Das ist schon ein kurioses Zusammentreffen, wenn die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker ausgerechnet in jenem Moment für die Wahl zur besten Bürgermeisterin der Welt (World Mayor Preis 2018) nominiert wird, als die parteilose Politikerin eine Einhundertachtziggradwende vollzieht in Sachen Integration von Muslimen in Deutschland.
Aber der Reihe nach: Als Erdogan anlässlich der Eröffnung der zentralen DİTİB-Moschee nach Köln kam, wurde er von Bürgermeisterin Henriette Reker und vom NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet am Flughafen begrüßt. Und die Mitarbeiter des türkischen Präsidenten leisteten ganze Arbeit, als sie Recep Tayyip Erdoğan via Memo etwas über Reker aufgeschrieben haben, die anschließend berichtete: „Präsident Erdogan hat mir die Hand gegeben und mich gefragt, wie es mir ginge nach dem Attentat und ob es noch irgendwelche schweren Folgen gebe. Dann hat er mir alles Gute gewünscht. Das fand ich bemerkenswert.“
Aber das war es dann schon von Seiten der Kölnerin in Sachen Freundlichkeit und Nähe gegenüber dem obersten Türken. Am Ende des Tages waren kein Ministerpräsident und auch keine Oberbürgermeisterin dazu zu bewegen, an der feierlichen Eröffnung teilzunehmen, also neben Erdogan und seinen obersten Vertreter des Islam in der Moschee Platz zu nehmen oder was immer ihnen da für Aufgaben zugedacht worden waren. Für die Integration und angesichts des Kraftaktes, mit dem ein Vorgänger Rekers diesen Moscheebau gegen eine Vielzahl von Widerständen mit durchgeboxt hat, muss man hier von einem mehrfach zerschnittenen Tischtuch sprechen.
Gegenüber der Zeitung Welt führte Reker einen für die deutsche Politik gegenüber Muslimen höchst erstaunlichen Begriff ein, wenn sie von DİTİB „Respekt“ einfordert gegenüber der deutschen Gesellschaft. „Respekt“, das war bisher eine Vokabel, reserviert für solche cineastisch aufbereiteten archaischen Migranten-Epen wie Fatih Akins „Gegen die Wand“ oder Berliner Untergangs-Serien wie Marvin Krens „4 Blocks“.
„Es mangelt bei DİTİB am notwendigen Respekt“, teilt eine enttäuschte Oberbürgermeisterin mit, die Erdogans Besuch im Vorfeld so beschrieb: „Köln wird Herrn Erdogan aushalten.“ Diplomatisch ist das wohl die maximale Untergrenze dessen, was noch vor einem echten Eklat kommen kann. Erstaunlich allerdings, auch, wer sich jetzt alles neben Reker aufschwingt, zu bemängeln, dass Erdogan diese Moschee offiziell eröffnete – immerhin ist mit DİTİB der Bauherr und Betreiber faktisch der Regierung Erdogan unterstellt. Und das wussten alle Kölner „Genehmiger“ und Entscheider lange im Vorfeld, daraus wurde auch kein Geheimnis gemacht gegenüber jenen, die dieses Bauwerk befürworteten.
Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein Westfalen hat hier übrigens ein besonders katastrophales Bild abgegeben, war es doch Armin Laschet selbst, der noch im Mai mit großem Getrommel in Aachen eine weitere DİTİB-Moschee eröffnete und dabei medienwirksam wiederholte, der Islam gehöre zu Deutschland, nur um nun in Köln zu realisieren, dass der Islam eben doch nicht der Islam ist, ohne freilich zu wissen, welchen er eigentlich meint oder befürworten würde, jedenfalls nicht den der mit 900 DİTİB-Moscheen mehrheitlich von Türken in Deutschland besuchten Ausrichtung.
Aber Reker kann mehr als nur Bekümmerung anmelden, wenn sie als Juristin spricht und bei DİTİB von einem zu prüfendem verfassungsrelevanten „Anfangsverdacht“ spricht sowie im Vorfeld des Erdogan-Besuches betont, ziemlich „reduzierte Erwartungen“ an die Rede Erdogans in Köln zu haben, allenfalls hoffte, „dass er nicht weiter spaltet.“
Aber was genau hat es nun auf sich mit diesem DİTİB? Die Geschichte türkischer Zuwanderung nach Westdeutschland und ihre Folgen funktioniert ja nur bedingt als Blaupause etwa für die Massenzuwanderung vorwiegend arabischstämmiger junger Männer seit 2015. Dennoch sind ein paar Eckdaten erinnerungswürdig, wenn man beispielsweise bedenkt, dass alleine bis 1973 annährend eine Million Arbeitnehmer aus der Türkei nach Westdeutschland einreisten und das nach dem Anwerbestopp im November 1973 über den Familiennachzug weiterhin über fünfzig Prozent der türkischstämmigen Einwohner über diesen Weg nach Deutschland kamen.
Interessant dürfte es ebenfalls sein, daran zu erinnern, dass die Bundesrepublik Deutschland zunächst überhaupt kein Interesse daran hatte, ein Anwerbeabkommen mit der Türkei zu schließen. Alleine das Begehren der Türkei selbst und ein entsprechendes Ansinnen der NATO, dessen Mitglied Westdeutschland wenige Jahre zuvor geworden war, sorgten dafür, dass sich die Regierung Adenauer quasi ausschließlich aus außenpolitischen Erwägungen – die Türkei sicherte die Südost-Flanke der NATO – für so ein Abkommen entschied auch gegen die Warnungen einzelner Minister, die in zu großen kulturell-religiösen Gräben zukünftige Spannungs- und Konfliktfelder sahen.
Mitte der 1980er Jahre wurde in Köln die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V. (DİTİB) gegründet, die von Anfang an dem Präsidium in Ankara untersteht und der heute annährend 900 Moscheen in Deutschland angehören.
Seitdem wird immer wieder über einen Staats(kirchen)vertrag zwischen den Ländern und DİTİB diskutiert. So haben Hamburg und Bremen einen solchen 2012 und 2013 abgeschlossen, weitere Länder folgten allerdings nicht mehr. Niedersachsen beispielsweise ist längst aus den Verhandlungen mit DİTİB ausgestiegen. Als Begründung nannte Stephan Weil, der Ministerpräsident des Landes, dass sich die Rahmenbedingungen für die in Aussicht genommene Vereinbarung in den vergangenen beiden Jahren deutlich verschlechtert hat.
Armin Laschet wirft in Nordrhein-Westfalen gegenüber DİTİB das Handtuch oder den Fehdehandschuh, je nach Sichtweise: Die Landesregierung hat sämtliche Kooperationen mit der DİTİB auf Eis gelegt. Düsseldorf erwartet von dem Islamverband, sich vom Einfluss der türkischen Regierung zu lösen.
Susanne Schröter, Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, brachte es im Mai diesen Jahres allerdings schon deutlich auf den Punkt: „DİTİB ist nicht daran interessiert oder nicht dazu in der Lage, sich von der Türkei abzunabeln. Wenn die Politik sich also nicht lächerlich machen möchte, sollte sie die Kooperationen vollständig einstellen.“
Haben Reker und Laschet die Botschaft tatsächlich verstanden?