Erinnert sich noch jemand daran, wie es die FDP anno 2017 geschafft hat, wieder in den Bundestag einzuziehen? Maßgeblich lag das nicht an überzeugenden Positionen eines Parteiprogramms, sondern viel mehr an der gelungenen Posterboy-Präsentation ihres Spitzenkandidaten Christian Lindner. Ja, man kann es vielleicht so sagen: Der Mann sieht gut aus, wirkt sportlich fit, und vor allem kann er reden. Lindner schafft es, noch der banalsten Thematik irgendwas Dringliches so aufzuflunschen, wie es nur gute Populisten hinbekommen.
Für die Demokratie in Deutschland ist das eine traurige Erkenntnis, aber maßgeblichen Anteil am Wahlerfolg einer Partei haben immer öfter die Werbeagenturen. Für die FDP galt das 2017 im besonderen Maße.
Wie vor vier Jahren arbeiten die Freidemokraten auch 2021 wieder mit der Berliner Agentur „Heimat“ zusammen, wie deren Pressestelle schon Ende 2020 gegenüber dem Medium Pressesprecher bekannt gab. Dazu befindet die Fachzeitung: „Insbesondere die aus der Zusammenarbeit hervorgegangenen Viral-Spots mit FDP-Chef Christian Lindner im Mittelpunkt wurden von der Kreativbranche meist sehr positiv bewertet.“
Die Heimatseite der Agentur Heimat startet aktuell mit einem Werbespot für die FDP in dem es u.a. heißt: „Ein Schwarm von 80 Freien Demokraten angetrieben von ihrer Aktivität.“ Das ist sportlich, denn durch besondere Aktivität aufgefallen sind die glorreichen 80 in der laufenden Legislatur nicht unbedingt – ja, kurz vor Schluss trommeln sie wieder lauter, machen sich als mögliche Koalitionspartner bemerkbar, es geht ja um was.
Angesichts der Gegner könnte man die Sektkorken oder sonstwas schon mal knallen lassen: Die Grünen versuchen gerade erschrocken, ihr abstürzendes Allzeithoch mit Händen und Füßen hochzuhalten, aber Annalena Baerbock geht trotzdem weiter in Talkshows, tritt also zwangsläufig gegen die Leiter, auf der sie steht. Die SPD schießt sich mit Olaf Scholz, dem Verlierer der SPD-Vorsitzenden-Wahl, aus derUmlaufbahn. Die CDU geht mit einer kleinskalierten Merkelversion, mit Armin Laschet ins Rennen. Und der hat nach wie vor in den Umfragen desaströs schlechte Zustimmungswerte. Die AfD ist einfach nur weiter im Abwehrkampf gegen äußere und innere Anwürfe festgetackert. Und die Linke verheddert sich zwischen einer profillosen Parteispitze und ihrem abtrünnigen Leitstern Sahra Wagenknecht.
Kurz gesagt: Bester Boden für die FDP sich auf der Kurzstrecke zu positionieren. Die Kernkomptenz der FDP ist ihre Alternative zu jedem und nichts.
Damit der FDP-Wahlkampf nicht so offensichtlich Agentur-Wahlkampf wird, haben alle Abgeordneten der FDP gemeinsam eine Verfassungsbeschwerde gegen die Einschränkungen des Grundgesetzes (durch das Infektionsschutzgesetz) eingereicht. Die Details ersparen wir uns hier – nur soviel: Das Bundesverfassungsgericht ist ein zahnloser Tiger geworden, die FDP wäre sicher selbst am meisten erschrocken, wenn sie mit ihrer Beschwerde durchkäme.
Aber der eigentliche Clou steckt in der mutmaßlichen Strategie dahinter – Baustein einer Wahlwerbestrategie in mehreren Schritten:
Teil 1: Die Verfassungsbeschwerde.
Teil 2: Ein in Stahl gegossenes Grundgesetz.
Teil 3: Ein Düsterfilm in Rammstein-Anmutung über den Schmiedevorgang des stählernen Grundgesetzes.
Christian Lindner twittert dazu: „Im #Reichstag haben wir in der #fdpbt eine Skulptur als Motivation aufgestellt, Hier ihr Making of. #HärtestesGG“.
Etwas mehr als eine Minute Rammstein-Optik vor dem Schmelzofen. Martialische Textbausteine: „49 Kilo härtester Stahl. Erhitzt auf 1.200 Grad. 3.000 Hammerschläge. Um etwas zu formen, dass sich nicht verbiegen lässt.“ Nein, hier ist nicht die FDP selbst gemeint, so realitätsfern sind die Liberalen nicht, man meint das Grundgesetz. „Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag präsentiert: Das härteste Grundgesetz aller Zeiten. Geschmiedet für die Freiheit. Die Stärkung unserer Demokratie. Den Schutz von Minderheiten. Für Werte, die nicht verhandelbar sind.“
Ein stahlharter Twitter-Kommentar dazu bringt es auf den Punkt: „FDP, die Partei der politischen Prostitution. Zuckersüß vor dem Akt. Desinteressiert danach.“
FDP-Fraktionspressesprecher Nils Droste betont am Telefon, dass die in Berlin geschmiedete Grundgesetzsskulptur von der Fraktion zum Tag des Grundgesetzes aufgestellt wurde und kein Beitrag zum Wahlkampf sei. Allerdings ist hier die Agentur Heimat beteiligt und die macht eben den FDP-Wahlkampf. Laut Droste bleibt das stählerne Grundgesetz im Fraktionssaal der FDP als, wie er sagt: „dauerhafte Mahnung.“ Warum sie es nicht auf die Straße tragen, dazu gleich noch mehr.
Wer die Diskrepanz der FDP vor und nach dem Wahlkampf erleben will, zwischen Stahlküche und klimatisierter Abgeordnetentätigkeit, der sollte das martialische Pseudo-Rammstein-Grundgesetz-Video mit dem Clip der Präsentation der Skulptur im Fraktionssaal vergleichen. Hier wird der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit erst deutlich.
Die Skulptur wird von Marco Buschmann, dem parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Fraktion vorgestellt: „Ich denke wir fangen mit der Enthüllung an, um sie nicht länger auf die Folter zu spannen …“ Das klingt nach Rüdiger Hoffmann „Ja hallo erstmal…“, jedenfalls dann, wenn man vorher das Schmiede-Video geschaut hat. Wirklich amüsant ist das, aber auch auf tragische Weise.
Und um auch das abschließend noch zu sagen: Natürlich ist das Ansinnen der FDP im Kern richtig. Aber der Kontext wirkt so schräg, so falsch, so wahltaktisch. Denn wo haben zuletzt viele Menschen das Grundgesetz in den Händen gehalten? Das war auf der Straße, wo man es der Polizei entgegengehalten hat.
Die Idee eines stählernen Grundgesetzes ist ja keine schlechte, aber diese Skulptur macht sie auch schrecklich museal. Das Grundgesetz ist aber etwas sehr Lebendiges, sollte es zumindest sein. Es gehört auf die Straße – erst recht, wenn eine Regierung wichtige Teile diese Grundrechte einfach weggewischt hat wie eine lästige Fliege auf der Mahlzeit.
Wer also dieses Grundgesetz verteidigen will, der sollte ihm keine metallenen Denkmäler errichten, sondern dafür kämpfen mit all seinen Verteidigern.