Tichys Einblick
253 Beschwerden in 100 Tagen

Heiko Maas verzweifelt: Kaum Hass im Netz

Die Spiegel-Journalistin Melanie Amann durfte sich nach 100 Tagen NetzDG im zuständigen Bundesamt für Justiz umschauen. Aber sie fand nur ein paar eingestaubte analoge Ordner und gelbe Postings mit denen sich sage und schreibe siebzehn Beamte Vollzeit die Zeit totschlagen müssen.

© Steffi Loos/Getty Images

Die arme Katarina Barley muss sich mit nichts herumschlagen, also mit kaum etwas. SPD-Parteikollege Maas jedenfalls hat seiner Nachfolgerin im Justizministerium dieses viel gescholtene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) hinterlassen, aber nun bleibt der Hass aus. Die Spiegel-Journalistin Melanie Amann durfte sich nach 100 Tagen NetzDG im zuständigen Bundesamt für Justiz umschauen. Aber sie fand nur ein paar eingestaubte analoge Ordner und gelbe Postings mit denen sich sage und schreibe siebzehn Beamte Vollzeit die Zeit totschlagen müssen.

Längste Zeit zu gehen
Heiko Maas und NetzDG adé
Der Pressesprecher des Amtes, der Amann durch die Räume und an den quantitativ traurigen Anfängen einer viel voluminöser erhofften Hassliteratur vorbeiführt, meint dazu lapidar: „In den ersten 100 Tagen gingen 253 Beschwerden ein.“ Also mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar noch weniger Beschwerden, als im Außenministerium eintreffen, wenn Bürger sich umstandslos direkt an ihren wenig geliebten neuen Außenminister, den Ex-Justizer Heiko Maas wenden. Der war damals noch enthusiastisch von 25.000 Beschwerden ausgegangen. Monatlich? Nun sind es in etwa ein Prozent der prognostizierten Zahlen in drei Monaten. Haben die Deutschen das Hassen verlernt oder löschen Facebook und Co jetzt viel intensiver als zuvor und musste also erst ein Gesetz her, um diesen entsetzlichen Hass zu eliminieren?

Weltweit sind knapp 5.000 Kontrolleure, also Beschwerdeprüfer, für Facebook tätig, in Deutschland davon alleine 1.200. Facebook nimmt das NetzDG also zweifelsfrei ernst. Was das allerdings über die Deutschen aussagt, steht auf einem anderen Blatt. Sind wir die größten Hasser der Welt oder die größten Mimosen? Hier kann beides wahr sein oder auch gar nichts. Die Bertelsmann-Dienstleistungsfirma Arvato beschäftigt in Berlin alleine 700 Mitarbeiter, ein weiteres Löschzentrum ist im August 2017 in Essen dazugekommen, betrieben vom europäischen Anbieter Competence Call Center (CCC). Der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) lobte Facebooks Standortentscheidung damals gegenüber dem Spiegel: „Nicht nur wie bisher aus Berlin, sondern jetzt auch aus Nordrhein-Westfalen wird künftig ein wesentlicher Beitrag zur Netzsicherheit und zur Kommunikationskultur im Internet geleistet werden.“ Essen würde eine „zentrale Funktion in der globalen Netzkommunikation.“ Großmannssucht nun also auch in der Eroberung der virtuellen Räume bei der Niederringung des kleingeistigen Hasses.

Wie viel säuische Hass-Botschaften wirklich gelöscht werden, weiß aber kein Schwein. Und nach welchen konkreten Kriterien das geschieht, bleibt ungewiss. Initiale dazu müssen wie gewohnt weiterhin die Nutzer dieser Portale geben. So lange keine Programme Hass also solchen identifizieren können, sondern nur nackte Brüste und anderes mehr, muss der Mensch dran glauben, also an den Hass glauben, melden und löschen.

Die schmalen Akten im Bundesamt für Justiz wurden dafür extra angelegt, falls die Internetkonzerne gegen ihre Löschpflicht verstoßen, also dann, wenn die hausinternen Instanzen von Facebook und Co einfach keinen Hass erkennen können. Die Denunziation überwiegt bei weitem diesen ominösen Hass, wenn Amann schreibt, Facebook würde beteuern: „Die Zahl der Meldungen nach dem NetzDG ist überschaubar.“ Noch besser: Die meisten Beschwerden sind offensichtlich gar keine, von dürftiger Qualität und weit außerhalb jenes Raumes, in dem Kommentare Hass also sanktionsfähig wäre. Viele Nutzer melden laut Facebook Inhalte „die mit dem NetzDG gar nichts zu tun hätten – etwa Restaurants, die kritische Bewertungen als „Diffamierung“ löschen lassen wollten.“

Der Deutsche ist demnach gar kein Meister des Hasses, auch kein Meister des Löschens, er ist ein Meister der Denunziation! Und das sagt dann viel über die Verfasstheit einer Gesellschaft aus und über die Menschen aus der Mitte dieser Gesellschaft, die solche Gesetze entwerfen, vorschlagen und abstimmen wie das NetzDG, das offensichtlich nichts weiter als eine ziemlich aufwendige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist: Wenig zu tun, aber dafür ein regelmäßiges Einkommen.

Albern und würdelos
Konfetti-Parade im Deutschen Bundestag
Was aber macht das Amt nun mit den mageren Fällen, die sich in den dünnen Ordnern sammeln, weil sich auch hier noch keiner zu einer Digitalisierung aufraffen konnte, weil ein Amt eben ein Amt ist und der Aktenschrank nun mal gefüllt werden muss. Was macht das Amt eigentlich mit diesen Fällen? Sie archivieren. Sie sammeln und warten ab. Die genannten 17 Rechtspfleger und Diplom-Verwaltungswirte melden lediglich an die Staatsanwaltschaften, wenn es etwa zu melden gibt, denn löschen dürfen und können sie überhaupt nichts. Nein, unsere glorreichen Siebzehn dürfen Facebook nicht einmal dazu auffordern diese ihrerseits zu tun!

Und hier geht es auch nicht um eine effektive Bestrafung der Hass-Kommentaristen, sondern ums Sammeln, Sammeln und Sammeln. So lange wird gesammelt, bis sich aus dieser Sammlung heraus ggf. ein Verdacht verdichtet, die Internetkonzerne wären systematische Löschverweigerer. Aber  wie viele Verstöße in welchem Zeitraum für eine Buße nötig sind, bleibt völlig unklar.

Ebenso schwammig auch die Höhe so einer Buße. Dazu werden die möglichen Gesetzesverstöße im Strafenkatalog nach „außerordentlich schwer“, „sehr schwer“, „schwer“, „mittel“ oder „leicht“ unterschieden.

Eine Richtlinie gibt es dann allerdings doch noch: „Grundsätzlich gilt: Je größer das soziale Netzwerk, desto mehr Reichweite, desto relevanter die damit verbundene Meinungsmacht.“ 

Diese Leitlinien sind übrigens sortiert, wie Büstenhalter im Miederwarengeschäft: Unterschieden werden die Netzwerkgrößen A, B und C. Hier ist aber alles auf links gedreht: Steigert sich die BH-Größe von A bis hinauf zu einem beeindruckendem Doppel-D, ist unser A in diesen Leitlinien schon eine richtig satte Hand voll mit über 20 Millionen Nutzern und C ist dem gegenüber dann kaum noch Oktoberfesttauglich.

Die mobile Version verlassen