Eine Twitter-Nutzerin versuchte vergangene Woche eine Empörung über tendenziösen und selektiven Haltungsjournalismus/Aktivismus zu deeskalieren: Was so empörte, sei doch nur der Trailer zum Beitrag von Frontal 21 im ZDF gewesen. Gestern Abend war der Beitrag nun in voller Länge zu sehen. Davon, dass jetzt irgendetwas besser oder verständlicher geworden wäre, konnte trotzdem nicht die Rede sein.
Worum geht’s? Anlass des Berichtes war ein Shitstorm, der über Sebastian Scholz niederging, der ausgerechnet als Geschäftsführer des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) einen von der Polizei verfolgten Demonstranten von den Beinen holte. TE hat hier umfangreich berichtet.
Ein rabiater Einsatz, den er und sein Verband irgendwo im Umfeld von Paragraf 127, dem so genannten „Jedermannsrecht“ auf Festnahmen, rechtfertigen. Problem nur: Die Polizei war augenscheinlich an Scholz‘ Hilfe nicht interessiert. Das Opfer der Attacke blieb polizeilich unbehelligt, statt einer Feststellung der Personalien gab’s „nur“ eine Extra-Ration Pfefferspray aus der großen Büchse zur vorübergehenden Ruhigstellung des wilden Mannes.
Ein guter Anlass allemal, über Journalisten als Aktivisten zu sprechen. Und erfreulicherweise machte Frontal 21 auch genau das in der Langversion des Beitrags. Aber leider in einer pervertierten Weise: Denn plötzlich steht nicht mehr Sebastian Scholz und sein aktivistisches Auftreten im Vordergrund. Stattdessen werden diejenigen im ZDF zur besten Sendezeit öffentlich-rechtlich vorgeführt, welchen zu verdanken ist, dass der Übergriff von Scholz überhaupt filmisch dokumentiert wurde, nämlich Laien-Journalisten mit Handy-Kamera. Ihre Eignung als Filmer wird in Frage gestellt und alles dafür getan, sie zu diskreditieren. Selbst ihre Journalistenausweise sollen die falschen sein, minderwertige Ausgaben für minderwertigen Journalismus.
Selten noch war ein Ablenkungsmanöver so durchsichtig: Der gewalttätige Übergriff des Journalisten/Aktivisten Sebastian Scholz einfach weggewischt durch eine Umkehrung der Schuldfrage: Eine Art Täter-Opfer-Projektion. Ja, es ist ärgerlich, dass Scholz dabei gefilmt wurde – jedenfalls ärgerlich für den Aktivisten Scholz. Aber doch theoretisch hilfreich und gut für eine Berichterstattung über diesen Fall.
Frontal 21 zeigt stattdessen einen unbekannten Journalisten, der sich ungebührlich gegenüber der Polizei äußert – dafür aber gar nicht behelligt wird – und verzichtet darauf, die gewalttätige Intervention von Scholz gegen den Demonstranten zum Mittelpunkt der Berichterstattung zu machen. Doch, einmal kurz zum Ende hin, aber da ist der Schandpfahl der Verachtung für jene, die den Übergriff dokumentiert haben, schon aufgestellt. Die Infantilisierung der Politik, der Werte, sogar die des journalistischen Berufsethos – einfach von der Platte gefegt.
„Es sind selbsternannte Reporterinnen und Reporter, die in Wahrheit Aktivisten aus der Szene sind“, beginnt Ilka Brecht ihre Frontal 21-Moderation entsprechend. Die Täter-Opfer-Umkehrung von Anfang an. Anstatt, wie es der kurze Trailer zum Beitrag immerhin noch suggiert hatte, den Übergriff von Scholz zu besprechen, wird der Beitrag zu einer Anklage gegen jene, die ihn dabei mit ihren Kameras dokumentiert haben.
Ilka Brecht meint über diese Filmemacher: „Sie zücken ihre Handys, drehen die Sachen dann oft so, wie es ihnen passt. Und machen damit Stimmung auf den Social Media Plattformen. Die Folge: verstärkte Feindbilder und Hass im Netz.“ Kurios, denn genau das ist ja der Hauptkritikpunkt, den man gegenüber dem Beitrag von Arndt Ginzel für Frontal 21 erheben könnte.
Ginzel muss zwischen Trailer und Beitrag selbst erkannt haben, dass seine Verteidigung für Sebastian Scholz wackelt. Stark wackelt. Jedenfalls liegt jetzt eine Täter-Opfer-Umkehrung vor, wo der Trailer noch auf eine – wie auch immer geartete – Aufarbeitung des gewalttätigen Übergriffs durch Scholz hinwies. Ging aber wohl nicht, denn dann hätte Ginzel ergänzen müssen, was ihm zwischen Trailer und Beitrag an neuen Informationen zugetragen wurde.
Arndt Ginzel hätte als Journalist auch jene Szene zeigen müssen, wo Scholz im Anschluss an seinen Übergriff davon spricht, „nicht weggekommen“ zu sein. Ginzel hätte abbilden müssen, dass Scholz eben nicht privat unterwegs war, wie Verläufe auf Twitter belegen, wo Scholz bestätigt, als Ansprechpartner des DJV auf Demonstrationen aufzutreten.
Desweiteren wird im Beitrag unterschlagen, dass Scholz ungefragt in Gegenwart einer Pressesprecherin der Polizei andere Journalisten einer Art Befragung unterzieht und schon hier Ausweise der Kollegen inspiziert, bevor er später behauptet, er wäre privat unterwegs gewesen. Es wurde auch nicht berichtet, dass der von Scholz von den Beinen geholte Demonstrant weder festgenommen noch seine Identität festgestellt wurde.
All das hat der Autor des Berichtes unterschlagen. Und es muss mutmaßlich ziemlich hektisch geworden sein zwischen der Präsentation des Trailers und dem fertigen Beitrag – oder noch früher zwischen Vorfall, Kritik und Reaktion. Das Ergebnis ist ein Beitrag voller Widersprüche.
So heißt es gleich zu Beginn beispielsweise: „Wer einen Presseausweis hat, darf die Polizeiabsperrung passieren.“ Aber das heißt im Umkehrschluss eben auch, dass Journalisten-Funktionär Sebastian Scholz eben nicht privat dort war, sondern an irgendeiner Stelle seinen Presse-Ausweis vorgezeigt haben muss, folgt man der Erzählung von Ginzel.
Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow teilt solidarisch einen Medienbeitrag, der TE vorwirft, unterschlagen zu haben, dass es doch eine Kooperation gäbe zwischen dem DJV und der Polizei. Der Beitrag führt vor, wie man richtig googelt! TE hat allerdings gleich den Polizeisprecher gefragt anstatt zu googlen. Ergebnis: Es gibt bisher keine Kooperation. Wird der Beitrag entsprechend korrigiert oder zieht Ramelow seine Solidaritätsadresse zurück? Natürlich reagiert das Portal nicht: Vermeintlicher Journalismus outet sich spätestens in der fehlenden Korrektur selbst als Aktivismus. Und ein lebhaftiger Ministerpräsident fungiert als Anreicher in dieser Szene.
Frontal 21 veröffentlichte vor einer Woche via Twitter den Trailer zum Beitrag und fragt dazu: „Was geschah am 1. Mai 2021 in #Weimar?“ Der finale Beitrag selbst möchte das nicht mehr so genau wissen. Autor Ginzel wird spätestens hier zum politischen Aktivisten und findet obendrein nichts dabei, im Beitrag diesen Aktivismus anderen vorzuwerfen.
Richtiggehend komisch wird es dort, wo im Beitrag eine Vertreterin der linkspopupulistischen Amadeu-Antonio-Stiftung etwas zu einem „Boom von rechten Medienmachern“ sagen darf. Jeder könne sich da Journalist nennen, wird beklagt, und so würde versucht werden, „alternative Fakten zu verbreiten.“ Das allerdings ist exakt der Eindruck, denn der Beitrag von Frontal 21 vermittelt. Hier lässt der Autor des Beitrags längst bekannte Fakten bewusst aus, um seine These nicht zu gefährden. Für die Erklärung der Rolle von Scholz werden wichtige dokumentierte Szenen nicht gezeigt. Nur so gelingt es dann auch, Scholz aus der Täter- in die Expertenrolle zu überführen. Das ist journalistisch zweifellos katastrophal, das ist politischer Aktivismus zur besten Sendezeit.
Sicherlich: Eine Reihe der auf der Demo anwesenden Filmer machen aus ihrer Corona-Maßnahmen gegenüber skeptischen Haltung kein Geheimnis. Aber so eine Kritik ist hier vollkommen wertlos, wo sie von der Rolle des DJV-Funktionärs ablenkt – insbesondere von der gewalttätigen.
„Vermeintliche Pressevertreter, die Polizisten behindern und beleidigen?“ fragt der Beitrag, wo entlang der Causa Sebastian Scholz die Frage doch wohl heißen müsste: „Ein vermeintlicher Pressevertreter, der ein DJV-Funktionär ist, der behauptet privat unterwegs zu sein, der gewaltätig wird gegenüber Demonstranten?“
Ein Polizeivertreter bemängelt weiter, dass es heutzutage Leute gibt, die Demonstrationen in Echtzeit ins Netz stellen um „Stimmung zu machen gegen die Polizei.“ Hier also schon die nächste Umkehrung, denn in Weimar geht es um Sebastian Scholz, nicht um Kritik an der Polizei. Und auch Frontal 21 greift eben genau auf diese Filmaufnahmen zurück, die in Echtzeit von der Demonstration berichten. „Man nimmt also eine Professionalität für sich in Anspruch, die allerdings nichts mit dem zu tun hat, was wir eigentlich als Nachrichtenkonsumenten erwarten.“ sagt Jörg Radek von der Gewerkschaft der Polizei. Das ist als Bestandteil des Beitrags von Arndt Gunzel für Frontal 21 so komisch, dass man es nicht mehr erklären muss.
Presseausweise werden als „Kaufausweise“ diffamiert, um bestimmte Journalistenvertreter mit den richtigen Papieren hervorzuheben – beinahe so, als könne man damit den Aktivismus und die journalistisch-ethische Schlechtleistung irgendwie noch deckeln. Hier kippt die Verteidigung des Journalisten-Funktionärs vollends.
„Journalisten verhalten sich nicht aktivistisch auf Demonstrationen“, darf ein Vertreter eines Journalistenverbandes in die Kamera von Ginzel sagen. Aber nein, er meint nicht den Übergriff von Sebastian Scholz. Ach so: Der da spricht ist nicht Scholz selbst, das war auch Gunzel offensichtlich zu peinlich. Vielleicht beim nächsten Mal, die Metamorphose vom ehemaligen Journalisten hin zum Aktivisten schreitet derweil voran.
Final dann bei Frontal 21 eine Morddrohung gegen Scholz live vom Anrufbeantworter privat zu Hause mit Arndt Ginzel im Wohnzimmer. Wie ernst ist diese Drohung zu nehmen? Ist sie sofort zur Anzeige gebracht worden? Wir fragen auch das bei der Pressestelle nach (Antwort wird hier nachgereicht).
Nein, so etwas wünscht man keinem, aber auch das gehört zur Wahrheit: Es befreit definitiv weder Sebastian Scholz noch Arndt Ginzel davon, zu sagen was ist. Und zwar auf eine journalistisch-ethische Art bzw. auf eine Weise, die einer führenden Funktion in einem Journalistenverband entspricht. Eine Morddrohung darf kein Grund dafür sein, kritische Fragen zu unterbinden. Das wäre falsch. Und das sollten auch Arndt Ginzel und die Redaktion von Frontal 21 wissen, die diese journalistische Schlechtleistung in der Mediathek verfügbar gelassen haben.