Ein Sprecher des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat dem Autor dieses Artikels umfangreich auf dessen Fragen geantwortet, woraufhin ein Artikel auf TE erschien, in dem diese Antworten zitiert werden. Waren es vielleicht zu ausführliche Antworten? Jedenfalls könnte die Reaktion des Bundesinnenministeriums, in dessen Geschäftsbereich die Bundesoberbehörde Bamf gehört, solch eine Vermutung nahelegen, wenn die Wiedergabe dieser Antworten jetzt via Twitter als „Falschmeldung“ bezeichnet wird. Ein recht merkwürdiger Weg. Denn es wäre wohl zunächst einfacher und naheliegender gewesen zu erklären, dass es eine Falschmeldung aus der Pressestelle des Bamf war. Wenn es denn eine wäre.
Ein Sprecher des Bamf und der Autor haben sich viel Zeit genommen – in Telefonaten und Emails. Der Autor fragte zu Asylbescheiden aus dem Bamf: „Könnten Sie mir bitte noch sagen, (…) was Sie genau mit diesem Satzteil meinen: „und wird jedenfalls bis auf Weiteres ablehnende Bescheide nicht zustellen“. Heißt das, dass es keine ablehnenden gibt oder heißt das, dass sehr wohl welche abgelehnt wurden und diese nun zurückgehalten werden?“
Jener Sprecher bedankte sich für die Nachfragen, war in seiner Antwort erneut recht umfangreich, verwies auf weitere Ansprechpartner im „Bundesinnen- und Gesundheitsministerium“ samt Kontaktdaten und antwortete auf besagte Frage: „Zu Ihrer letzten Nachfrage: Wie bereits ausgeführt, konzentriert sich das Bundesamt derzeit im Asylbereich auf Entscheidungen nach Möglichkeit ohne Durchführung von Anhörungen.“
Es wird also entschieden: ohne Anhörungen.
Weiter schreibt ein Sprecher, dass Anhörungen wieder erfolgen, „sobald dies auf Grund der Corona-Pandemie wieder möglich ist.“ Und weiter: „Das Bundesamt wartet die weitere Entwicklung der infektionsschutzrechtlichen Vorgaben ab und wird seine Anhörungspraxis bei Bedarf hieran anpassen.“ Irgendwann also will man zur Vor-Corona-Praxis in Sachen Anhörungen und Entscheidungen zurückkehren.
Abschließend erklärt ein Sprecher: „Das Bundesamt ist sich bewusst, dass es auf Grund der Corona-Pandemie und der zur Verhinderung einer weiteren Verbreitung ergriffenen Maßnahmen schwierig sein kann, eine Rechtsberatung oder anwaltliche Vertretung in Anspruch zu nehmen. Daher hat das Bundesamt in Abstimmung mit dem Bundesinnenminister und den Bundesländern entsprechend reagiert und wird jedenfalls bis auf Weiteres ablehnende Bescheide nicht zustellen.“
TE berichtet und zitiert diesen letzten Abschnitt im Wortlaut. In der Überschrift unseres Artikels haben wir das „…bis auf Weiteres…“ übernommen. Sie lautet: „Asylbewerber erhalten bis auf Weiteres keine ablehnenden Bescheide“.
Doch das Bundesinnenministerium (BMI) twittert quasi über die Köpfe der Bamf-Kollegen hinweg: „Falschmeldung!“ Das ist aber seinerseits falsch, denn ein Sprecher des Bamf selbst hat ja, was jetzt als Falschmeldung bezeichnet wird, als offizielle Antwort abgeliefert.
Später, nach dem Tweet des BMI und vielen Antworten von Twitterern, die nicht erkennen können, was denn an der TE-Meldung falsch wäre, meldet sich das Bamf:
Das Falsche an der TE-Nachricht soll also der Unterschied zwischen „zustellen“ und „ausstellen“ oder „erteilen“ sein? Der Unterschied dürfte allenfalls eine spitzfindige Nuance sein. Denn ein Bescheid, der zwar in der Schublade eines Amtszimmers liegt, aber dem Betroffenen (noch) nicht zugestellt wird, ist ebensowenig rechtswirksam wie ein Bescheid, der (noch) nicht existiert. So heißt es in Paragraf 43 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (Bund): „Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird.“ An keiner Stelle in dem TE-Artikel wird aber behauptet, dass ablehnende Asylbescheide für immer nicht mehr erteilt oder aus- oder zugestellt werden. Sondern: „bis auf Weiteres“, „derzeit“, „zur Zeit“, „für unbestimmte Zeit“, „in der Corona-Krise“.
Falsch ist an der Meldung von TE also nichts.
Interessant ist der Fall aber auch deshalb, weil es hier im Kern um die Aussetzung der Anhörungen im Asylverfahren wegen der Corona-Pandemie geht.
Zwar haben diese Anhörungen laut Bamf die Aufgabe, Widersprüche erkennbar zu machen. Aber sie haben auch noch eine weitere Funktion: Sie geben dem Asylbewerber die Gelegenheit, seine Geschichte zu erzählen, also mögliche Unklarheiten seinerseits auszuräumen. Wenn diese Anhörungen nun entfallen, dann steigt demnach die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem ablehnenden Asylbescheid anwaltlicher Widerspruch Erfolg hat.
Also passiert nun, was wir berichtet haben und was ein Sprecher uns mitgeteilt hat: Das Bundesamt konzentriert sich derzeit „im Asylbereich auf Entscheidungen nach Möglichkeit ohne Durchführung von Anhörungen.“ Und weiter: Das Bundesamt „wird jedenfalls bis auf Weiteres ablehnende Bescheide nicht zustellen.“
Eine Kausalität. Das eine bedingt das andere.
Der Versuch, nun aus dem BMI via Twitter die Antworten aus dem Bamf bzw. die TE-Veröffentlichung als „Falschmeldung“ zu diffamieren, ist haltlos. TE hat gefragt. Ein Sprecher im Bamf hat umfangreich und freundlich geantwortet. TE hat diese Antworten in seiner Berichterstattung abgebildet. Alles so, wie man es erwarten darf und muss. Herr Seehofer und BMI: Sie sind dran. Wir warten und hören.