Tichys Einblick
Bertelsmann verkehrt Ursache und Wirkung

Handelskammertag sauer: Bertelsmann erkläre duale Ausbildung zum Auslaufmodell

Die Gütersloher setzen auf eine universitäre Ausbildung ihrer Mitarbeiter. Auf Soziologen, Anthropologen und Pädagogen. Auf Menschenbeschauer. Auf solche also, die beurteilen, wovon sie keine Ahnung haben können.

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Wird die Luft für die Bertelsmann Stiftung dünner? Hat man sich mit seinem großangelegten und millionenschweren Angriff auf das Deutsche Handwerk und bewaffnet mit Projekten wie „BKE – Berufliche Kompetenzen erkennen“ doch übernommen? Oder bleibt man in Gütersloh gelassen, weil jene Netzwerke tief hinein in Politik und Gesellschaft stabil genug gestrickt wurden über Jahrzehnte, dass man nichts zu befürchten hat?

Jedenfalls hat die Bertelsmann Stiftung ihre Pädagogen- und Soziologenarmee jetzt gegen das Deutsche Handwerk und die Kammern in Stellung gebracht und abgedrückt. Der Angriff wurde als solcher verstanden und der Fehdehandschuh aufgenommen. Jetzt meldet sich auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zu Wort. Er hat eine neue Studie der Stiftung „entschieden zurückgewiesen“. Aktiv wurde hier der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der DIHK, Achim Dercks.

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Die Marschrichtung des DIHK ist einfach zu verstehen: leistungswillige junge Menschen sollen wieder für die duale Ausbildung gewonnen werden, anstatt die Qualität abzusenken. Der steigenden Zahl der Studienabbrecher zu begegnen sei auch Aufgabe der Schulen, so Dercks: „Die Lehrer an den Gymnasien sollten darum nicht einseitig in Richtung Studium mobilisieren, sondern auch die vielfältigen Chancen einer Ausbildung aufzeigen.“

Die Ausbildungsbetriebe setzen deshalb aber noch lange nicht auf ein Absenken der Zulassungsvoraussetzungen, sondern im Gegenteil: Man engagiert sich nach wie vor auch in der intensiven begleitende Unterstützung von Leistungsschwächeren. Denn nur so wird das Niveau gehalten und nicht abgesenkt. Die Kritik an der Stiftung verschärft sich deutlich: „Statt die duale Ausbildung zum ‚Auslaufmodell’ zu erklären, solle die Bertelsmann-Stiftung zunächst die gravierenden Verschiebungen durch Demografie und Studientrend klar benennen und nicht dadurch beeinträchtigte Kleinbetriebe an den Pranger stellen, kritisierte Dercks.“ Für ihn verkehrt Bertelsmann Ursache und Wirkung. Er warnt die Stiftung: Die Forderung nach einer Ausbildungsgarantie der öffentlichen Hand sei „der falsche Weg und würde den Ausbildungsbetrieben weiteres Potenzial entziehen.“

Nur in der Stiftung bleibt alles beim Alten: Die Gütersloher setzen für sich selbst weiter auf eine universitäre Ausbildung ihrer Mitarbeiter. Auf Soziologen, Anthropologen und Pädagogen. Auf Menschenbeschauer. Auf solche, die studieren, um anschließend mit kryptisch-filigranen Sätzen die ausbildenden Betriebe zu bombardieren, wie im Folgenden einmal beispielhaft vorgelesen. Die Stiftung setzt auf Akademiker, deren universitäre Ausbildung von braven Handwerkern in den durchgeschwitzten Hemden in den Handwerksbetrieben, der Industrie und dem Handel mitfinanziert wurde:

„Die Modernisierung der Berufsbildung wird im Folgenden anhand eines heuristischen Schemas entfaltet. Unter Einbezug von Veröffentlichungen kultur- und sozialwissenschaftlicher Herkunft neueren Datums und Berücksichtigung berufspädagogischer Fachliteratur soll jene anhand von idealtypischen Leitfiguren beschrieben werden. Von besonderem Interesse ist der Wandel oder Übergang von einer Leitvorstellung in eine andere.“

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Nein, der Tischlermeister aus Osterode möchte keine Bertelsmann Stiftung gesteuerte Metamorphose seiner Leitvorstellungen. Das möchte auch nicht die ausbildende Industrie oder der Handel. Nicht einmal dann, wenn man zukünftig zwangsverpflichtet werden würde, diesen oder jenen Minderbegabten auszubilden, weil der Staat und Bertelsmann – eine Differenzierung verschwimmt hier zunehmend – es so wollen. Im Gegenteil: Das traditionelle Leitbild in den oft über Generationen geführten Familienbetrieben dürfte einer jener Garanten sein, dass junge Menschen mit unterschiedlichsten Startvoraussetzungen zu echten Könnern ihres Faches werden, dass sie eine Erfüllung finden in ihrem Tun, das sie und ihre Familien später einmal ernähren kann und das ihnen oft ein Leben lang emotional und höchstpersönlich mit seiner Ausbildungsstätte verbindet.

Ja, die Betriebe machen das freiwillig und aus ureigenem Interesse. Sie werden ihre Bemühungen um ihre Schützlinge weiter intensivieren, einfach weil Ausbildung Kern ihres Selbstverständnisses ist. Den Rat von Bertelsmann braucht da eigentlich niemand. Er stört nur. Richtet er sich doch in seinem Akademiker-Sprech nicht an die Betriebe, sondern an den Staat, der es dann beibiegen soll: Einerseits will Bertelsmann staatliche Aufgaben deregulieren. Auf der anderen Seite soll der Staat dann seine Knute schwingen und Garantien geben für etwas, das allerdings vom Betrieb selbst längst garantiert wird, weil es tragende Säule des eigenen Tuns ist. Oder anders: Im Grunde genommen ist ja die Bertelsmann-Aufforderung an den Staat nur eine modernere Form der Deregulierung.

Abschließend hier noch der neueste Stand der Debatte rund um das Projekt „BKE-Betriebliche Kompetenzen erkennen“ der Bundesarbeitsagentur zusammen mit der Bertelsmann Stiftung:

Auf die Frage, warum man überhaupt mit der Stiftung zusammenarbeiten muss, wo doch die Handwerkskammern längst mit Valikom ein Kompetenz-Feststellungs-Verfahren entwickelt hätten, teilte die Pressereferentin der Bundesagentur für Arbeit mit, dass hänge „maßgeblich mit den neuen Herausforderungen zusammen, die auf die BA im Rahmen der Flüchtlingszuwanderung seit 2015 im Hinblick auf die Integration in Arbeit und Ausbildung zugekommen sind.“ Das Valikom Verfahren der Handwerkskammern „ist vor allem an einer inländischen Bildungs- und Erwerbsbiographie ausgerichtet. Es bietet deshalb insbesondere für Inländer mit atypischen Bildungs- und Berufsverläufen einen hohen Mehrwert und erhöht deren Arbeitsmarkchancen.“

Man spricht dem Handwerk also die Befähigung ab, Kompetenzen auch der Zuwanderer zu messen? Oder fürchtet man sich viel mehr, dass hier am Ende des Verfahrens festgestellt werden könnte, was politisch nicht gewünscht ist und holt stattdessen den privaten Player Bertelsmann Stiftung mit ins Boot, der nun aber seine ganz eigene Vorstellung von der Zukunft des Deutschen Handwerks entwickelt hat.

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Die Bundesagentur berichtet weiter: „BKE ist ein Verfahren, dass besonders durch seine Einfachheit und Kürze (ca. 4 Stunden bildgestützte Testung) geeignet ist …“. Ziel des Testverfahrens sei es, vorhandene Kenntnisse sichtbar zu machen und für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt nutzen zu können. „Weitere Verfahren wie z.B. Valikom können auf dieser Standortbestimmung gezielt aufgesetzt werden.“ Das Handwerk darf also schon noch mitspielen, aber das Fundament möchte man sich sicherheitshalber doch lieber von der Bertelsmann Stiftung setzen lassen.

Die Frage bleibt also weiter im Raum, warum die Bundesagentur diese Aufgaben ohne Not an den privaten Player Bertelsmann Stiftung outgesourct und damit den Kammern einen Mitbewerber hingestellt hat, der seit Jahren eine ganz eigene Agenda fährt bis hin zu einer Zertifizierung nonformaler und informeller Kompetenzen.

Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag zog also jetzt die Reißleine, als er an die Öffentlichkeit ging mit der eindringlichen Warnung, die Bertelsmann Stiftung hätte die Duale Ausbildung zum Auslaufmodell erklärt. Wenn aber die Stiftung Partner der Bundesarbeitsagentur ist, dann wäre es auch für Nürnberg höchste Zeit, sich zu erklären oder die Zusammenarbeit mit Gütersloh zu beenden und wieder dort anzuklopfen, wo die Kompetenz in der Sache ihr zu Hause hat: im ausbildenden Betrieb.

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