Tichys Einblick
Nach Abwehr türkischer Grenzübergriffe:

Griechenland lässt wieder Asylanträge zu

Die strikte Zurückweisungspolitik der Griechen ist vorbei. Auch die 1800 Zuwanderer, die durch die gesperrte Grenze aus der Türkei durchkamen, dürfen nun doch einen Asylantrag stellen.

ARIS MESSINIS/AFP/Getty Images

Erdogans Erpressungsversuch an die Adresse der Europäischen Union wurde von Griechenland vorerst vereitelt, als Athen kurzerhand das EU-Asylrecht außer Kraft und Mann und Maus in Bewegung setzte, die eigenen Grenzen zu schützen. TE sprach mit einer Familie vor Ort, die von nächtlichen Einsätzen der Bauern mit ihren Traktoren berichteten, die den Grenzfluss zur Türkei mit ihren Scheinwerfern ausleuchteten um ggf. gegen Grenzübertritte vorzugehen.

Man kann ja nur erahnen, was das für die deutsche Bundeskanzlerin für ein düsterer Moment gewesen sein muss. War sie es doch, die im Herbst 2015 bei Anne Will sagte, Grenzen seien generell nicht zu schützen. Gleichzeitig verlangte sie eben das von Erdogan im Türkei-Deal und bekommt nun von den Griechen wie schon zuvor beispielsweise von den Ungarn vorgeführt, dass das angeblich Unmögliche doch machbar ist: Grenzen kann man gegen illegale Grenzübertritte schützen.

Und wenn in Griechenland doch mal etwas schief lief und eine große Zahl Illegaler eindrang, dann wirkte hier das Hinterland in einer gemeinsamen Kraftanstrengung aus Polizei, Militär und Zivilgesellschaft.

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Griechenlands Antwort an den türkischen Präsidenten ging nun so, dass Athen klar machte, dass jeder Illegale sofort zurückgeschickt werde, und wenn das nicht möglich wäre, eben in sein ursprüngliches Herkunftsland verbracht werden würde. Keiner der Illegalen durfte in Griechenland einen Asylantrag stellen, auch wenn EU-Recht das ursprünglich potentiell jedem verspricht.

In einem Tagesschau-Kommentar hieß es damals dramatisch: „Wer es heimlich über den Zaun oder über den Evros-Fluss schafft, wird gejagt, gefasst und wieder auf die türkische Seite gebracht.“

Die pfiffigen Griechen hatten sich allerdings als Legitimation für ihre strickte Zurückweisungspolitik ein Schlupfloch zunutze gemacht, indem sie sich auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) beriefen, der zwar betont, dass solche Zurückweisungen völkerrechtlich verboten seien, was alle EU-Mitgliedstaaten unterschrieben hätten, die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung aber damit begründete, dass dieses Verbot nicht mehr gelte, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestört werden würde, wie das an der Grenze zwischen Marokko und der spanischen Exklave Melilla passiert sei.

Gleichzeitig erhielt Griechenland umgehend bis zu 700 Millionen Euro von der neuen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Grenzsicherung zugesagt, davon etliche Millionen sofort und cash.

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Europapolitiker Manfred Weber (CSU) beschrieb die Lage an der griechisch-türkischen Grenze übrigens als einen kollektiven Angriff auf die europäischen Außengrenzen. Daher habe die Polizei auch das Recht, mit Tränengas auf die Herandrängenden zu schießen.

Grotesk wurde es später, als sich die Tagesschau mit einer bizarren Begründung über die griechische Zurückweisung echauffierte, als ein öffentlich-rechtlicher Kommentator meinte, die Menschen wären doch erst dann vereinzelt gewalttätig geworden, nachdem die Zurückweisung erfolgt war.

Alltagstauglicher ausgedrückt: Wenn das Kind im Kassenbereich des Supermarktes nur laut genug schreit, darf es die Schokolade aufs Kassenband legen.

Am 1. März 2020 hat der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis das Asylrecht an der türkischen Grenze für zunächst 30 Tage außer Kraft gesetzt. Und obwohl die griechischen Bauern ihre Traktoren aufgestellt und ihre Mistgabeln in Stellung gebracht hatten, gelang immerhin mindestens 1800 Illegalen derer man später habhaft werden konnte, der Grenzübertritt. Die Personen wurden umgehend im Hinterland festgesetzt und ihnen wurde eröffnet, dass sie zeitnah zurückgeschickt werden würden.

Um jetzt und hier keinen falschen Eindruck zu erwecken: Die griechische Gastfreundschaft und Nächstenliebe gehören ganz sicher mit zu den herausregenden immateriellen Werten des europäischen Kontinents. Und in den Jahren zuvor hatten davon auch viele Migranten mehrheitlich aus Syrien profitiert, die das Mitgefühl der Griechen aus der Grenzregion dankend annahmen (vgl Interview).

Von Erdogan überfallen werden, wollte man dann aber doch nicht. Da erwachte spontan etwas, das wahrscheinlich insbesondere der deutschen Bundeskanzlerin Schweißperlen auf die Stirn trieb: die spontane Reaktivierung einer Zusammengehörigkeit, die zum eigentlichen Wesenskern von Nationen gehört: Der Wille zur Verteidigung des Eigenen. Oder wie es die deutsche Tagesschau abfällig nannte: „Der Extremismus der Mitte“.

Jetzt waren also 1800 illegal eingereiste Migranten in geschlossenen Lagern in Malakasa bei Athen und in Serres in der Nähe von Thessaloniki festgesetzt worden, die zwar zunächst durch die engen griechischen Zurückweisungssperren schlüpfen konnten, nun aber auf ihre Rückführung warten mussten. Geschlossene Lage übrigens, die in Deutschland wohl einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen hätten, ein Grund auch, warum hierzulande die so genannten Abschiebegefängnisse nicht funktionieren und sich immer wieder Betroffene entziehen können.

Am Montag dann die plötzliche Kehrtwende: Die Personen dürfen nun doch einen Asylantrag in Griechenland stellen. Wohlgemerkt, sie dürfen in Griechenland stellen und müssen dann auch dort verbleiben, Deutschland kann so auf legalem Wege keine Option mehr für diese dann registrierten Asylbewerber mehr sein.

Spanien hatte ja zuletzt seine Migranten, die beispielsweise aus Marokko kamen, teilweise in kostenlosen Bussen an die deutsche Grenze gefahren, ohne diese weiter registrieren zu lassen, froh, diese Bürde bei den Deutschen abladen zu können, die sich darüber offiziell dann auch nicht hörbar geschweige denn vehement beschwerten, was wiederum als Einverständnis gewertet werden muss.

Im Gespräch mit der Welt bestätigte Manos Logothetis, Sekretär für Erstaufnahme von Migranten im Athener Innenministerium, die Abkehr von der bisherigen Politik. „Ja, die Leute können Asyl beantragen“. Alternativ bietet Griechenland den Menschen 2000 Euro Cash, wenn sie das Land freiwillig verlassen.

Misstrauisch dürfte hier allerdings ein Begleitumstand machen, wenn die Betroffenen nicht etwa nur von der Polizei und den griechischen Behörden befragt werden, sondern hier Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR aktiv mittun. Griechenland könnte hier eigentlich ein gewichtiges Zeichen für alle anderen Europäer setzen, diese so massiv eine Massenzuwanderung nach Europa befördernden Organisationen einmal in ihre Schranken zu verweisen.

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Selbstbewusst erklärt Logothetis die Kehrtwende im Zusammenhang mit der Abschiebung der 1800 Personen gegenüber der Welt so: „Als wir erklärt haben, dass niemand Asyl beantragen könne, haben wir uns in einer nationalen Bedrohungssituation befunden. Wir mussten dieser Bedrohung etwas entgegensetzen und eine klare Botschaft aussenden. Das war ein Akt der extremen Dringlichkeit.“ Die Bedrohung existiere nun nicht mehr, daher habe man die angekündigten Regelungen doch nicht in Kraft setzen müssen.

Logothetis weist noch einmal jeden Vorwurf zurück, dass die Aussetzung der Möglichkeit in Griechenland Asyl zu beantragen unmenschlich gewesen sei: „Europa sollte die Höflichkeit besitzen, uns in einer solchen Situation außergewöhnliche Maßnahmen treffen zu lassen.“

Auch in Griechenland sind übrigens wegen der Covid-19-Krise aktuell sämtliche Asylverfahren ausgesetzt. Aber die Griechen würden wohl nicht auf die Idee kommen, deshalb Asylanträge wie jetzt in Deutschland geschehen, quasi per Postkarte anzunehmen. Zunächst einmal haben sie es erfolgreich geschafft, den türkischen Angriff auf die europäischen Außengrenzen abzuwehren.

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