antifa in eigener Sache auf die Straße gegangen. Und das Groteske hier war, dass die wirklich suggeriert haben, sie wären auf Regierungskurs unterwegs. Und das nicht nur, weil sie die Maskenpflicht nicht in Frage gestellt haben. Aber diese in Frage zu stellen, machen ja nur die vermeintlich Rechten. Das ist surreal.
Die Linken und Linksradikalen haben überhaupt eine große Sprachlosigkeit gegenüber der Politik der Bundesregierung und gegenüber der Kanzlerin selbst entwickelt. Sprachlos wohl ohne zu realisieren, dass sie sich haben vereinnahmen lassen. Merkel ist geradezu ein Tabuthema. Sie wird nicht kritisiert. Höchstens dahingehend, dass sie ihre politische Agenda nicht noch schneller durchdrückt.
Das ist doch der klassische Beweis – auch wieder eine Meta-Ebene – für die Richtigkeit der Franz-Josef-Strauß-Warnung, dass es keine Partei rechts von der CSU geben darf. Die Integration am Rand ist versäumt worden. Das aber genau hat Merkel mit ihrer Migrationspolitik nicht mehr berücksichtigt. Und deswegen applaudiert die Antifa heute für Merkel.
Aber nochmal zurück zum Auftrittsverbot, wie fühlt sich das an als Künstler, was passiert da innerlich?
Ist das das schwedische Modell von dem die einen sagen, es hätte funktioniert, die anderen sagen nicht?
Eigentlich hatte sich das Modell längst durchgesetzt, aber bei Corona wird voll umgeschaltet auf die alte schwarze Pädagogik mit Ohrfeige.
Wobei man sich hier die Frage stellen muss, was Pädagogik überhaupt mit Regieren zu tun hat, ganz gleich ob weiße oder schwarze. Mir ist der Staat als nur angestellter Hausmeister des Volkes irgendwie das angenehmere Bild … Aber sagen Sie bitte, wie elementar sind diese Corona-Maßnahmen über die finanziellen Einbußen hinaus?
Nicht mehr auftreten zu können ist tatsächlich wie ein Berufsverbot. Der Künstler lebt doch vom Direktkontakt. Lebt vom Applaus. Vom in die Gesichter schauen, während man etwas performed. Das ist komplett weggebrochen.
Das muss dem Konzert-begeisterten Zuschauer fast ebenso gehen oder?
Klar. Das glaube ich sehr, dass Menschen, die Kunst und Musik lieben, dass diese Leute leiden.
Was ist Ihre Zukunftsperspektive?
Ich will da nicht naiv optimistisch sein. Ich denke aber, dass es spätestens 2022 wieder einigermaßen normal laufen wird. 2021 sehe ich aber ab Sommer schon größere Auftritte, aber noch unter Corona-Maßnahmen. Der Winter 2021 wird interessant sein. Und da frage ich mich dann, warum der Staat nicht genug Impfstoff bestellt, ich habe gehört, dass die sogar was abgelehnt haben.
Da wurden ja schon einmal etliche Millionen in den Sand gesetzt, als es darum ging einen Impfstoff gegen die Schweinegrippe vorzuhalten …
Da habe ich mich übrigens sogar impfen lassen gegen die Schweinegrippe und hatte heftige Symptome drei Tage lang.
Was war da?
Ich hatte 2010 mit einer Braunschweiger Schule ein tolles Projekt über ein ganzes Jahr, ein Musical, dass ich geschrieben hatte. Und direkt zur Premiere fehlte das Schulorchester, weil die alle Schweinegrippe hatten.
Waren die wirklich krank oder war das eine Quarantäne-Maßnahme?
Die waren wirklich krank und konnten tatsächlich deshalb nicht kommen. Da hatte man auf jeden Fall die Angst, das es eine Pandemie werden könnte. Und deswegen war es das erste Mal, dass so ein Impfstoff auch ziemlich hektisch übers Knie gebrochen und verabreicht wurde. Ich habe ihn damals bekommen. Ich war drei Tage wie in einem üblen Grippefilm. Ich fühlte mich absolut krank über diese Tage.
Haben Sie sich dennoch weniger krank gefühlt, als die wirklich Erkrankten?
Das weiß ich nicht, aber ich musste keine Angst mehr haben, zu erkranken. Ich bin ja wie gesagt Atemwegserkrankter.
Kommen wir nochmal zu dieser künstlich erzeugten Hektik, so wirkt es ja schon lange in der Politik: Die Debatte wird abeschnitten, weil angeblich keine Zeit mehr für lange Erörterungen ist, sonst geht die Welt unter oder es passiert sonst etwas Schlimmes. Diese Hektik ist ja zunehmend Argument, demokratische Prozesse auszusetzen, den elementar wichtigen Streit auszusetzen. Dieser unbedingte und 5-nach-12-Handlungsbedarf – so erscheint es mir jedenfalls – wird schon deshalb erzeugt, um sich der Debatte zu entledigen. Man ermächtigt sich quasi mit dem drohenden Weltuntergang oder Untergang der Menschheit …
Absolut. Man kann es auch kürzer ausdrücken: Politik der Angst. Psychologisch ist es so, wenn ich beispielsweise an Mobbing denke, wenn ich in der Klasse einem Schüler immer wieder sage: „Du reagierst ja immer nur brutal, du kannst ja nur Gewalt!“ Sage ich ihm das immer wieder, dann wird der irgendwann so. Eine zwangsläufige Radikalisierungsschleife.
Künstler und Musiker sind ja schon traditionell großteils links. Ist das nicht ein großes Dilemma, sich jetzt gegenüber Merkels Politik aufstellen zu müssen?
Exakt. Wer hier protestiert, wird auf einmal rechts zugeordnet. Das will aber keiner von denen, die sonst Fahrrad fahrende Grüne sind in allen anderen Themen. Das hat viele tatsächlich tief verunsichert. So – um auch das Positive zu erwähnen – hat Corona auch Schwierigkeiten offenbart wie diese politische Zwickmühle. Da wurden Menschen hellhörig, die noch bei Chemnitz kein Problem hatten, sich zu positionieren im Sinne von „Wir sind mehr“ und die anderen sind alle rechte Arschlöcher. So schnell geht das dann. Und ich weiß das aus vielen persönlichen Gesprächen, deshalb habe ich auch so viel Hoffnung: Viele Leute sehnen das Ende der Merkel-Ära herbei.
Das allerdings tun sie doch schon seit 2013 oder 2014, der Kaiser will einfach nicht sterben. Aber noch mal zurück: Ich möchte mal zwei Bilder beschreiben: Einmal ein Konzert in einer großen Halle, enger Körperkontakt, wogende Massen, fast brutale Nähe, Schweiß, kollektiver Rausch und Gesang. Und dann ein Konzert in einem Autokino mit hupenden Autos anstatt Applaus.
Ein Horror. Aber ich will da nicht den Stab drüber brechen, wie notwendig oder nicht diese Maßnahmen waren oder sind. Was auf jeden Fall nicht in Ordnung war und ist, die Kritiker so fertig zu machen. Das ist der große Sündenfall genau wie in der Migrationsdebatte.
Die entscheidende Frage hier: Ist es „nur“ wieder passiert oder hat der Staat sich die Erfahrungen aus der Migrationsdebatte gar zu nutze gemacht und gezielt diffamiert? Ist es wieder passiert, weil sie nichts gelernt haben oder gerade weil sie etwas gelernt haben?
Ganz sicher denken einige Politiker so marketing-politisch. Planvoll und am Machterhalt orientiert. Da wird dann so oft in eine Richtung denunziert, bis es die Leute auf der Straße alle glauben.
Zum Schluss nochmal zurück in Ihre Musikschule. Was hat sich unter Corona für Sie konkret geändert. Was gibt es Positives, was Negatives zu berichten?
Ich bin quasi gezwungen worden, mal wirklich den digitalen Unterricht über Monate zu praktizieren. Und ich habe dabei viel gelernt. Gefreut habe ich mich beispielweise darüber, dass unsere Technik schon so weit ist mit WhatsApp, Facetime, Video, Zoom, Skype usw. Ich hatte mir schon im März auch einen Zoom-Raum gekauft, den ich viel nutze und wo ich auch Seminare über mehrere Stunden durchführen kann. Ich unterrichte an der Ostfalia, einer Hochschule für angewandte Wissenschaften, Fachgebiet Musik in der sozialen Arbeit. Das ging jetzt zwei Semester nur Online, hat aber mit Zoom super funktioniert. Niemals hätte ich mich dieser Herausforderungen ohne Corona gestellt. Das muss ich einfach zugeben. Aber bleiben wir bei der Wahrheit: Gemeinsames Musizieren funktioniert mit Zoom leider nicht. Wenn ich singe und andere singen mit, ist das mit meinen Programmen technisch nicht optimal synchronisierbar.
Wie viele Einbußen gab es? Welche Förderungen haben Sie in Anspruch genommen?
Meine Steuerberaterin hat schon gesagt, dass ich eine Menge weniger verdient habe. Förderungen habe ich keine bekommen und keine in Anspruch genommen. Ich mache erst einmal so weiter.
Vielen Dank für das Gespräch.