Was denn nun wieder los? Als NICHT-Facebooker – diese seltsame Spezies gibt es tatsächlich noch! – bekommt man die aktuellen Streitereien aus der Zuckerberg-WG ja immer erst secondhand serviert. Also sauber aufbereitet von den Medien im Netz und manchmal sogar aus der guten alten Printmaschine. Warum? Weil es wohl so ist, dass die meisten Journalisten heute mehr in Facebook investigieren als unter blauem Himmel oder in düsteren Archiven. Das ist bequemer, man kann im Bürostuhl sitzen bleiben, muss sich niemandem persönlich vorstellen und wird auch nicht beschimpft.
Der Spiegel-Journalist Jan Fleischhauer ist auch Facebooker. Im Wesentlichen nutzt er seinen Account aber, um „seinen“ 5.000 Facebookern – mehr darf man nicht „befreunde“ – seine aktuellen Kolumnen auf SPON vorzustellen und mit diesen dann darüber zu diskutieren oder öfter diese darüber diskutieren zu lassen. Man darf ihn Facebook Typus I nennen, nämlich den quasi gewerblichen User, der das Portal als Werbeplattform in eigener unternehmerischer Sache nutzt. Eine schöne Sache, die nichts kostet. Vielleicht macht sich mal ein Analyst die Mühe und rechnet aus, wieviel Geld man ausgeben müsste, um dieses Quantum Beachtung über Banner und Print-Anzeigen zu generieren. Facebook ist also gut zu Jan Fleischhauer. Der Journalist befindet sich wohl auf dem Höhepunkt seiner Karriere und weiß mit den sozialen Medien umzugehen. Aber zu Fleischhauer zum Schluss noch mehr.
Kommen wir zunächst zu Facebook Typus II. Der hat es nicht ganz so leicht. Auch prominent wie Typus I, aber auf dem absteigenden Ast. Dieser Prominente nutzt Facebook, um im Gespräch zu bleiben, er verramscht quasi öffentlich sein Privatleben bei Zuckerberg, weil die Medien sonst kein Interesse mehr an seinem täglichen Erleben haben. Und die Sache funktioniert, wenn auch schon behaftet mit einer gewissen Traurigkeit, mit einer höheren Empfindsamkeit, die immer mal wieder aufbraust, wenn die Kommunikation irgendwo hakt, wenn die Absicht eines Kommentars missverstanden wird oder schlimmer: missachtet, nicht wahrgenommen, unter den Tisch geschoben. Dann folgt die Höchststrafe auf dem Fuß. Leider ist Facebook Typus II dann leider nicht einmal ausgestattet mit der Vorsicht nicht prominenter Facebooker und also Shitstorm gefährdeter.
Facebook Typus III ist am häufigsten bei Zuckerberg anzutreffen. Er ist der brave Soldat Schwejk. Der wichtigste Facebooker, weil er im Schwarm auftritt, weil ohne ihn alles nichts ist. Er ist der Traffic-Beschaffer, er gibt der aufbrausenden Welle erst die Kraft, er sorgt dafür, dass die so wichtigen Klickzahlen steigen, dass die Likes sich so wundersam vermehren, dass Typus I und II überhaupt erst mit- und gegeneinander in ein Ranking treten können. Facebook Typus III zeigt selten eine eigene Haltung. Er likt ganz lieb und artig und darf sicher sein, dass, wenn er das immer an den gleichen Stellen erledigt, er eines Tages einmal einen kurzen Kommentar wie beispielsweise „sweet!“ unter seinem putzigen Katzenbild oder dem so nett ausdekorierten und sorgsam arrangiert fotografierten Essensteller vom Mittag findet und dann atemlos und aufgeregt feststellt: dieses Sweet ist von einem Typus I oder II! Von einem Prominenten! Und seine 78 oder 123 Facebook-Freunde – fast alle ebenfalls Facebook Typus III – dürfen nun für den Moment annehmen, hier gäbe es eine Bekanntschaft zwischen Fürst und Bauer. Ein kleines Märchen, das sich täglich tausendfach auf Facebook wiederholt.
Aber der wohl gefährlichste Typus für das System ist Facebook Typus IV. Der steckt im Prinzip in allen Facebook Typus III und will raus. Mal mehr, aber meistens weniger drängend. Facebook Typus IV träumt davon, in Rang I oder II aufzusteigen. Er begnügt sich nicht mehr nur mit ein paar hingeworfenen „sweet“, er möchte selber an die Süßigkeitenkiste und diese begehrten Sweets verteilen. Er überlegt angestrengt und über Wochen, Monate und sogar Jahre, wie er näher an die I-er und II-er herankommt. Er wagt sogar den Sprung von der digitalen in die analoge Welt. In die Welt der I-er und II-er, die ja hauptsächlich dort stattfinden: im Analogen. Dort, wo sich die III-er und IV-er schon lange nicht mehr haben sehen lassen. Einfach deshalb auch, weil sie dort nie wahrgenommen wurden.
Dann besuchen sie Lesungen der Prominenten, sagen „Hallo!“, hoffen auf ein Widererkennen: „Ich bin doch der, dessen Katzenfoto Sie neulich so sweet fanden!“ „Ach ja, nett!“, heuchelt der Angesprochene und schenkt ein Ernstgenommen!
Oder man geht ins Theater, wenn man einen Schauspieler ins Visier genommen hat, schickt Rosen in die Garderobe mit dem angehängten Katzenfoto, bietet am Ende sogar sein Gästezimmer für Übernachtungen an, legt sich in der analogen Welt ins Zeug für politische Prominente – alles ist möglich, alles wird dankbar angenommen, weil nun die prominenten Facebooker ihrerseits annehmen möchten, ihr gewerblicher Gang in die Niederungen der Zuckerberg-Welt würden so ihren gerechten Lohn erhalten. Weit gefehlt! Denn nun beginnt die Metamorphose des Facebook Typus IV. Die Raupe will endlich auch ein Schmetterling sein. Sie möchte überhaupt nicht die brave Raupe bleiben.
Ein großes sich täglich wiederholendes Facebook-Missverständnis. Enttäuschungen sind vorprogrammiert. Und aus Enttäuschung wird Erkenntnis (Ich bin und bleibe nur der blöde III-er oder IV-er), wird Wut, wird Hass. Wenn man schon an den Katzentisch zurückgestoßen wird, dann fährt man auf dem Weg dorthin die Krallen aus. Dann wird gekratzt, gebissen und gespuckt. Und mit ganz viel Glück kratzt, beißt oder spuckt der Facebooker Typus I oder II zurück. Womit das Spiel um Beachtung dann von vorne beginnen kann.
Warum der Autor hier selbst seit vielen Jahren nicht mehr auf Facebook ist, hat er einmal einem Ex-Freund in dessen Blog geschrieben, der hat dann noch eine Antwort. Und in den Kommentaren dazu kann man schon gut erkennen, wie das funktioniert mit den Süßigkeiten. Man kann gut erkennen, was dieses System am Leben erhält, nämlich der seltene Fall, dass sich tatsächlich gleich zwei Facebook Typus IV in den Rang der – na ja – Facebook Typus I katapultiert fühlen. Und solange das passiert, bleibt das System lebendig, die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Ach so, ich muss Ihnen noch erzählen, warum ich mit Jan Fleischhauer angefangen habe. Der hat nämlich in seiner jüngsten SPON-Kolumne gleichzeitig aufgezeigt wie befeuert, was zu einem weiteren erstaunlichen Facebook-Phänomen gehört: Die Stutenbissigkeit unter Facebook Typus I und II. Und die Einladungen an die tausende von braven Schwejks, für sie in den Krieg zu ziehen, wenn die Leader im Thread untereinander hadern, wenn Neid und Missgunst in der oberen Etage die Oberhand gewinnen. Dann nämlich prügelt man sich gar nicht mehr selbst. Man lässt prügeln und verspricht als gerechten Lohn … na klar: gaaanz viel mehr sweets!