Tichys Einblick
Interview

Götz Kubitschek: Wir stellen Normalität her

Die Medien kennen zur Frankfurter Buchmesse 2017 nur ein Thema: Götz Kubitschek und der Auftritt seines neurechten Verlages Antaios. Die Direktion der Messe scheiterte kläglich an der sanftmütigen Aufstellung des rechten Lieblings der Medien.

© John MacDougall/AFP/Getty Images

Die Medien kennen zur Frankfurter Buchmesse 2017 nur ein Thema: Götz Kubitschek und der Auftritt seines neurechten Verlages Antaios. Die Direktion der Messe scheiterte kläglich an der sanftmütigen Aufstellung des rechten Lieblings der Medien. Auffällig wurden die anderen, die linken Schreihälse, die zerstörungswütigen Nachteulen. Und Kubitschek ist sich nach Frankfurt noch sicherer: „Wir ergänzen den eindimensionalen Diskurs um den fehlenden Part, wir bringen die linkslastige Wippe in die Balance.“

Alexander Wallasch (AW): Herr Kubitschek, unabhängig davon, welche Bedrohung man in Ihnen sehen mag, selbst Publikationen, die Ihnen in herzlicher Feindschaft zugetan sind, kommen aktuell nicht umhin, Ihnen und Ihrem Verlag einen großen Erfolg auf der Frankfurter Buchmesse zuzugestehen. Warum hat die Linke nur so versagt, Ihnen mal den Marsch zu blasen? Was ist da passiert? Wie haben sie diese fünf Tage erlebt?

Götz Kubitschek (GK): Wir waren auf der Messe, wurden zum Skandal, zum prägenden Messethema und zum Gegenstand einer nun endlich anlaufenden Debatte über den richtigen Umgang mit der rechtsintellektuellen Normalität in Deutschland. Wie gelang uns diese »Landnahme« auf der Buchmesse?

Die humorige Antwort lautet: Wir haben unsere PR-Abteilung ausgelagert, und jeder, der uns zu laut und zu durchschaubar skandalisiert, ist Teil dieser Auslagerung, ist einer unserer unbezahlten Mitarbeiter, ob er will oder nicht. Das klappt seltsamerweise immer wieder, das hat beim Skandal um Rolf Peter Sieferles »Finis Germania« funktioniert und nun auf der Buchmesse erneut.

Die weniger humorige Antwort: Hinter diesem Erfolg stehen harte Arbeit, Mut, Unbeirrbarkeit, Strategieanalyse und taktisches Geschick. Wofür halten uns die Chefs der Buchmesse und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels? Für eingeschüchterte, verschwiemelte Problemtypen mit Mundgeruch, die sich freuen, wenn man ihnen nach Feierabend ein paar nette Worte sagt? Antaios ist ein Verlag mit acht Mitarbeitern, einem glänzenden Lektorat, hervorragenden Autoren und einem Näschen für das metapolitisch zugleich Anstößige, Interessante und Notwendige.

AW: Ich weiß allerdings, dass Schüchternheit, persönliche Probleme und Mundgeruch nicht Hauptargumente gegen Sie sein können. Journalist Danijel Majic, den Sie hier zitieren („Landnahme“) beispielsweise, wirft Ihnen vor, „rechtsextrem“ zu sein. Nun hätten Sie es sich einfacher machen können, wenn sie Antaios Autoren wie Akif Pirincci und persönliche Freunde wie Björn Höcke nicht auf diese Weise in den Vordergrund Ihres Messeuaftritts gestellt hätten. Wie wichtig war Ihnen der Eklat, der ja glänzend aufgegangen ist?

GK: Die grundlegende Entscheidung ist schon etwas früher gefallen, etwa um die Jahrtausendwende. Wenn Ellen Kositza und ich es uns hätten »einfacher machen« wollen, wäre sie Gymnasiallehrerin oder vielleicht bei der FAZ, und ich wäre beim Militär geblieben. So aber: Verlag Antaios und Zeitschrift Sezession, und das mit jeder Faser und aller Kraft. In der Weimarer Republik hatte der Verleger Ledig-Rowohlt eine Freude daran, Autoren aufeinandertreffen zu lassen. Er lud beispielsweise Bert Brecht und Erich Mühsam auf dieselbe Veranstaltung ein wie Ernst Jünger und Ernst v. Salomon. Er nannte das ein »Herstellen pyrotechnischer Mischungen« und hatte eine diebische Freude daran, wenn es rummste. Antaios ist nicht Rowohlt, und wir sind nicht ganz so lustig wie Ledig, aber im Chemiekasten metapolitischer PR kennen wir uns aus.

AW: Für mich ergibt sich rückblickend zu allererst das Bild eines seiner Aufgabe nicht gerecht werdenden Messedirektors Jürgen Boos gipfelnd in seinem Auftritt mit Megafon, als er sich nicht weiter zu helfen wusste und die integrierte Polizeisirene einschaltete. Versetzen Sie sich bitte einmal in seine Lage, was hätten Sie besser gemacht?

GK: Wäre nicht Boos der Boss, sondern ich, wäre unser Verlag nicht zum Thema geworden. Wir wissen, wie man uns ins Leere laufen lassen könnte und wir wissen auch, wie man ein Megaphon bedient. Letzteres kann sich Herr Boos von Martin Sellner zeigen lassen, die Verhaltens-Nuss muss er indes selber knacken. Nur ein Tipp: Manchmal reicht es aus, die Spielregeln der eigenen Messe ernstzunehmen.

AW: Kurz zum Verständnis, wenn Sie „Wir“ sagen, meinen Sie Ihre Bewegung oder das Ehepaar Kubitschek-Kositza? Und was Weimar angeht, was daraus geworden ist, wenn man das Aufeinanderkrachen von Positionen massiv befördert, wissen wir beide.

GK: „Wir“ meint immer uns Verleger und unsere Lektoren und Autoren, die allesamt die Hebelgesetze der linksliberalen Versuchsanordnung jahrelang studiert, erlebt und verstanden haben. Und zu Weimar oder heute: Metapolitik ist nicht Politik, Denken ist nicht Handeln, Vordenken ist nicht Umsetzen. Außerdem geht es hier um die Ergänzung des Meinungsspektrums durch rechts und nicht um die Auseinandersetzung zwischen zwei totalitären Lagern.

AW: Doch nochmal zurück zum es sich nicht mehr „einfach machen“ wollen, Herr Kubitschek: Sie implizieren, dass es sich jeder, der nicht wie sie die volle Breitseite abbekommt, »einfach« mache. Wir bei Tichy machen es uns aber auch nicht »einfach«. Wir gehören zum einen nicht zu Ihrem Lager und zum anderen führen wir Diskurse anders und pflegen ein feinjustiertes Wertesystem, über das man natürlich miteinander reden kann. Also, warum Björn Höcke und Akif Pirincci? War das notwendig?

GK: Wenn Martin Schulz über die Messe zieht und darüber berichtet, dass er Ernst Jünger liest, finden das alle toll. Wenn Björn Höcke über die Messe zieht und sich an sein sehr viel ruhigeres, lektüresattes Leben als Gymnasiallehrer erinnert, sieht das Establishment darin einen Affront. Warum eigentlich? Weil Rechte Bücher lieber verbrennen als lesen, wie die unnachahmliche Freitagsposaune Jakob Augstein das einmal durch den Blätterwald trötete?

Und Pirincci: Der saß vor Jahren als Bestseller-Autor auf der Buchmesse, von Katzenkrimilesern umzingelt, und jetzt sitzt er eben als politischer Bestseller-Autor auf der Messe, von ernsthaft an alternativer Politik interessierten Lesern umringt. Höcke und Pirincci – beides notwendig, beides möglich, man wird sich daran gewöhnen.

AW: Sie können nicht anders, oder? Sie nagen gerne über die unsichtbare Linie hinweg, wie die hungrige Maus am Kommissbrot. Ich verstehe so ein Gespräch als vorübergehenden Waffenstillstand. Als ein zur Seite treten und gemeinsam schauen. Da sollte man nicht während des Erzählens versuchen, mit dem Stiefel die Fronten neu zu verschieben, um mal in ihrem Sprachraum zu bleiben. Denn dass der Katzenkrimi-Autor ein anderer ist als der mindestens vulgäre, im politischen Diskurs nicht mehr ernst zu nehmende Autor von „Umvolkung“ – wenigstens das sollte ausreichend diskutiert sein. Und was Höcke betrifft, da gerät Ihnen die persönliche Bekanntschaft offensichtlich nicht zum Vorteil. Fehlende Distanz. Höckes radikale Botschaft setzt sich anders zusammen, als aus dem, was Sie hier anbieten. Wir können das diskutieren, wenn Sie wollen, aber ich glaube, es ist ausreichend rezipiert worden, die Positionen liegen auf dem Tisch.

GK: Niemand, der gewinnen will, verhält sich anders als ich. Eine derzeit beliebte Strategie von links ist die Unterstellung, wir bräuchten die Opferrolle, um eine Fairness einfordern zu können, die wir selbst zu gewähren nicht gewillt seien. Daran ist zweierlei falsch: Zum einen behaupten wir nicht Opfer zu sein – wir sind es auf der Buchmesse tatsächlich geworden mit unseren beschädigten und gestohlenen Büchern und unserer ruinierten Standgestaltung. Zum anderen gab es keinen einzigen linken Stand, der Schaden genommen, und keine einzige Linke Lesung, die niedergebrüllt worden wäre. Um unsere Fairness ist es also sehr gut bestellt, wir haben die Regeln der Auseinandersetzung, die auf einer Buchmesse angebracht sind, nicht verletzt, haben aber zu spüren bekommen, dass auf der Buchmesse Methoden möglich sind, die definitiv nicht zu ihr passen. Ich hätte gern über das grandiose Buch »Mit Linken leben« von Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld gesprochen, aber das war nur schwer oder gar nicht möglich.

AW: Wer in den vergangenen Jahren das linke Protest-Publikum bei Veranstaltungen rechter und konservativer Menschen erlebt hat, muss feststellen: Es gibt von dieser Seite keinen Diskurs, keine Gesprächsbereitschaft. Linke selbsternannte Wortführer wie die Amadeu Antonio Stiftung machen es vor: Es wird verweigert, niedergeschrien, gekeift, gegeifert und im letzten Mittel Gewalt gegen Dinge und sogar Menschen eingefordert und angewandt. Man beruft sich erstaunlicherweise beidseitig auf ein Widerstandsrecht. Nun muss auch der Linken längst klar sein, dass so eine Verweigerung Motor der Spaltung der Gesellschaft ist. Möglicherweise eine Art Münchhausen-Syndrom: Man zerstört, um anschließend mit linker Medizin gesund zu pflegen. Nun ist ein Hauptvorwurf von links, Rechte wie Sie, Herr Kubitschek, würden einen mühsam über Jahrzehnte errungenen Common Sense durch Tabu-Brüche bewusst zerstören wollen – aber wie kann man nun diese festgefahrene Situation beenden, die sich ja durch alle Schichten zieht?

GK: Wir stellen Normalität her. Das ist alles. Wir ergänzen den eindimensionalen Diskurs um den fehlenden Part, wir bringen die linkslastige Wippe in die Balance. Warum ist es unvorstellbar, dass im Fernsehen Lichtmesz und Sommerfeld gegen Volker Weiß und Thomas Wagner antreten, warum fand sich auf der Buchmesse kein einziger Offizieller, der in der Lage gewesen wäre, mich auf einem öffentlichen Podium argumentativ zu zerpflücken?

Ich verfüge nicht über öffentliche Podien, die Einladung dorthin muss aus dem Establishment erfolgen. Aber unsere Gesprächsangebote wurden sowohl von der Kahanestiftung als auch vom Börsenverein oder der Buchmesse nicht angenommen. Warum nicht, wo gleichzeitig behauptet wird, wir hätten kein Interesse am Dialog? Sind diese Leute geistig alle bettlägrig? Kurzum: Was wir tun und damit hervorrufen, entstellt das Verhalten des Establishments zur Kenntlichkeit, um eine derzeit bei uns beliebte Wendung zu zitieren.

AW: „Das Grundverständnis unserer Demokratie ist es, gegen Ausgrenzung zu sein und nicht schlecht zu reden über Dritte.“, betonte OB Feldmann am Antaios-Buchmessen-Stand. Man solle die Vielfalt so ernst nehmen, da sie Teil der Stadtidentität ist. Nun geht es mir wahrscheinlich nicht anders als ihnen. Diese lösungs- und diskursverweigernden Worthülsen sind üblich, aber sie wirken so aufgesagt, so gebetsmühlenartig und an aller Ernsthaftigkeit vorbei, so schrecklich denkfaul, so geradezu unernst. Wie aus der Integrationsfibel geklaut. Nun sagen Sie, Teil Ihrer Aufgabe sei es, auf der Buchmesse zu zeigen, dass man Teil der Normalität sei. Was soll das sein: ein persönlicher Aufruf gegen Ausgrenzung? Erklären Sie das genauer bitte. Gehört es nicht auch zur Normalität, zu schauen, was für die anderen normal ist? Stichwort Anpassung oder Krebsgang?

GK: Die Normalität des Oberbürgermeisters Feldmann ist gekennzeichnet von Heuchelei, Deutungsmacht und ruinierten Begriffen. Er hält den Diskurs für beendet und meint, dass Eindimensionalität in entscheidenden Fragen noch immer so etwas wie Vielfalt sei. Das muss anders werden, oder anders ausgedrückt: Die linksliberale Filterblase muss zum Platzen gebracht werden. Ich glaube, Feldmann ist wirklich überrascht darüber, dass es Verleger wie uns überhaupt noch gibt oder geben darf und dass es uns gelingt, interessanter zu sein als das von ihm gehätschelte »breite Bündnis«.

Die Meinungsfreiheit wird immer an ihren gefährdeten Bereichen vermessen, also nie dort, wo Herr Feldmann sich befindet. Vielleicht ist die Amadeu Antonio Stiftung das beste Beispiel dafür: Anetta Kahane, die Gründerin der Stiftung, denunzierte als Informelle Mitarbeiterin der Stasi schon einmal im Sinne des Mainstreams. Solche Leute haben eine unfehlbare Witterung dafür, wo die Hauptströmung des Tages verläuft. Dort lassen sie ihr Boot zu Wasser, so auch heute, und schon wieder nicht konstruktiv, sondern denunzierend, zersetzend und kriminalisierend.

AW: Nun kann ich nach den letzten beiden Jahren anstrengender Debatten sagen: Gleich, mit wem man von rechts über „Volk und Vaterland“ diskutiert – dringt man weit genug vor, steht man oft hinter der letzten Rechtskurve erschöpft vor den drei »I«, so schwer war es, überhaupt hinzugelangen: Individualität, Identität, Indigenität. Können Sie diese drei Begriffe einmal in Zusammenhang bringen und mit ihrem politischen Wollen abmessen?

GK: Die Identität eines Volkes fußt unter anderem auf der Indigenität als eines bereits Vorhandenen, das nicht hintergangen werden kann. Individualität ist vor diesem Hintergrund immer nur ein Teil des Ichs. Oder anders ausgedrückt, bildlich: Wir stehen auf den Schultern von Riesen (Indigenität, Herkunft, Geschichte, Kultur, Rechtsordnung, Größe, Schuld usf.), und der individuelle Anteil unserer Identität beschränkt sich auf das Stückchen Leben, mit dem wir den Riesen größer machen. Mich macht das dankbar und bescheiden, andere nicht. Das ist schade, aber dem Riesen ist‘s egal.

AW: Vielleicht Zeit, ein Fazit unseres Gesprächs zu ziehen, Herr Kubitschek. Als ich Sie nach Pirincci/Höcke befragte, landeten wir zunächst bei Lichtmesz/Sommerfeld. Und als ich, möglicherweise blauäugig, nach einem Konsens für beide Lager fragte (Konsenssuche muss ja keine linke Unart sein), erklärten Sie mir, „gewinnen“ bzw. „nur Normalität“ herstellen zu wollen in der Auseinandersetzung. Aber nochmal, ich fürchte, Sie verweigern sich beim Gegenüber die Intention zu erkennen, wenn Sie auf die intellektuelle Auseinandersetzung pochen. Schließlich verweigert sie Ihnen nicht aus intellektuellem Unvermögen, dazu sind die Linken viel zu selbstverliebt, schließlich nehmen sie für sich in Anspruch, Diskurtechniken erst erfunden zu haben.

Nein, ich bin sicher, man verweigert sich Ihnen aus einem in Nachkriegsgestein gemeißelten Gemeinsinn heraus – von mir aus nennen Sie es Tabus – einer, der Felder endgültig aus der Debatte ausgrenzt, die Sie nun in der Gunst der Stunde (Zuwanderungskrise) neu besetzen wollen. Die Gemeinschaft – negativ eingegrenzt: das Establishment – betrachtet für sich bestimmte Positionen als ausdiskutiert. Basierend auf den Erfahrungen aus Nationalsozialismus und Holocaust. Die schmerzhaften Lehren daraus reduzieren die Debatte bis heute.

Dokumentation Spezial zur Buchmesse
Buchmesse gegen Rechts
Und in diesem Moment muss ich ihnen fast Recht geben: Für Sie und die Ihren kann es nur Sieg oder Niederlage geben. Dabei würde ich keine Wette zu ihren Gunsten abgeben wollen. Die tagesaktuellen Nachrichten sprechen eine ziemlich deutliche Sprache. Beispiel? Gerade vermeldet das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, man sei offen für den Vorstoß von Innenminister de Maizière, einen muslimischen Feiertag einzuführen. Nun würde ich Ihnen Ihre lauteren Absichten sogar abnehmen. Sie scheinen Herz zu haben und Verstand. Aber Sie kratzen mit dem Vorschlaghammer an Tabus, von denen manche aus gutem Grund existieren und andere weniger. Das verlangt Mut, aber auch so viel Weisheit, sich anschließend nicht beschweren zu wollen, wenn schwarzer Rauch aufsteigt. Sie täten nichts Verbotenes? Das mag sogar sein, aber sich an das Gesetz zu halten, reicht offensichtlich nicht aus, Subtext und Lesart gehören untrennbar dazu. So wie zum Deutschsein die Ausweispapiere nach Einbürgerung  alleine auch nicht ausreichend sind, allenfalls als Legitimation.

GK: Das ist nun ein recht großes Fass, das Sie da anbohren. Vom Holocaust, vom Nationalsozialismus, von Tabus und endgültig beendeten Diskursen war doch gar nicht die Rede, auch nicht auf der Buchmesse, aber nun, wo Sie darauf zu sprechen kommen, kann ich entgegnen: Mit dem Verweis auf den Holocaust in passenden und unpassenden Momenten soll leider oft bloß die Diskussion über ein ganz anderes Thema abgewürgt werden. Gegen diese rhetorische Keule wehren wir uns in der Tat.

Ich will das mal anders aufzäumen: Dieses Land und seine deutende Klasse scheint einen unersättlichen Bedarf an Nazis zu haben, denn viel mehr als den Kampf gegen das absolut Böse scheint man an Verbindendem nicht mehr auffinden zu können. Außerdem ist es so leicht, der »Gute« zu sein, wenn es immer einen gewissen Prozentsatz an »Bösen« gibt und wenn man sogar bestimmen kann, wer gerade dieser »Böse« ist.

In dieses mühelose Wohlsein hinein stellen nun eine intellektuelle Rechte und eine rechte Partei Fragen zur Verschleuderung der Bindemittel unter den Deutschen, und seltsam: Es sind keine Nazis, die diese Fragen stellen, und die denunziatorischen Bemühungen, aus uns Nazis zu machen, sind nicht mehr von jenem lässigen Erfolg gekrönt, den man jahrelang gewohnt war. Das macht die Sache plötzlich sehr schwierig für die »Guten«, denn die Keulen, die man gegen Nazis schwingen kann, zeigen gegen uns keine Wirkung.

Die Debatten, die wir führen wollen und werden, sind im besten Sinne ergänzend, denn sie füllen Gesprächs- und Gedächtnislücken aus und weisen jedes verantwortlungslose Gesellschaftsexperiment zurück. Warum ist es so schwer zu akzeptieren, dass es Rechte gibt, die weit, weit mehr sind als der schwarze Hintergrund, vor dem das gute Linke so hell strahlen konnte? Ist das nicht eine geradezu bescheidene Frage, lieber Alexander Wallasch?

AW: Ja, davon mag für Sie nicht die Rede gewesen sein, weil Sie sich aus gutem Grunde weigern, den Subtext mitzulesen, aber ich fürchte, er ist der Kitt. Das relativiert nun aber Ihre Empörung, die dadurch den Charakter einer Inszenierung bekommt. Schön auch, wie Sie nicht müde werden, das „Intellektuelle“ an Ihrem Rechtssein zu betonen ohne freilich wahrzunehmen, dass Sie sich damit nur zur anderen Seite der Medaille einer stumpfsinnigen Rechten machen. Gesprächs- und Gedächtnislücken mag ich nicht erkennen, dass Gegenteil ist sogar der Fall. Kein Claim ist mehr erschlossen, als der, auf dem Sie Schwarz-Rot-Gold neu waschen wollen. Eines noch: Sie weisen jedes Gesellschaftsexperiment zurück. Dabei war die Bundesrepublik für sich eines der größten. Land und Volk am Boden.

Ironischerweise warb die CDU mit dem Slogan: „Keine Experimente“, sicherte damit aber schon dieses gigantische Experiment names Bundesrepublik. Zu Ihrer Schlussfrage: Die Antwort geben Sie sich selbst. Sie wollen ergänzen. Aber dafür braucht es Bundesgenossen. Ich sehe die nicht. Schon gar nicht in der AfD, Ihre Freundschaft mit Björn Höcke wird da nicht ausreichen. Ihrer Phalanx zu den Identitären schon gar nicht.

GK: Ich denke, Sie haben schon begriffen, dass es mir um die Buchmesse und ihre Spielregeln ging, und dort hat die »intellektuelle« Auseinandersetzung nun mal ihren Raum. Außerdem finden Sie mich nicht empört vor, sondern in einer Verfassung, die das Meinungsfreiheitgequatsche der anderen ernst nimmt. Sehen Sie, es gab da eine schöne halbe Stunde auf der Messe, als Kositza, Lichtmesz, Sommerfeld und ich einen Umtrunk am Klett-Cotta-Stand besuchten und dort ein sehr gutes Gespräch mit den Autoren Per Leo und Daniel-Pascal Zorn über deren Buch »Mit Rechten reden« und unser »Mit Linken leben« sprachen. Wir haben aus diesem ausgesprochen fruchtbaren Gespräch eben gerade keine PR-Sensation gemacht, und vermutlich hätte die interessierte Öffentlichkeit nichts davon erfahren, hätte nicht Klett-Cotta-Verleger Tom Kraushaar selbst in einem Welt-Interview davon erzählt, und zwar nicht unzufrieden.

Und dann bitte: Erweitern Sie Ihren Blick! Haben Sie die »Charta 2017« wahrgenommen, die von der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen initiiert wurde? Sie richtet sich gegen die Anzeichen einer Meinungsdiktatur, die sie auf der Buchmesse wahrnahm, und ich vermute, dass die ehemaligen DDR-Bürger dafür einen Riecher haben. Uwe Tellkamp hat unterschrieben, Jörg Friedrich und Jörg Bernig auch, Matthias Matussek, Hans-Joachim Maaz, Vera Lengsfeld und noch viele andere. Ich bin froh und überrascht, woher da plötzlich grundsätzliche Unterstützung kommt, und zwar nicht für unsere metapolitische Stoßrichtung, sondern in der Frage nach der Meinungsfreiheit und ihrem Schutz.

Dies zu trennen, hat das Establishment verlernt. Nun gibt es Nachhilfeunterricht, und das Klassenzimmer: Das war die Frankfurter Buchmesse 2017.

AW: TE dankt Ihnen für das Gespräch, Herr Kubitschek.

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