Nach einem veritablen politischen Sommerschlaf wird der Bundesinnenminister Horst Seehofer kurz vor Weihnachten plötzlich hyperaktiv. Zu den täglichen Nachrichten gehören seit ein paar Wochen eine Reihe von Warnungen Seehofers, die jede für sich genommen den Eindruck erwecken, da sei einer auferstanden, hätte sich anschließend vor seiner komfortablen Höhle umgeschaut und dann empört das Brüllen angefangen.
Nun hätten sich viele Bürger dieses Landes in den vergangenen Jahren tatsächlich so einen lautstarken Gegenpart zur Willkommenspolitik der Bundeskanzlerin in der Zuwanderungsdebatte gewünscht. Diese Menschen sind aber von den Scheinangriffen und den wiederholten Rückzugsbewegungen eines zum Schluss auf der Regierungsbank nur noch sediert wirkenden Bundesinnenministers schwer enttäuscht worden. Aber kann es sein, dass Seehofer nur seine Strategie geändert und sich im Stillen heimlich neu aufmunitioniert hat?
Aber der Reihe nach: Offensichtlich aufgeweckt wurde der vermeintlich sanfte Riese von der Rückkehr eines bereits erfolgreich abgeschobenen und mittlerweile erneut abgeschobenen Clan-Chefs. Der Tagesspiegel kommentierte die Reaktion Seehofers auf diese Rückkehr damals so: „Seehofer wirkt nun wie der Zyklop, als ihn Odysseus foppte. Stark und wütend, aber blind und machtlos.“
Machtlos wohl in sofern, als das der Innenminister zwar im Windschatten der Dublin-Bestimmungen für eine verstärkte Schleierfahndung und weitere heimliche Grenzkontrollen plädierte, aber dafür eigentlich gar keine Mitarbeiter bei der völlig überlasteten Bundespolizei zur Verfügung hat, die diese Aufgaben bewerkstelligen hätten können. Aufgaben, die im Übrigen alles andere als eine Gewähr dafür gewesen wären, als dass massenhafte illegale Einreisen nicht mehr möglich wäre, wenn so ein neues Sieb kein Stopfen und Nadelstiche eben nur Nadelstiche bleiben unanbhängig von ihrer Stichzahl.
Wie viele Pläne und Masterpläne zur Verhinderung weiterer illegaler Migration hat Seehofers Ministerium eigentlich in den letzten Jahren auf den Weg gebracht ohne das sich im Land etwas verändert hätte? Wer einmal die Suchmaschinen im Internet nutzt, der wird überrascht sein, wie oft sich Seehofer schon zu unterschiedlichsten Aspekten der Massenzuwanderung zu Wort gemeldet hat und wie wenige seiner Vorschläge letztlich tatsächlich umgesetzt wurden. In jedem erfolgreichen Unternehmen wäre die so lahmgelegte Planungs- und Entwicklungsabteilung freiwillig zurückgetreten.
Weil der Bürger um diese Lippenbekenntnisse Seehofers weiß, war der Schreck entsprechend groß, als der Bundesinnenminister Anfang Oktober davor warnte, dass womöglich noch mehr Flüchtlinge kämen als schon 2015 auf einen Schlag gekommen sind. Und dann brach Horst Seehofer mit einem über die letzten Jahre etabliertem Tabu, als er die Migration zum wichtigsten Thema der Gegenwart erklärte, wo sich doch Politik und Medien seit Beginn der Massenzuwanderung mit allen Mitteln darum bemühen, Umfragen zu liefern, die belegen sollen, dass dem Bürger ganz andere Themen viel wichtiger seien, insbesondere der Klimawandel und der Kampf gegen die identifizierten Verursacher dieses Wandels.
Aber was konkret will Seehofer dann in Brüssel? Anfang Oktober sagt er gegenüber der Bild am Sonntag: „Wir müssen unseren europäischen Partnern bei den Kontrollen an den EU-Außengrenzen mehr helfen. Wir haben sie zu lange alleine gelassen. Wenn wir das nicht machen, werden wir eine Flüchtlingswelle wie 2015 erleben – vielleicht sogar noch eine größere als vor vier Jahren.“ Jetzt kann das ja nicht das düstere Orakel eines alten weißen Mannes sein. Horst Seehofer muss doch in seinem Ministerium eine Reihe exzellenter Analysten haben, die ihm da etwas Apokalyptisches souffliert haben. Die Lage scheint also mehr als ernst, wenn der Minister mit Kanonen schießt.
Über einen Monat später sagt Seehofer nun in Brüssel, Sicherheit begänne an den Grenzen. Sätze wie Kanonnendonner? Sicher alles andere als das. Wer sagt, was jeder schon weiß, der kann damit nur dort punkten, wo das offene Wort verboten ist. Seehofer hat Pläne zur Reform des europäischen Asylsystems, damit will er in den Griff bekommen, was er vor Wochen als große Bedrohung an die Wand gemalt hat. Es geht ihm also gar nicht darum, endlich effektiv die deutschen und die europäischen Grenzen zu schützen, sondern darum, illegale Migration via Reform des EU-Asylsystems zu einer legalen Migration zu machen.
Die Welt präsentiert ihren Lesern anschließend eine recht eigenwillige Interpretation der Wirkmacht jener Reformpläne, die Seehofer in seiner Aktentasche mit nach Brüssel geschleppt hat:
„Dass am Montag keiner der versammelten Minister seine Totalablehnung erklärte, ist schon ein kleiner Etappenerfolg für den deutschen Reformplan. Der besteht nämlich aus drei Elementen, die allesamt schon in der Vergangenheit diskutiert wurden und nie auch nur ansatzweise zustimmungsfähig waren. Das Neue besteht in der untrennbaren Verknüpfung dieser Elemente.“
Das Neue ist also dreifach das Alte, das nur so miteinander verknüpft wurde, dass die Zustimmung zu einem Element eben auch die zu allen anderen bedeutet. Eine Verkleisterung, wie wir sie zur Genüge aus dem deutschen Bundestag kennen, wenn beispielsweise zu nächtlicher Stunde im Windschatten von bedeutungslosen Entwürfen immanent wichtige Gesetze durchgewunken werden. Oder wenn Gesetzespakete so fest verschnürt werden, dass die Tretminen erst sichtbar werden, wenn der Bürger diese Pakete dort, wo er zu Hause ist aufschnüren und also damit leben darf, was ihm aufgetischt wurde.
Seehofer möchte an der EU-Außengrenze künftig eine verpflichtende Vorprüfung. Er möchte die positiv geprüften dann auf die Staaten verteilen nach Quote. Und drittens soll nach dieser quotierten Verteilung die Weiterwanderung innerhalb Europas unterbunden werden, „weil die verteilten Flüchtlinge nur noch im zugewiesenen Staat Sozialleistungen erhielten.“
Ein bemerkenswerter Satzteil, der gleich in zweierlei Hinsicht einer Offenbarung gleichkommt, wenn hier zum einen quasi offiziell bestätigt wird, dass die Höhe der Sozialleistungen der wesentliche Pullfaktor ist und wenn weiterhin im Murmeltiermodus von „Flüchtlingen“ die Rede ist und schon damit deutlich wird, wie wenig ernsthaft man tatsächlich an einer Lösung interessiert ist, die über der Nachricht als Sedativum für die Bevölkerung hinausragt.
Da mussten mutmaßlich sogar die Redakteure der Welt grinsen, die zuvor noch ein paar der Seehofer-Kröten klaglos runtergewürgt hatten, als sie sich erinnerten, das die Staaten an den Außengrenzen gar kein Interesse daran haben, die so genannte Sekundärwanderung innerhalb der EU zu unterdrücken, weil doch eben diese dafür sorgt, dass der überwiegende Teil der Menschen einfach nach Deutschland weiterwandert.
Spaniens, Italiens, selbst Frankreichs nationale Asylverhinderungspolitik basiert auf diesem Sachverhalt, wenn einfach nicht registriert und munter weiter nach Deutschland durchgewunken wird. Und was noch viel gravierender ist, steht in keinem Papier: Sind diese Menschen alle erst einmal in Deutschland, dann zieht es sie keineswegs nach Thüringen aufs leere Land zur fröhlichen Neubesiedlung oder hin zu den Leerständen und Billigmieten beispielsweise im Harz, die mehrheitlich jungen muslimischen Männer zieht es auch innerhalb von Deutschland in die viel versprechenden Großstädte hin zu den verheißungsvollen innerstädtischen Parellelgesellschaften, wo beispielsweise das Erlernen der deutschen Sprache gar keinen Sinn mehr macht, weil sie dort nicht gesprochen wird, außer auf dem Amt, aber da hat es sich als nützlich erwiesen, so zu tun, als versteh man nichts um alles zu bekommen.
Seehofer hofft nun auf das (Ein-)verständnis seiner europäischen Kollegen. Aber wie kommt der Bundesinnenminister eigentlich drauf, auf so etwas zu hoffen, wo es den Nachbarstaaten wie den Zuwanderern doch nur um eines geht: um von Deutschen erarbeitetes Geld. Um die Schüttelbewegung der deutschen Europuderdose, die sich noch immer wie durch ein Wunder und wie der heiße Brei von selbst gefüllt hat. Ein Puderzucker-Wintermärchen 365 Tage im Jahr.