„Der klassische Beamte war dem Recht verpflichtet und keiner Regierung.“, schreibt Fritz Goergen auf der internen Kommunikationslinie zum Fall Maaßen. Und das bringt uns dann auf direktem Wege zu einem Richter, der dem Recht auf höchster Ebene verpflichtet war: zu Hans-Jürgen Papier, CSU-Mitglied und Präsident des Bundesverfassungsgerichtes von 2002 bis zu seinem Ruhestand in 2010.
Der Berliner bekleidete viele Jahre lang eines der drei (neben Kanzler und Bundespräsident) wichtigsten Ämter des Staates. Während Hans-Jürgen Papier an der TU Berlin Staatsexamen und später seinen Doktor machte, tobte draußen auf den Straßen die APO und der SDS lieferte in nächtelangen Rededuellen die Blaupause für eine Umwälzung der Verhältnisse.
Wir können hier sagen, bisher brauchte die Bundesrepublik Deutschland keine Sorge haben, von einem wie Papier angegriffen zu werden, dann jedenfalls, wenn man Land und Regierung zusammen denkt. Davon kann allerdings bei Papier aktuell nicht die Rede sein. Der heute über Siebzigjährige fürchtet um sein Land und greift deshalb die Regierung an. Hans-Jürgen Papier wirft dem Staat vor, sich nicht an die eigenen Gesetze zu halten, und der deutschen Justiz wirft er vor, geltendes Recht zu wenig durchzusetzen. Ausführlich warnt er im Gespräch mit der BILD-Zeitung, dies könne dazu führen, „dass (das) Vertrauen in unsere Rechtsordnung, in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert wird.“
Dort finden sich bereits Verweise, dass diese Intervention Papiers keineswegs Eintagsfliege ist, wenn er die Politik schon einmal vor über einem Jahrzehnt (noch als Präsident des Bundesverfassungsgerichtes) auforderte, das Vertrauen der Bürger nicht weiter aufs Spiel zu setzen. Die Menschen würden „eine verantwortliche politische Führung des Landes“ erwarten und keine Vorführung taktischer Scharmützel“ oder „smarte Sprüche aus der Werbeabteilung der Politikberatung“. Und 2016 kritisierte er die Bundesregierung „scharf für ihr Vorgehen im Zuge der Asylkrise. Für unzureichend hielt er unter anderem den Schutz der EU-Außengrenzen.“
Heute fordert Hans-Jürgen Papier – im Ton deutlich sarkastischer – dann eben eine Gesetzesänderung, wenn die Regierung illegale Einreisen weiter ignorieren wolle. Papier befindet konsterniert: „Eine Grenzschließung steht gar nicht zur Diskussion“ und das, obwohl Personen die Einreise zu verweigern sei, die ersichtlich keinen Anspruch auf Asyl oder subsidiären Schutz in Deutschland hätten, etwa weil sie aus einem sicheren Drittstaat einreisen.
Nun ist dieses Lied längst ein Gassenhauer, aber entscheidend ist hier nicht die Melodie, sondern der Sänger. An Hans-Jürgen Papier kommt die Regierung nicht einfach vorbei. Seine Standpunkte müssen früher oder später vernünftig kommentiert werden. Der Staat wird sich schwer tun, einen ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes für seine Kritik – so ätzend sie sein mag – leichtfertig zu diskreditieren oder zu diffamieren.
Wenn der gebürtige Berliner Jurist auf seine Stadt schaut, dann graust ihm heute ganz offensichtlich, wenn er in Richtung organisierte Kriminalität von Clans gegenüber der BILD kommentiert: „Das Gewaltmonopol liegt beim Staat und muss auch dort bleiben. Aber hier wird es infrage stellt und gilt in Teilen dort faktisch gar nicht mehr. Setzt der Staat hier sein Gewaltmonopol nicht durch, dann erodiert nicht nur der Rechtsstaat, sondern der Staat insgesamt.“ Kann man es noch deutlicher sagen? Aber wie fühlt sich da einer wie Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin, wenn er in Talkshows das genaue Gegenteil behauptet?
Wie ernst nimmt die Politik solche Stimmen? Einer wie beispielsweise Cem Özdemir scheint mindestens verstanden zu haben, was öffentlich zu äußern ist, wenn er neuerdings attestiert, der „Rechtsstaat verrottet, wenn nicht klar Schiff geschaffen wird“. Aber der Wert solcher Aussagen ist begrenzt, dann, wenn längst andere die Geschicke der Partei lenken.
Können also die Warnungen und Mahnungen des Berliner Juristen Papier überhaupt irgendetwas bewirken? Vielleicht sind die Regierenden tatsächlich längst immun gegen Fundamentalkritik auch bedeutender Stimmen. Zu große die Fehler, zu tief der Fall, würde man sie eingestehen. Aber eines sollte nicht unterschätzt werden: Der Bürger hört genau hin. Und er fühlt sich von den Aussagen Papiers bestärkt. So kann diese Kritik durchaus noch eine Wirkung entfalten. Noch mehr, wenn die Regierenden sich nicht darum scheren.