Nun hat es im aktuellen SPIEGEL nach dem Fälscherskandal auch den Journalisten Maximilian Popp getroffen. Er war immer einer der engagiertesten Köpfe des Hauses, wenn es darum ging, Kritiker der Massenzuwanderung zu diffamieren und zu verunglimpfen. Nun winkt er in einer Art Verzweiflungsakt mit der weißen Fahne, wenn er in einem plötzlichen Anfall von „Sagen, was ist“ seinen verbliebenen Lesern mitteilt: „Neue Balkanroute“, die Flüchtlingszahlen könnten wieder ansteigen, 2019 drohe auf dieser Route sogar ein zweiter Durchgang der Massenzuwanderung von 2015.
Bevor wir entlang seines Artikels belegen, dass auch dieser Vorstoß ins Reich der Wahrhaftigkeit leider ziemlich jämmerlich ausfällt, kurz noch ein paar Worte zum Kollegen von Claas Relotius: Rückblickend kann man sagen, Popp vertrat Ende 2015 in Sachen Refugees Welcome besonders rigoros eine Art Steinzeit-Journalismus. Die Dublin-Vereinbarungen, wonach Zuwanderer lediglich in jenem europäischen Land, welches sie zuerst betreten, Asyl beantragen und dauerhaft leben dürfen, nannte er am 07. September 2015 eine „perfide Regel“, eine „mehr oder weniger (…) deutsche Erfindung.“
Es gibt eine Reihe mehr solcher Texte aus der Feder des Journalistenpreisträgers von 2014. Ja, auch Popp wurde bedacht, als es an die so üppig zur Verfügung stehenden Ordensverleihungen der Branche ging. In der Laudatio damals hieß es, er schreibe „gründlich recherchiert, klug analysierend und kritisch.“
Wirklich? Die deutsche Politikerin und Publizistin Vera Lengsfeld sah das im Juni dieses Jahres hingegen völlig anders. In einem unverhohlen herabwürdigenden Meinungsbild ließ sie kaum Wünsche konservativer Kritiker des SPIEGEL-Journalismus offen, wenn die Autorin Richtung Popp giftete, der„Jung-Schreiberling“ bzw. „Jungautor“ schreibe „Unsinn“ und sei ein „Klein Mäxchen“ mit „steiler These“. Zu Recht? Lengfeld amüsierte sich wohl besonders über die These Popps, wonach die “Flüchtlingskanzlerin” die „schärfste und repressivste Flüchtlingspolitik in der Geschichte der Bundesrepublik zu verantworten“ hätte, „auch, wenn sie das selbst niemals zugeben würde.“ Lengsfeld weiter: Als Beleg führe der von jedem Faktenwissen offenbar unberührte Mann den Türkei-Deal an.
Aber gibt es diese Jasna Cehic wirklich? Hat Popp wirklich mit ihr gesprochen, wenn er schreibt: „Cehic (…) sitzt in ihrem Friseursalon und zündet sich eine Zigarette an, während vor dem Fenster eine Gruppe junger Migranten vorbeizieht. So gehe das jeden Tag, erzählt sie.“ Hat sie es Popp direkt erzählt? Saß er im Salon oder doch nur am Telefon in der SPIEGEL-Redaktion oder bei sich zu Hause? Oder haben es ihm Freunde weitererzählt? Oder? Oder? Das sind jetzt eben neue unbequeme Fragen an alte Redakteure beim SPIEGEL.
Wir wollen dem Autor hier selbstverständlich Glauben schenken, was er schreibt, aber so in etwa wird nun der neue Fragenkatalog vieler Leser ausfallen, wenn SPIEGEL-Reporter vorgeblich aus der Ferne schreiben; noch mehr, wenn, was sie erzählen, Vertrauen beim Leser voraussetzt. Und dieses Vertrauen muss ein großes sein, wenn Maximilian Popp mit einer Reihe weiterer Zeugen spricht, die vom Leser nicht so ohne weiteres verifiziert werden können, die einfach mal geglaubt werden müssen/sollen:
Da ist der Syrer Amir, Mitte fünfzig, der im türkischen Izmir für einen Schmugglerring arbeitet oder „Moreno, 31 Jahre alt, Krankenschwester aus Spanien“, Haseeb Ullah, der in einem Zelt „auf einer Brache bei Belgrad“ sitzt und Hühnerschenkel auf offener Flamme kocht. Herrje, das sind doch alles Figuren wie aus einer dieser mitreißenden Relotius-Fiktionen, dann, wenn auch Popp diese typisch emotionsgeladenen Relotius-Ortsbeschreibungen abgibt, denen man sich so schwer entziehen kann, wenn sie so zu Herzen gehen:
„Ullah lebt mit seinem Sohn in einem Verschlag, den er aus Holzpaletten, Planen und Wellblech gezimmert hat. (…) auf dem Boden der Behausung liegen Windeln, Bananenschalen, Plastiktüten, Im Hintergrund ragen die Wolkenkratzer der Belgrade Waterfront in den Himmel, eines Milliarden-Euro-Bauprojektes.“
Hier kommt dann auch noch eine Kapitalismuskritik dazu, die sich gewaschen hat. Wobei niemand seinen Müll in seiner Behausung liegen lassen muss, wie schäbig sie auch sei.
Der nächste Kandidat im poppschen Reigen ist Faris Libda, er soll Logopäde aus Palästina sein. Als Popp ihn trifft, „kauert“ der gerade „auf dem Boden einer Bahnhofsruine.“ Der Mann aus Gaza „wickelt einen frischen Verband über die Wunden an seinen Händen“, Polizisten hätten mit Schlagstöcken auf ihn eingeprügelt. Und dann mag sich der Leser irgendwo zwischen den drei Seiten fragen, worum es hier überhaupt geht. Na klar, um eine neue Balkanroute, um die Prognose von Maximilian Popp, dass die große Wanderung nach Deutschland bald wieder alte Formen annehmen könnte. Zuletzt weiß Popp, dass das Rote Kreuz letzte Woche vor einer „humanitären Katastrophe“ in Bosnien gewarnt hat: „Viele Migranten seien dort in Gefahr, den Winter aufgrund der Kälte nicht zu überleben.“
So kann es dann auch am Beispiel Maximilian Popp leider nur ein Fazit geben: Noch nichts dazu gelernt aus der Affäre Relotius, immer noch viel zu tief in der persönlichen politischen Agenda versunken, kein wirkliches Bedürfnis, die Krise für eine möglicherweise heilsame Selbstbeschau zu nutzen. Journalisten ohne Haltung, die nicht müde werden zu betonen, wieviel Wert sie auf Haltung legen. Popp wohl auch Mitglied der „Märchenfraktion“ im SPIEGEL,von der die taz berichtet.