Ja, die Mitarbeiter der Jobcenter haben es gerade nicht leicht: In Zeiten von Corona muss eine ganze Flut neuer Bestimmungen beachtet werden, immer neue Papiere müssen gelesen und Anweisungen praktisch umgesetzt werden. Aber diese Leute haben immerhin einen sicheren Job, die Arbeitslosen, die auf die Bearbeitung ihrer Anträge angewiesen sind, haben in der Regel keine Arbeit mehr.
TE liegt ein Papier der Arbeitsagentur Nordrhein-Westfalen exklusiv vor, das abbildet, wie das Land versucht, in der Corona-Krise den immer neuen Herausforderungen zu begegnen. In einer Zeit, in der für von der Seuche betroffene Gruppen der Gesellschaft ganz neue Ansprüche erwachsen. Oder eben dann doch nicht.
TE dokumentiert und interpretiert Auszüge des Dokuments, das weitestgehend im Frage-und-Antwort-Modus aufgebaut ist. Kompliziert im Amtsdeutsch formulierte Fragen wie Antworten werden hier zum Teil auf das Wesentliche verkürzt wiedergegeben:
Frage 1:
„Besteht aufgrund der Corona-Pandemie ein Anspruch auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums für Ausländerinnen und Ausländer die nach §7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sind?“
Antwort:
Nach Auffassung der Bundesregierung gilt: Die im SGB II vorgesehenen Leistungsausschlüsse sind zwingendes Recht. Es besteht daher rechtlich keine Möglichkeit, hiervon durch Weisung oder ähnliches abzuweichen. Darüber hinaus besteht aber auch keine Notwendigkeit, an der geltenden Rechtslage etwas zu ändern. Ausländer hätten, so heißt es weiter, schon heute Anspruch auf Überbrückungsgeld für einen Monat bzw. Reisekostenbeihilfe. Härtefallregelungen gibt es nur, wenn etwa einer der Betroffenen an Corona erkrankt sei, dann könne ggf. über den Monat hinaus bezahlt werden.
Das soll es gewesen sein, so schreibt die Agentur als Anweisung an die Jobenter-Mitarbeiter in NRW. In anderen Bundesländern soll es ähnliche Anweisungen geben.
Frage 2:
Wie sieht es mit den wegen Corona aus Haftanstalten beurlaubten Gefangenen aus? Wer zahlt für die?
Antwort:
Die Bundesagentur vertritt die Auffassung, dass die Haftbeurlaubten keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II haben. So eine Beurlaubung würde keine Leistungen nach SGB II begründen. Das gelte auch für Freigänger.
Weiter heißt es da von der Bundesagentur: „Unabhängig davon stellt sich aber die Frage, weshalb Häftlinge beurlaubt werden, bei denen der Lebensunterhalt nicht gesichert ist. Der nicht gesicherte Lebensunterhalt schließt laut den Ausführungen des Landes die Beurlaubung aus.“ Tatsächlich heißt es in den entsprechenden Texten dazu: „Eine Unterbrechung komm jedoch nicht in Betracht, wenn die Wohnung, die gesundheitliche Versorgung oder der Lebensunterhalt der/des Gefangenen nicht gesichert ist.“
Das allerdings ist sozialer Sprengstoff insofern, dass das Amt hier den Grund für die Beurlaubung vollkommen außer Acht lässt: Nämlich die Gefahr, sich in der geschlossenen Einrichtung einem erhöhten Corona-Ansteckungsrisiko auszusetzen.
Abschließend zu diesem Punkt heißt es da: „Somit dürfte sich die Beantragung von SGB-II-Leistungen für diese Gefangenen im Grunde gar nicht erst ergeben.“
In einer weiteren Erörterung geht es darum, ob Studenten, die ihren Nebenjob verloren haben, nun Ansprüche anmelden können, obwohl sie normalerweise generell von Leistungen des SGB II ausgeschlossen sind.
Antwort: Nein. Der Student soll sich ggf. an das Bafög-Amt wenden, bzw. wird ihm von der Arbeitsagentur empfohlen, sich während der Corona-Krise um Jobs in systemrelevanten Branchen neu umzusehen. Er soll also Spargelstechen? Wörtlich heißt es da: „Auch kommt die Suche einer neuen Nebenbeschäftigung – insbesondere in den systemrelevanten Berufen (Einzelhandel oder Landwirtschaft) – in Betracht.“ Die bloße Unterschreitung „des aktuellen Verdienstniveaus“ stelle noch keine „besondere Härte“ für Studenten dar.
Das ist allerdings sportlich. Solche Anweisungen muss man sich mal im Umgang mit der Klientel beispielsweise der Zugewanderten vorstellen.
Nächste Frage:
Ob Bonuszahlungen von Betrieben an ihre Mitarbeiter als Einkommen zu werten seien.
Antwort:
Man ist sich im Amt noch uneins. Entscheidung vertagt.
Weiter geht es mit der Frage, ob die „NRW-Soforthilfe 2020“ für Solo-Selbstständige und Kleinunternehmer anzurechnen sei.
Antwort:
Nein, als zweckgebundene Einnahme darf sie bedarfsmindernd nicht berücksichtigt werden. Allerdings weist das Amt seine Mitarbeiter in dem internen Papier sehr wohl daraufhin, dass darauf zu achten sei, ob nicht eventuell das ansonsten tatsächlich erwirtschaftete Einkommen überstiegen wird. Dann könne man eventuell doch zugreifen. Dem Sachbearbeiter sind hier ein paar Rechenbeispiele angefügt.
Nächste Frage:
Wie sieht es mit den Soforthilfen für Freischaffende und professionelle Künstler aus?
Antwort:
Da es hier tatsächlich um den Erhalt der wirtschaftliche Grundlage des Einzelnen gehe und weniger um den Erhalt von Betriebsstrukturen usw. sind diese Soforthilfen anzurechnen:
„Nach Auffassung des RD NRW spricht daher vieles dafür, die Soforthilfen für Künstlerinnen und Künstler als Einkommen zu berücksichtigen, da sie augenscheinlich demselben Zweck dient wie die Leistungen nach dem SGB II.“
Und da jemand im Amt in den Medien gelesen hat, dass die GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) einen Schutzschirm für ihre Künstler aufspannt, schaut man auch hier, ob das anzurechnen ist.
Antwort:
„Dem im Internet verfügbaren Angaben nach zu schließen, dürfte es sich bei den Nothilfen der GEMA nicht um privilegiertes Einkommen (…) handeln.“
Mit anderen Worten: Wer hier was von der GEMA bekommt und gleichzeitig Leistungen nach SGB II bezieht bzw. beantragt, muss damit rechnen, dass die Zuwendung der GEMA angerechnet werden.
Nächste Frage: Wie sieht es mit der steigenden Zahl an Unterhaltspflichtigen aus, die beim Amt anmelden, dass sie weniger Geld bekommen und also ihren Unterhaltszahlungen nicht mehr oder nur noch teilweise nachkommen können?
Antwort:
Es kann ggf. eine Stundung ermöglicht werden, „ein Verzicht kommt grundsätzlich nicht in Betracht.“
Corona hin oder her: Die von ihren Kindern sowieso bereits getrennten Väter werden also weiter zur Kasse gebeten im Sinne der nunmehr alleinerziehenden Mütter. Die Arbeitsagentur geht sogar soweit, davon auszugehen, dass die finanziellen Verhältnisse der Unterhaltszahlenden wegen Corona wohl nur für ein paar Monate eingeschränkt sein dürften: Die Rechtspflicht, Unterhalt zu zahlen, bleibt daher bestehen und für eventuelle Ausfallmonate muss dieser Ausfall vor Gericht auch noch überzeugend nachgewiesen werden.
Eine weitere Frage: Wie ist vorzugehen, wenn sich nach Ablauf von sechs Monaten (verkürzter Bewilligungszeitraum in der Corona-Krise) nach Datenabgleich mit anderen Ämtern herausstellen sollte, dass Leistungsberechtigte doch Einkommen hatten bzw. über erhebliches Vermögen verfüg(t)en?
Die Antwort klingt wieder nach typischem Amtsdeutsch, besagt aber wohl, dass man bemüht ist, sich die Überzahlung zurückzuholen:
„Die Erstattung könnte über § 50 SGB X erfolgen, wobei als Überzahlung nur die Differenz zwischen dem tatsächlich vorläufig bewilligten Leistungsanspruch anzunehmen ist, der unter Berücksichtigung der nicht mitgeteilten Einkommens- und Vermögensverhältnisse bewilligt worden wäre.“
Zuletzt auf dem FAQ-Papier der Arbeitsagentur NRW für ihre Mitarbeiter des Jobenters die Frage, ob auf Zahlungen vom Infektionsschutzgesetz Entschädigte zugegriffen werden kann.
Antwort:
Es wären ja überhaupt nur sehr wenige Bürger, die überhaupt eine solche Zahlung bekommen würden, da es wohl nur die beträfe, die unter Quarantäne gestellt und mit einem Tätigkeitsverbot belegt wurden. Prinzipiell soll diese Leistung aber als Einkommen berücksichtigt und also entsprechend angerechnet werden, sollte jemand in dieser Situation Unterstützung nach SGB II beantragen.
Abschließend soll der Sachbearbeiter im Jobcenter via FAQ-Anweisung noch erfahren, was zu tun ist, wenn bei Anträgen vom ersten März bis zum 30. Juni 2020 „Vermögen in erheblichem Umfang vorhanden“ war, welches in der aktuellen Corona-Situation allerdings nicht verklangt werde konnte.
Antwort:
„Der Leistungsanspruch ist (…) für ein halbes Jahr als Darlehen zu bewilligen (§ 9 Absatz 4, 24 Absatz 5 SGB II).“
Soweit das Papier für die Mitarbeiter der Jobcenter. Wer als Leser noch bestimmte Fragen zu den einzelnen Punkten hat, möge diese bitte per Kommentarfunktion stellen, wir schauen dann gerne, ob sich dazu Antworten aus dem Papier ergeben, die wir gerne nachreichen wolle: als Antwort in der Kommentarfunktion.