Tichys Einblick
"Wirklichkeit hinter Worten verschleiern"

Historiker Bensoussan beklagt den verleugneten arabischen Antisemitismus

Der französische Historiker Georges Bensoussan erkennt im Interview mit der Jüdischen Allgemeine eine Öffentlichkeit und eine politische Klasse, die ein "Neusprech" installiert. So werde die Wirklichkeit der Vorstädte schöngeredet. Arabischer Antisemitismus sei tabu.

imago images / Leemage

Die Familiengeschichte des französischen Historikers und Autors Georges Bensoussan gleicht jener der meisten jüdischen Familien in Europa: Verfolgung, Ausgrenzung, Flucht und Vertreibung – der finalen Vernichtung in einem der Vernichtungslager der Deutschen entging die Familie. Vor ihrer Auswanderung nach Frankreich lebte die Familie über viele Generationen in Marokko.

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Bensoussan beschäftigt sich seit Jahrzehnten intensiv mit der Geschichte der Juden unter arabischer Herrschaft. Und die ist ganz und gar nicht von Harmonie geprägt. Die historische Toleranz gegenüber dem Judentum in der islamischen Welt ist nur eine heutzutage weit verbreitete Behauptung, wenn man seinem Buch „Die Juden der arabischen Welt“ folgt. Der Deutschlandfunk titelte im August 2019 in einer Buchbesprechung: „Die Legende vom friedlichen Zusammenleben“ und räumte mit der Behauptung einer „meist friedlichen Koexistenz“ auf: „Während Juden heute in Europa zunehmend einem auch islamischen Antisemitismus ausgesetzt sind, hält sich die Vorstellung, dass einst im maurischen Spanien eine friedvolle Koexistenz der Religionen und Kulturen bestanden habe.“

In Frankreich wurde Bensoussan 2017 freigesprochen, nachdem ihm „Provokation zum Rassenhass“ vorgeworfen wurde, als er öffentlich erklärt hatte: „Es ist eine Schande, dieses Tabu aufrechtzuerhalten, zu wissen dass in den arabischen Familien in Frankreich, und die ganze Welt weiß es, aber keiner will es sagen, man den Antisemitismus mit der Muttermilch einsaugt.“

Der Autor gab jetzt der Jüdischen Allgemeinen ein Interview, in dem er über muslimischen Antisemitismus, Islamismus und Terror sprach. Ein Interview, das damit auffällt, das Bensoussans Kritik noch schärfer geworden ist. Gleich zu Beginn kritisiert er das französische Establishment selbst, das einen „Neusprech“ installiert hätte, der „darauf abzielt, die Wirklichkeit hinter Worten zu verschleiern, die das exakte Gegenteil dessen meinen, was sie sagen.“

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Die „öffentliche Meinung“ tue, so der Historiker, alles dafür, den verbreiteten Antisemitismus der Arabischstämmigen in Frankreich unter der Decke zu halten. Schlimmer noch: Die falschbehauptete Nichtexistenz eines solchen soll Ergebnis eines gesunden Menschenverstandes sein. Gehirnwäsche?

Der Autor nennt Beispiele: So würden arabische No-Go-Areas im Neusprech jetzt „sensible Viertel“ genannt werden oder „prioritäre Bildungsbezirke“. Weiter kritisiert er, was auch in Deutschland für Diskussionen im Zusammenhang mit der Massenzuwanderung ab 2015 sorgte, wenn der Autor hinter behaupteten „Facharbeitern“ „gerade keinerlei fachliche Spezialisierung“ erkennt und beispielsweise mit dem Wort „Sozialpläne“ wenig anfangen kann, wenn damit doch nur gemeint sei, das die betroffenen arabischstämmigen Familien in Frankreich in dauerhafte Erwerbslosigkeit und also in ein antisoziales Prekariat übergingen.

Der Vorwurf Bensoussans ist elementar, wenn er unter anderem der politischen Klasse seines Landes vorwirft, diese übe sich, „was den Antisemitismus anbelangt, in Toleranz und Nächstenliebe, um Juden im Namen des Antirassismus abzulehnen.“ Damit wäre dann also auch das Establishment antisemitisch – aus Angst vor Arabischstämmigen.

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Für Bensoussan haben „ein Teil der Medien und der Politiker“ große Furcht davor, offen auszusprechen, dass die Lage explosiv ist. Niemand wolle in Frankreich riskieren, dass die Vorstädte, die so genannten „Banlieues“, die von arabischen Familien dominiert werden, explodieren. Seine Kritik richtet sich dabei übrigens sowohl gegen rechte wie linke Strömungen der politischen Klasse in Frankreich. Beiden gemeinsam sei nämlich, dass sie alle eine Neuauflage der wochenlangen Ausschreitungen von 2005 fürchteten, die drei Wochen andauerten und sich 2007 noch einmal wiederholten.

Was Bensoussan da behauptet, ist in der Tat streckenweise schwer zu verdauen, wenn er beispielsweise meint zu wissen, die nächste Revolte in diesen Vierteln würde zum Aufstand werden. Und anstelle von Molotowcocktails würden Kriegswaffen eingesetzt werden. Das ist starker Tobak, das weiß auch Bensoussan. Aber ein zunehmender Handel mit Kriegswaffen in Frankreich sei bekannt. Diese Kenntnis jedoch würde, so der Autor weiter, bei Politik und Sicherheitskräften lediglich die Verleugnung fördern.

Auf der psychologischen Deutungsebene ist für Bensoussan klar, was da gerade in Frankreich passiert: „Diese schleichende Tyrannei, diese Überwachung der Sprache nährt in der öffentlichen Meinung eine Form von kollektiver Depression.“ Nur in Frankreich? Nein, für Bensoussan ist das schon ein europäisches Problem, wenn so ein anhaltendes Schweigen depressiv macht: „Ich bin überzeugt, dass die stumme Depression, die diese Leute zermürbt, mit dem Schweigen zusammenhängt, das über jedes Wort verhängt wird, das nicht mit den Dogmen des Überbaus konform geht.“

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Der Autor wundert sich, wenn, wie jüngst geschehen, sich die „UN-Sonderberichterstatterin für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus“ einmischt und ein französisches Gesetz, das sich gegen Terrorakte richtet, als antimuslimisch bezeichnet. Bensoussan fordert dazu auf, weiterzudenken, wenn er dazu ebenso nüchtern wie bissig sagt: „Das Gesetz diskriminiert nicht Muslime, es richtet sich gegen Terroristen. Es ist nicht die Schuld des Gesetzgebers, dass diese Terroristen Muslime sind.“

In den letzten Jahren wurde in der europäischen und der Weltpresse viel darüber berichtet, dass Juden aus Frankreich auswandern wollen. Weniger wurde darüber geschrieben, wie viele jüdische Familien bereits innerhalb von Frankreich einen Ortswechsel vorgenommen haben. Die Juden, so Bensoussan, würden sich in geschütztere Wohnviertel zurückziehen: „Beispielsweise sind aus dem Département, das die meisten Probleme aufweist – Seine-Saint-Denis im Norden von Paris – in den vergangenen zehn Jahren 80 Prozent der Juden weggezogen.“

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Hier wäre es allerdings interessant gewesen, zu wissen, ob hier nicht auch nichtjüdische Familien in großer Zahl das Weite suchen, die Problematik also noch auszuweiten wäre. Womöglich fällt es bei jüdischen Familien nur noch mehr auf, wenn diese, wie Bensoussan erzählt, neue jüdische Viertel gründen: „In Paris ist beispielsweise das 17. Arrondissement im Nordwesten der Stadt in den vergangenen Jahren zum bedeutendsten jüdischen Viertel Frankreichs geworden, mit 40.000 Einwohnern, einer Vielzahl koscherer Lebensmittelläden, Metzgereien und Restaurants.“

Ein Fazit Georges Bensoussans geht dann so: „Die Ursache, den Antisemitismus, leugnet niemand. Tabu jedoch sind die Antisemiten. Man ehrt die toten Juden, um die lebenden besser vergessen zu können. Es ist die pathetische Show einer angesagten Niederlage, in der sich Leugnung und Feigheit vereinen.“

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