Die Familiengeschichte des französischen Historikers und Autors Georges Bensoussan gleicht jener der meisten jüdischen Familien in Europa: Verfolgung, Ausgrenzung, Flucht und Vertreibung – der finalen Vernichtung in einem der Vernichtungslager der Deutschen entging die Familie. Vor ihrer Auswanderung nach Frankreich lebte die Familie über viele Generationen in Marokko.
In Frankreich wurde Bensoussan 2017 freigesprochen, nachdem ihm „Provokation zum Rassenhass“ vorgeworfen wurde, als er öffentlich erklärt hatte: „Es ist eine Schande, dieses Tabu aufrechtzuerhalten, zu wissen dass in den arabischen Familien in Frankreich, und die ganze Welt weiß es, aber keiner will es sagen, man den Antisemitismus mit der Muttermilch einsaugt.“
Der Autor gab jetzt der Jüdischen Allgemeinen ein Interview, in dem er über muslimischen Antisemitismus, Islamismus und Terror sprach. Ein Interview, das damit auffällt, das Bensoussans Kritik noch schärfer geworden ist. Gleich zu Beginn kritisiert er das französische Establishment selbst, das einen „Neusprech“ installiert hätte, der „darauf abzielt, die Wirklichkeit hinter Worten zu verschleiern, die das exakte Gegenteil dessen meinen, was sie sagen.“
Der Autor nennt Beispiele: So würden arabische No-Go-Areas im Neusprech jetzt „sensible Viertel“ genannt werden oder „prioritäre Bildungsbezirke“. Weiter kritisiert er, was auch in Deutschland für Diskussionen im Zusammenhang mit der Massenzuwanderung ab 2015 sorgte, wenn der Autor hinter behaupteten „Facharbeitern“ „gerade keinerlei fachliche Spezialisierung“ erkennt und beispielsweise mit dem Wort „Sozialpläne“ wenig anfangen kann, wenn damit doch nur gemeint sei, das die betroffenen arabischstämmigen Familien in Frankreich in dauerhafte Erwerbslosigkeit und also in ein antisoziales Prekariat übergingen.
Der Vorwurf Bensoussans ist elementar, wenn er unter anderem der politischen Klasse seines Landes vorwirft, diese übe sich, „was den Antisemitismus anbelangt, in Toleranz und Nächstenliebe, um Juden im Namen des Antirassismus abzulehnen.“ Damit wäre dann also auch das Establishment antisemitisch – aus Angst vor Arabischstämmigen.
Was Bensoussan da behauptet, ist in der Tat streckenweise schwer zu verdauen, wenn er beispielsweise meint zu wissen, die nächste Revolte in diesen Vierteln würde zum Aufstand werden. Und anstelle von Molotowcocktails würden Kriegswaffen eingesetzt werden. Das ist starker Tobak, das weiß auch Bensoussan. Aber ein zunehmender Handel mit Kriegswaffen in Frankreich sei bekannt. Diese Kenntnis jedoch würde, so der Autor weiter, bei Politik und Sicherheitskräften lediglich die Verleugnung fördern.
Auf der psychologischen Deutungsebene ist für Bensoussan klar, was da gerade in Frankreich passiert: „Diese schleichende Tyrannei, diese Überwachung der Sprache nährt in der öffentlichen Meinung eine Form von kollektiver Depression.“ Nur in Frankreich? Nein, für Bensoussan ist das schon ein europäisches Problem, wenn so ein anhaltendes Schweigen depressiv macht: „Ich bin überzeugt, dass die stumme Depression, die diese Leute zermürbt, mit dem Schweigen zusammenhängt, das über jedes Wort verhängt wird, das nicht mit den Dogmen des Überbaus konform geht.“
In den letzten Jahren wurde in der europäischen und der Weltpresse viel darüber berichtet, dass Juden aus Frankreich auswandern wollen. Weniger wurde darüber geschrieben, wie viele jüdische Familien bereits innerhalb von Frankreich einen Ortswechsel vorgenommen haben. Die Juden, so Bensoussan, würden sich in geschütztere Wohnviertel zurückziehen: „Beispielsweise sind aus dem Département, das die meisten Probleme aufweist – Seine-Saint-Denis im Norden von Paris – in den vergangenen zehn Jahren 80 Prozent der Juden weggezogen.“
Ein Fazit Georges Bensoussans geht dann so: „Die Ursache, den Antisemitismus, leugnet niemand. Tabu jedoch sind die Antisemiten. Man ehrt die toten Juden, um die lebenden besser vergessen zu können. Es ist die pathetische Show einer angesagten Niederlage, in der sich Leugnung und Feigheit vereinen.“