Tichys Einblick
Der grüne Heiland kommt 2030 auf einer Batterie voll Strom

Grünen-Parteitag: Mogelpackung für Mohikaner

So verabschiedet man sich mit Heilserwartungen aus der hässlichen Wirklichkeit: 2030 ist das Jahr, ab dem es keine Kohlekraftwerke und keine Dieselmotoren, aber irgendwie heilandmäßig angetriebenen Verkehr für alle gibt.

© Steffi Loos/Getty Images

Eigentlich müsste Pfizer jetzt konsequenterweise Viagra in grün auf den Markt bringen. Denn anders kann man es ja nicht umschreiben, was die alternde Garde der Frontgrünen da auf ihrem Vorbundestagsparteitag abgeliefert hat, außer als Resultat einer vorübergehenden medikamentösen Aufbäumung mit naturgemäß kurzer Wirkungsdauer.

Energiefusion? Eher religiöser Taumel

So inszeniert sich die Naturpartei ganz unnatürlich agil und im Retropop des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Der SPIEGEL schwärmt regelrecht, die Grünen hätten „sich selbst eine Energie-Infusion verpasst“. Es war eher religiöser Taumel, den man spätestens seit Claudia Roth für ausgestorben hielt. Überdosierung? So zum Beispiel, als die Kreuzberger Direktkandidatin Canan Bayram dem Enfant terrible Boris Palmer, Sie wissen schon, dass ist der „rechtspopulistische“ wilde Grüne, der der Partei einen Prozentpunkt von der AfD herüberretten soll, also diese Frau Canan dem Boris Palmer in Unkenntnis des Deals mit dem AfD-Stimmenklau über den Mund fuhr: „Halt doch mal die Fresse.“

Die „Fresse halten“ wurde dann aber nicht zum Motto in Berlin – im Gegenteil. Auf diesem Parteitag ging es darum, die letzte Chance zu beschwören, die Weichen zu stellen, bei der kommenden Wahl nicht an der Fünfprozenthürde zu scheitern und viele Seiten hinter Helmut Kohl als Fußnote in die Geschichtsbücher einzugehen, als die Partei mit dem Dosenpfand und dem Steigbügel der Agenda 2010.

Enthaltung zur Enthaltsamkeit

Es ging also mal wieder darum, vor den Wahlen etwas ganz anderes sein zu wollen, als man es im Bundestag seit Jahren demonstriert: Enthaltsamkeit. Enthaltungen beispielsweise, als man hätte Flagge zeigen können gegen das NetzDG von Heiko Maas, Enthaltungen, wie sie in der grünen Aufbruchstimmung 1.0 bei den Protesten gegen die Volkszählungen der untergegangenen Bundesrepiublik zum sofortigen Abbruch der Beziehungen des linken Establishment mit den Grünen Heroen geführt hätte.

Seit Angela Merkel eine Grüne mit CDU-Parteibuch ist, scheint die Partei von Schily, Kelly und Fischer paralysiert. Zuviel Erfolg, ohne davon zu profitieren, also – ähm – zu viele grüne Höhepunkte am Stück. Alles ganz ohne Chemie versteht sich.

Anton Hofreiter, neben Katrin Göring-Eckardt Vorsitzender der grünen enthaltsamen Bundestagsfraktion, zeigte einmal wie es ist, wenn alles in einem explodiert, wenn man endlich mal ungezügelt alles rauslassen kann, noch einmal Mann sein, wo die Scheren schon an allen Ecken und Enden klappern.

Die Grünen wollten „nicht wegen der verdammten Dienstwagen regieren, sondern um die Welt zu verändern“, rief er. „Es geht um uns und unsere Lebensgrundlagen, und diesen Kampf müssen wir gewinnen.“ Genau, den letzten Kampf gewinnen wir! Rentner könnten nicht lautstarker gegen ihre davon schwimmenden Pfründe wettern. Dabei kann man den granteligen Herrn mit dem rollenden -R- noch zu den jungen Wilden zählen, angesichts einer Überalterung bei den Grünen, der Überalterung des Personals, der Themen und bedeutsamer: der Klientel. Die Süddeutsche schrieb dazu: „Hinzu kommt natürlich die Überalterung der Partei an sich, die als solide Basis überwiegend in die Jahre gekommene erfolgreiche Babyboomer anspricht. Mit den ehemals revolutionären Zielen werden heute Umsätze gemacht.“

Einen Hoffnungsschimmer gab es allerdings auch. Ausgerechnet Katrin Göring-Eckardt im Indianertanz: „Wir sind die letzten Mohikanerinnen und Mohikaner der Willkommenskultur.“ Der SPIEGEL kommentierte die Auftritte der Parteiprominenz verklärt. Warum der Parteitag ein Erfolg war? „Das lag auch an der überraschend unpeinlichen Inszenierung der Parteiprominenz.“ Bekifft wirkender geht es ja kaum. Natürlich unter strenger Einhaltung des Jugendschutzgesetzes, wo ein Bekenntnis gegen Altersdiskriminierung wahrscheinlich den größten Konsens gefunden hätte.

Das Jahr des Heils ist 2030

Worauf man sich noch so einigte? Ach ja: auf die Ehe für alle. Ein Thema, das der Bevölkerung jetzt nicht unbedingt wie kein anderes unter den Nägeln brennt. Und Deutscher ist, wer in Deutschland geboren ist, sofort Familiennachzug für anerkannte Asylbewerber. Und dann noch den Ausstieg aus der Kohle und das Ende von Neuwagen mit Verbrennungsmotoren bis 2030. Volkswagen sagt schon mal Dankeschön. Keine Verbrennungsmotoren bedeuten ja auch, kein neues Dieselgate am Horizont. Nein, so einfach ist es natürlich nicht, wenn die Jobvernichtungsmaschine in der Automobilindustrie von Fahrradfahrern mit verschämtem Dienstwagen ausgerufen wird. Irgendwie scheint das Jahr 2030 das Jahr des energetischen Heils zu sein. Da kommt dann der Strom ganz von allein aus der Steckdose und Elektroautos brauchen nicht mal mehr Strom zum rollen. Man muss es nur beschließen. Man muss nur daran glauben, aber das ganz fest. Dann kommt es so wie Alimente vom Staat für seine grünen Absahner. Es hat etwas naiv religiöses, wenn technische Ziele beschworen werden ohne Rücksicht auf technische Möglichkeiten wie weiland die Niederkunft des Messias. Er kommt einfach über uns, Halleluja. Vermutlich schlagartig am Kirchentag reitet er ein auf einer gigantischen Batterie mit Strom für alle. So irgendwie. Glaubt! Glaubt! Glaubt! Oder ist die Batterie eine Riesenpackung grünes Viagra für alle? Man weiß es nicht. Nicht-Wissen ist das bestechende Merkmal dieses Parteitags. Glaube statt Wissen.

Nach der Schlussabstimmung des 10-Punkteplans tanzten dann Vorstand und Delegierte um’s imaginäre abgasfreie Lagerfeuer auf der Bühne und im Saal zu einer Instrumentalversion von Nenas 80er-Jahre-Hit „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“ – an die Textzeile „Liebe wird aus Mut gemacht“ erinnert das Wahlkampf-Motto der Grünen in diesem Jahr. Auch das eine seltsame irreale Heilsbotschaft – der musikalische verbrämte Abschied aus der Wirklichkeit.

Besser allerdings, man hätte sich an Nenas Anfangsstrophe erinnert: „Im Sturz durch Raum und Zeit Richtung Unendlichkeit. Fliegen Motten in das Licht. Genau wie du und ich.“ Wir erinnern uns: Totgesagte leben zwar länger, aber nach zuviel Viagra droht der Herzkasper. „Denk nicht lange nach. Wir fahren auf (verbrennungsfreien!) Feuerrädern Richtung Zukunft durch die Nacht.“

Und der grüne Heiland schaltet alle Ampeln auf grüne Welle.

Gute Nacht.

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